Elektrosmog Report
Nr. 8 / 1. Jahrgang November 1995 
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Grenzwert-Diskussion
US-Komitee fordert deutliche Reduzierung der zulässigen Belastungen durch EMF

Ein Komitee des US-amerikanischen National Council on Radiation Protection and Measurement (NCRP, Nationaler Rat für Strahlenschutz und Strahlenmessung), das im Auftrag des US-Kongresses mögliche gesundheitliche Auswirkungen elektromagnetischer Felder abschätzen sollte, hat nach 9jähriger Arbeit einen 800seitigen internen Berichtsentwurf vorgelegt. Darin wird eine schrittweise deutliche Reduzierung der heute gültigen internationalen Grenzwertempfehlungen angeregt. Durch eine Indiskretion ist das Papier bereits vor der internen Prüfungsprozedur durch das NCRP durch Abdruck von wichtigen Auszügen in der Juli/August-Nummer der amerikanischen Microwave News an die Öffentlichkeit gelangt. Nach einem Artikel im New Scientist vom 5. Oktober 1995 sorgte der Bericht auch in den deutschen Medien für einigen Wirbel (siehe Kommentar auf S. 8).

Dem Komitee gehören namhafte Wissenschaftler verschiedener Fachrichtungen an, darunter Zell- und Molekularbiologen, Epidemiologen und Spezialisten für öffentliche Gesundheit sowie Elektroingenieure. Das Komitee rät im Hinblick auf eine in den nächsten Jahren zu erwartende weitere Zunahme der Belastungen durch elektromagnetische Felder (EMF) zu einer Politik des ALARA ("as low as reasonable achievable" = "so niedrig wie vernünftigerweise erreichbar"). Als Zielgröße eines neuen Richtwertes für die maximale elektromagnetische Belastung der Bevölkerung im niederfrequenten Bereich werden 0,2 µT angegeben. Die Studie wurde finanziert von der EPA (Environmental Protection Agency, amerikanische Umweltschutzagentur). Der für die NCRP-Studie bei der EPA zuständige Mitarbeiter Dr. Joe Elder hält den nun vorliegenden Bericht für die "erste verständliche Übersicht über die Weltliteratur zu EMF-Wirkungen auf die Gesundheit." Zunächst werden jetzt ein halbes Dutzend NCRP-interne "kritische Rezensenten" den Entwurf durchsehen und u. U. Änderungen vorschlagen. Er soll dann im ersten Halbjahr 1996 in seiner Endfassung vorliegen.

Der Berichtsentwurf unterscheidet hinsichtlich seiner Empfehlungen zwischen einerseits Richtlinien für zukünftige Planungen und Entwicklungen, wie die Planung öffentlicher Gebäude oder die Verlegung von Hochspannungsleitungen, und andererseits Expositionsrichtlinien für bereits bestehende elektromagnetische Belastungen. Nach den Vorstellungen des Komitees soll die EMF-Belastung im Niederfrequenzbereich schrittweise reduziert werden, zunächst innerhalb eines Zeitraums von drei Jahren in Häusern, Schulen und anderen nichtindustriellen Umgebungen auf maximal 1 µT und 100 V/m. Nach sechs Jahren soll auf der Grundlage einer neuen Forschungsübersicht die Option einer weiteren Reduzierung auf 0,5 µT und 50 V/m bestehen. Nach insgesamt 10 Jahren sollte nach erneuter umfassender Analyse der sozioökonomischen und technischen Folgen die Möglichkeit bestehen, die angestrebten Zielwerte weiter auf 0,2 µT und 10 V/m zu reduzieren. Zum Vergleich: Die Grenzwerte für die magnetische Flußdichte in Deutschland liegen nach DIN VDE 0848 für die Öffentlichkeit heute bei 400 µT und sollen nach dem Willen des Bundesumweltministeriums demnächst den IRPA-Empfehlungen von 100 µT angepaßt werden [vgl. Tabelle und: Karus, M.: Elektrosmog-Verordnung in der Diskussion. Elektrosmog-Report 1 (7), S. 5-8 (1995)]

Die NCRP-Studie konzentriert sich auf den niederfrequenten Bereich zwischen oberhalb Null und 3 kHz. Die meisten Forschungsergebnisse liegen für den 50- und 60-Hertz-Bereich vor, also den Frequenzbereich, dem die Bevölkerung im Alltag durch den Betrieb elektrischer Geräte und Elektroleitungen am meisten ausgesetzt ist.

Im folgenden sind Auszüge aus dem 8. Kapitel des Berichts dokumentiert, die eine Übersicht über die biologischen Wirkungen elektromagnetischer Felder geben:

1989 billigte die internationale Strahlenschutzkommission (IRPA) durch ihr internationales Komitee für nicht-ionisierende Strahlung vorläufige EMF-Expositionsrichtlinien für die berufliche Belastung und die Belastung der Öffentlichkeit.
Grenzwertempfehlungen  magnet.  

Flußdichte 

IRPA (1989) beruflich
Gesamter Arbeitstag 500 µT 
Kurzzeitig 5.000 µT
IRPA (1989) Öffentlichkeit
Bis zu 24 Stunden pro Tag 100 µT 
Einige Stunden pro Tag 1.000 µT 
Vorläufiger NCRP-Bericht (1995) Öffentlichkeit 
innerhalb von 3 Jahren 1 µT 
nach 6 Jahren 0,5 µT
nach 10 Jahren 0,2 µT
Die Empfehlungen des IRPA-Komitees basierten auf der Grundannahme, daß die existierende Literatur keine sicheren Hinweise liefere, daß die EMF-Belastung auf dem heutigen Niveau Auswirkungen auf die öffentliche Gesundheit habe, die einen minimierenden Eingriff erfordere. Ihre zusammengefaßte Position lautete: "Obwohl einige epidemiologische Studien eine Assoziation zwischen einer Exposition gegenüber Feldern von 50/60 Hz und Krebs nahelegen, tun dies andere nicht. Es ist nicht nur diese Assoziation nicht bewiesen, gegenwärtiges Datenmaterial liefert zudem keine Basis für eine gesundheitliche Gefahrenabschätzung, die für die Entwicklung von Expositionsgrenzen brauchbar erscheint."

Des weiteren waren die IRPA-Richtlinien entwickelt worden "in erster Linie auf der Basis bekannter oder angenommener gesundheitlicher Effekte, welche durch von außen im Körper induzierte Ströme bewirkt wurden." Die Grenzwerte entsprechen induzierten Stromdichten, die im allgemeinen nahe bei oder leicht über denen liegen, die physiologischerweise im Körper auftretenden Erregungsströmen zugeschrieben werden. So liegen die von der IRPA empfohlenen Expositionsgrenzen um Größenordnungen über den Feldstärken, die im Licht der umfassenden Befunde, die in diesem Bericht dargelegt werden, ein Risiko beinhalten können ...

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1.0 Begründungsgrundlage für vorläufige Expositionsrichtlinien 

Nach der Durchsicht verfügbarer Befunde können weder Laboruntersuchungen noch epidemiologische Ergebnisse, einzeln oder zusammengefaßt betrachtet, wohldefinierte Grenzwerte für Sicherheitsrichtlinien begründen, welche das zeitliche Spektrum von kurzzeitiger bis zu lebenslanger niederfrequenter EMF-Exposition einschließen würden. Auch wenn es daher nicht gerechtfertigt erscheint, wohldefinierte Richtlinien zu erlassen, erscheint es dennoch sinnvoll, eine vorläufige Orientierung anzubieten ...

In Schlüsselgebieten bioelektromagnetischer Forschung sind die Ergebnisse ausreichend übereinstimmend und bilden ein ausreichend kohärentes Bild, um plausible Verbindungen zwischen niederfrequenten EMF-Expositionen und der Störung normaler biologischer Prozesse in einer Weise nahezulegen, die eine genaue Betrachtung möglicher Folgen für die menschliche Gesundheit verdienen. Diese Forschungsgebiete werden hier kurz skizziert.

1.1 Krebsentstehung 


Epidemiologische Studien in den USA und Europa, die bereits an anderer Stelle angeführt wurden, weisen auf einen Zusammenhang zwischen Krebs bei Kindern und elektromagnetischen Feldern hin, die durch Hochspannungsleitungen oder Verteilersysteme erzeugt wurden; dies bereits bei Belastungen in einer Größenordnung von 0,2 µT. In anderen epidemiologischen Studien wurden Hinweise gesammelt, nach denen niederfrequente EMF einen Faktor für eine Inzidenzzunahme [vermehrtes Auftreten] von Leukämie und Gehirnkrebs bei beruflich exponierten Erwachsenen darstellen.

Laboruntersuchungen werden weiterhin notwendig sein, um die eindeutige Existenz einer Verbindung zwischen niederfrequenten EMF und Krebs nachzuweisen. Dennoch stimmen geschilderte EMF-Effekte in Tier- und Gewebemodellen in kritischen Stadien der Zellwachstumsregulierung sowohl mit einem Initiations-Promotions-Modell*) der Krebsentstehung als auch mit Ergebnissen epidemiologischer Studien überein.

1.1.1 Gen-Induktion: Es existiert kein sicherer Hinweis auf schwere Chromsomenschäden oder einen Schwester-Chromatid-Austausch in der Folge von niederfrequenter EMF-Exposition [Chromatiden sind die zwei Hälften, in die sich ein Chromosom vor der Teilung längsspaltet. Die beiden Hälften, die aus demselben Chromosom hervorgegangen sind, nennt man Schwesterchromatiden.]. Dies wird als Anzeichen dafür gewertet, daß Feldexposition keine Initiation als erste Stufe im Initiations-Promotions-Krebsmodell bewirkt. Allerdings wurde nachgewiesen, daß niederfrequente magnetische Felder den Gentranskriptionsprozeß verändern [Transkription: Umschreibung der in der Erbsubstanz DNA codierten genetischen Information in eine Negativkopie aus RNA, welche schließlich zur Bildung von Proteinen führt]. Teile des genetischen Codes werden unterdrückt, so daß es zu Veränderungen in der Expression von Zellproteinen kommt [Protein- bzw. Genexpression: (Bio-) Synthese spezifischer Proteine in zwei Teilschritten: Transkription und Translation]. Dieser Prozeß kann eine abnormale Zellfunktion darstellen, die zu einer verminderten Kontrolle des Zellwachstums und schließlich zu unreguliertem Wachstum führen könnte. Der Verlust der Wachstumsregulierung stimmt überein mit einer promovierenden Rolle*) (oder zusammen mit anderen Kräften einer co-promovierenden Rolle) im Prozeß der Krebsentstehung.

1.1.2 Biochemische Veränderungen: Intrazelluläre biochemische Veränderungen in der Folge von niederfrequenter magnetischer Feldexposition. Diese umfassen Effekte auf boten- und zellwachstumsassoziierte Enzyme [Enzyme = Fermente: Proteine, die zu einer Beschleunigung bestimmter chemischer Prozesse führen] und Veränderungen in der Genexpression. Sie schließen die Modulierung der Aktivität von Proto-Onkogenen ein [Proto-Onkogene: Vorstufen von Onkogenen*)]. Diese Veränderungen stimmen mit den Wirkungen chemischer Krebspromotoren überein, was die Möglichkeit kombinierter Wirkungen von Chemikalien und niederfrequenten EMF als Krebspromotoren nahelegt.

1.1.3 Beschleunigte Tumorzellbildung: In Tier-Tumormodellen wurde über eine Zunahme der Tumorinzidenz [Häufigkeit des Auftretens] und eine verkürzte Latenzzeit*) berichtet, wenn die Tiere einem magnetischen Feld von 50/60 Hz mit Intensitäten von 100 µT oder weniger als Promotor*) oder Co-Promotor ausgesetzt wurden. Über eine erhöhte Konzentration von Transferrinrezeptoren [Bindungsstellen, an die Transferrin bindet. Transferrin ist ein Protein, das Eisen bindet und transportiert] auf der Oberfläche von Dickdarm-Krebszellen wurde berichtet, wenn diese einem 60 Hz-Magnetfeld oder einem kombinierten elektrischen und magnetischen Feld ausgesetzt waren Eine Beziehung zu einer erhöhten Tumorzellbildung kann angenommen werden, da erhöhte Serum-Eisen-Konzentrationen und eine damit einhergehende Verminderung der Transferrin-Eisen-Bindung bei menschlichem Krebs beschrieben wurden. Diese Befunde stimmen mit der Möglichkeit überein, daß eine verlängerte Exposition gegenüber niederfrequenten Feldern zu einem fortschreitenden Klonen bereits veränderter Zellen zu einem weiter krebsig entarteten Stadium führt.

1.1.4 Immundefekte: In zusammengefaßten epidemiologischen Befunden von Bevölkerungs- und Arbeitsplatzstudien korrelieren niederfrequente EMF-Expositionen mit einer erhöhten Rate von Leukämie bei Kindern und Erwachsenen. Einige dieser Studien legen eine Dosisabhängigkeit bei Langzeitexposition nahe. In Laborstudien fiel die natürliche Abwehrreaktion der T-Lymphozyten [eine Form weißer Blutkörperchen], die dem Immunsystem von Mäusen entnommen waren, bei Exposition mit niederfrequenten elektrischen Feldern und nach Kombination von elektrischen und magnetischen Feldern vermindert aus. Es kann argumentiert werden, daß, wenn diese Expositionen die normale Immunantwort des intakten Subjekts vermindert, eine weniger effektive Entdeckung und Elimination veränderter Zellen erfolgen kann, inklusive der Zellen, die sich zu bösartigeren Stadien fortentwickeln.

1.2 Fortpflanzung/Teratologie [Fehlbildungen] 


Im Gegensatz zum anwachsenden und zunehmend konsistenten Befund einer Assoziation von niederfrequenter EMF-Exposition und dem Risiko, an bestimmten Krebsarten zu erkranken, sind die epidemiologischen Befunde zur menschlichen Fortpflanzung begrenzt. Eine einzige vorläufige Studie hat ein leicht erhöhtes Risiko für die vorzeitige Beendigung der Schwangerschaft in Verbindung mit elektrischen Heizdecken erbracht.

Eine Serie von Studien in Skandinavien und den USA haben von einem erhöhten Fehlgeburtenrisiko in Verbindung mit Bildschirmarbeitsplätzen berichtet, inklusive Hinweisen auf eine Dosisabhängigkeit. Studien an Mäusen, Ratten und Schweinen haben sämtlich teratologische [Fehlbildungen verursachende] Effekte erbracht, aber bei vielen fehlt eine Konsistenz hinsichtlich Lokalisation und Art der Fehlbildungen. Mehrere unabhängige Studien haben Wachstumsanomalien in Hühnerembryonen, die vergleichbaren Magnetfeldbelastungen ausgesetzt waren, ermittelt. Eine einzige Studie an Ratten zur neuroendokrinen und psychosexuellen Reaktion auf eine niederfrequente Magnetfeldexposition in der Gebärmutter im Verlauf der Spätschwangerschaft hat ein gestörtes Territorium-Markierungsverhalten bei der ausgewachsenen männlichen Nachkommenschaft und ein erhöhtes Gewicht ihrer Geschlechtsorgane beschrieben.

Verfügbare Befunde von diesen epidemiologischen und Laborstudien lassen weiteren Forschungsbedarf zu möglichen Anomalien bei der Fortpflanzung angezeigt erscheinen, inklusive Studien zu subtilen Effekten auf das Verhalten, daß sich möglicherweise erst nach der Pubertät und in der weiteren Entwicklung zeigt.

1.3 Neurobiologie 


Eine begrenzte Zahl von Studien an Menschen hat sich mit einem Spektrum veränderter physiologischer Reaktionsweisen befaßt, die mit elektrischen und magnetischen Feldern im Niederfrequenzbereich korreliert zu sein scheinen. Dieses Spektrum von Bioeffekten geht über in bestimmte Reaktionen des Neuroendokrinums [zentrales Nerven- und hormonelles System] und des autonomen Nervensystems, die - einzeln oder zusammen - pathophysiologische Folgen [krankhafte Veränderungen physiologischer Prozesse] haben können. Diese Beobachtungen an Menschen finden Unterstützung und Ergänzung durch eine wesentlich größere Zahl von Laborversuchen an Tieren, mit Reaktionen auf niederfrequente Felder bei verschiedenen Spezies. Diese Felder beeinflussen möglicherweise die Entwicklung des Nervensystems. Im erwachsenen Organismus führen sie zu Reaktionen in der Neurochemie, der Physiologie, dem Verhalten und der Chronobiologie [Biologie der rhythmischen zeitabhängigen Körperprozesse].

Ein wichtiger Schwerpunkt war die Wirkung von niederfrequenten Feldern auf die Zirbeldrüse [= Epiphyse] in Hinsicht auf die Beeinflussung von Synthese und Sekretion des Epiphysenhormons Melatonin und auf eine breite Palette regulatorischer Funktionen, die durch dieses Hormon vermittelt werden. Melatonin spielt eine Schlüsselrolle in der Kontrolle des biologischen 24-Stunden-Tag-Nacht-Rhythmus. Eine Störung des normalen Tagesrhythmus ist mit einer Veränderung der Östrogenrezeptorbildung in der Brust assoziiert, eine der Richtungen experimenteller Hinweise, die zur Zeit als mögliche Verbindung zwischen niederfrequenten Feldexposition und menschlichem Brustkrebs untersucht werden. Des weiteren hat Melatonin generelle Eigenschaften als Fänger Freier Radikaler mit der Möglichkeit einer präventiven Rolle bei oxidativem Streß, der als Basisfaktor für ein breites Spektrum degenerativer Veränderungen Bedeutung hat, darunter koronare Herzkrankheit [Verengung der Herzkranzgefäße], Parkinsonsche Erkrankung, Alzheimer Krankheit und das Altern. [Freie Radikale sind redaktionsfreudige Moleküle, Bruchstücke von Molekülen oder Atome, die durch ein einzelnes ungepaartes Elektron charakterisiert sind. (Oxidierende) Reaktionen unter Einbeziehung Freier Radikaler können über die Inaktivierung von Enzymen oder die Veränderung von Membranen etc. toxisch wirken. Schutz vor Oxidation bieten neben Melatonin z. B. die Vitamine C und E.]

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2.0 Schlußfolgerung 

Obwohl unvollständig, weist verfügbares epidemiologisches und Labordatenmaterial bestimmte Übereinstimmungen auf, die niederfrequente EMF-Exposition mit einem erhöhten Gesundheitsrisiko in Verbindung bringen. Diese Beobachtungen erscheinen als eine substantielle nationale Verpflichtung für weitere Forschung. Sie gebietet die ernsthafte Aufmerksamkeit regulatorischer Gremien und der allgemeinen Öffentlichkeit. Einige epidemiologische Studien bringen gesundheitliche Effekte mit einer großen Spannbreite von Expositionsniveaus in Verbindung. Auf der Basis dieser Spannbreiten läßt sich folgern, daß ein erheblicher Teil der Weltbevölkerung einem niedrigen Risikoniveau unterworfen ist. Es handelt sich allerdings um einen Risikofaktor mit relevanter sozialer Bedeutung wegen seiner alles durchdringenden Natur und der ernsthaften Konsequenzen für betroffene Einzelpersonen. Es wird viel weitere Forschung notwendig sein, um die komplexe Natur von Dosis-Wirkungs-Beziehungen und die speziellen Beiträge von Frequenz, Intensität und Wellenformen der Felder zu bestimmen. Ein tieferes Verständnis der Mechanismen ist erforderlich, um die beobachteten Differenzen zwischen intermittierender [unterbrochener] und chronischer niederfrequenter Feldexposition zu erhellen. In festgelegten Sicherheitsrichtlinien ist möglicherweise die Identifizierung bestimmter Bevölkerungsgruppen mit spezifischer Sensibilität erforderlich, so wie es für bestimmte chemische Gifte üblich ist. Bisher hat kein Forschungsvorhaben ein mögliches Zusammenwirken von EMF und anderen Umweltfaktoren untersucht. Des weiteren können verschiedene elektrische Geräte wie Fernseher, Computermonitore und bestimmte Typen von Elektromotoren erhebliche magnetische Felder in ihrer unmittelbaren Nähe oberhalb des niederfrequenten Spektrums erzeugen. Obwohl außerhalb des Gesichtskreises dieses Berichts mögen auch diese Felder biologisch relevant sein. Eine breitere Basis von experimentell ermittelten Daten wird erforderlich sein, bevor es regulatorische Ausführungen für umfassende Sicherheitsrichtlinien geben kann. Aber diese vorgeschlagene Herangehensweise mindert in keiner Weise Sinn und Nutzen vorläufiger Standards.

Quelle: Microwave News, 15 (4), S. 1, 11-15, (1995).

[Übersetzung aus dem Amerikanischen und medizinische Erläuterungen von Franjo Grotenhermen.]

*) Krebsentstehung: Nach der heute wichtigsten These der Krebsentstehung entsteht ein bösartiger Tumor in drei Phasen: 1. Initiierung durch verschiedene Faktoren (Karzinogene bzw. Onkogene), die zu irreversiblen Veränderungen der Erbsubstanz führen. 2. Latenzperiode von wenigen bis vielen Jahren, in der es zur Wucherung der initiierten Zellen und zur Bildung von Tumorzellen kommt. Das Zusammenwirken mehrerer krebserzeugender Faktoren und unspezifischer Faktoren (Promotoren) kann diesen Prozeß beschleunigen. 3. Tumormanifestation. Der Krebs wird manifest.

[Zitierweise dieses Artikels: US-Komitee fordert deutliche Reduzierung der zulässigen Belastungen durch EMF, Elektrosmog-Report 1 (8), S. 5-7 (1995)]
 
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Kommentar

Entwarnung beim Thema Elektrosmog?

Nachdem in den letzten Monaten in der deutschen Tagespresse die Stimmen mehr und mehr Oberhand gewonnen hatten, die jegliche Gefahren durch schwache elektromagnetische Felder für unbewiesen halten und Vorsorge- und Minimierungskonzepte als überflüssig ablehnen, warnten Anfang Oktober alle Tageszeitungen vor bislang unterschätzten Elektrosmoggefahren. Anlaß war die vorzeitige Veröffentlichung des US-amerikanischen NCRP-Reports (s. o.).

Zuvor schienen sich die "Entwarner" in der Presse durchgesetzt zu haben. So schrieb Gerd Friedrich, Geschäftsführer der Forschungsgemeinschaft Funk (FGF), im Sommer 1995 in der FAZ (ohne sich dort als FGF-Geschäftsführer zu offenbaren): "Bislang liegen bereits mehrere tausend Veröffentlichungen zum Thema "Elektrosmog" vor. Doch trotz dieser Vielzahl an wissenschaftlichen Arbeiten kann eine abschließende Wertung derzeit nicht gegeben werden. Dennoch läßt sich ein deutlicher Trend in der Beurteilung dieser Frage feststellen. Und der besagt, daß es bisher keine einzige seriöse wissenschaftliche Arbeit gibt, daß Funkwellen für vermeintliche Schädigungen wie etwa Krebs verantwortlich gemacht werden können."

Der Spiegel (Ausgabe 39/95) schreibt: "..., daß die rund 10.000 wissenschaftlichen Arbeiten, die sich in den letzten Jahren der Erforschung der Elektrosmog-Gefahr widmeten, kaum neue Erkenntnisse brachten." "Nicht eine einzige glaubhafte Darstellung", resümiert der Medizinprofessor Eduard David von der Universität Witten-Herdecke, "liege der Strom-Hysterie zugrunde." Wie sehr dieses vermeintlich aktuelle Zitat den derzeitigen Forschungsstand resümiert, zeigt ein Blick ins Archiv: David's Aussage war bereits wortgleich im Spiegel 30/89 und 6/93 zu lesen.

Einen besonderen Beleg für die Ungefährlichkeit von Elektrosmog hat Physikprofessor Günter Nimtz (Köln) gefunden: "Jeder Einwohner eines Industrielandes ist heute einer hundertfach stärkeren elektromagnetischen Strahlung ausgesetzt als sein Großvater vor 50 Jahren, doch die Krebsraten haben sich seit damals nicht verändert" (Spiegel 39/1995).

Gerhard Merkl, Staatssekretär im bayrischen Sozialministerium geht davon aus, daß Mobilfunksendeanlagen "sicher sind, viel, viel sicherer als Tausende andere Dinge unseres täglichen Lebens, deren Gefahrenpotentiale wir als Selbstverständlichkeit hinnehmen." Für wie sicher die Staatsregierung Mobilfunksendeanlagen halte, lasse sich daran erkennen, "daß wir keinerlei Bedenken haben, solche Einrichtungen auf Dächern von Krankenhäusern oder Seniorenheimen aufstellen zu lassen" (Passauer Presse, 16.9.1995).

Solche Aussagen sollen vor allem Stimmung machen. "Mehrere tausend Veröffentlichungen" soll den Eindruck erwecken, daß genug geforscht worden sei. Richtig ist vielmehr, daß es sehr viel weniger wissenschaftlich fundierte Studien gibt und über den großen Forschungsbedarf zur Klärung der immer präziser artikulierbaren Fragestellungen in der Wissenschaft weltweit Konsens herrscht. Was die Bewertung des internationalen Forschungsstandes angeht, so dürften weder Friedrich noch David über die dazu notwendige wissenschaftliche Reputation verfügen.

Die zitierten Aussagen sind dennoch pressewirksam. Gut gemachte Verbands- und Interessenpolitik. Die Öffentlichkeit erfährt nicht, daß den Aussagen keine neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse zugrunde liegen, ja nicht einmal eine kritische Analyse der vorliegenden Ergebnisse. Es handelt sich nur um die Wiederholung alter Aussagen - neue Forschungen werden geflissentlich ignoriert. Von der forschenden Wissenschaft gibt es dagegen keine Entwarnung, im Gegenteil. Aktuelle wissenschaftliche Studien auf unstrittig hohem wissenschaftlichen Niveau sind derzeit vor allem in den USA - aber auch in Deutschland - dabei, das Elektrosmog-Puzzle zu enträtseln, Effekte zu reproduzieren und mehr und mehr zu verstehen. Dabei sind methodische Fehler und Ungereimtheiten vieler älterer Arbeiten, z. B. im Bereich Expositionserfassung, heute überwunden. Und es ist eben nicht so, daß bei genauerem Hinsehen alle Effekte verschwinden. Man schaue sich nur die international hoch anerkannten Arbeiten von Prof. Wolfgang Löscher und Dr. Meike Mevissen an (Elektrosmog-Report 1(1), S. 5-6), die derzeit mit neuen Forschungsmitteln aus Deutschland und den USA (!) weiter vertieft werden.

Ein zentrales Dilemma der deutschen EMF-Debatte ist, daß vor allem Wissenschaftler, Techniker und Verbandsvertreter aus den Bereichen HF- und Elektrotechnik die öffentliche Diskussion beherrschen, sich dagegen Biologen und Mediziner bislang kaum zu Wort melden. Ursache hierfür dürfte sein, daß die Quellen der EMF-Belastung aus dem Bereich der HF- und Elektrotechnik stammen und die Unternehmen aus dem Bereich Stromversorgung, Elektrotechnik und Sendeanlagen die Hauptkostenlast einer Verschärfung von EMF-Grenzwerten zu tragen hätten.

Die mediale Elektrosmog-Entwarnung geriet Anfang Oktober ins Schleudern. Die vorzeitige Veröffentlichung (Juli-August-Nummer der Microwave News 15 (4) und New Scientist vom 5.10.1995) des US-amerikanischen NCRP-Reports schlug sich am 6.10.1995 in fast allen deutschen Tageszeitungen nieder: Schwache elektrische und magnetische Felder stellten "doch" ein größeres Gefahrenpotential dar, als "bislang" angenommen. So hieß es in der Frankfurter Rundschau: "Dessen Vorsitzender Ross Adey sprach nach jahrelangen Forschungsarbeiten von massiven Beweisen, daß auch geringe Mengen elektromagnetischer Strahlung langfristig Gesundheitsschäden verursachen könnten." Die Süddeutsche Zeitung schrieb: "Die elektromagnetischen Felder verursachten unter Umständen hormonelle Veränderungen, die mit Krankheiten wie Krebs, Parkinson und Alzheimer einhergingen. Bei Kindern könne durch die Strahlung von Hochspannungsleitungen das Leukämie-Risiko steigen. .... die Empfehlungen der Kommission würden komplexe und kostenträchtige Änderungen im gesellschaftlichen Umgang mit Strom zur Folge haben." Und das Hamburger Abendblatt zitiert Adey wie folgt: "Ein erheblicher Anteil der Weltbevölkerung ist möglicherweise einem niedrigen Risiko ausgesetzt, das jedoch wegen seiner ernsten Folgen von Bedeutung sei für die ganze Menschheit."

Gegenüber den unbestreitbar hochkarätigen Wissenschaftlern des NCRP-Komitees verblassen die in der Öffentlichkeit agierenden deutschen EMF-Experten. Die NCRP-Wissenschaftler leiten Grenzwertempfehlungen ab, die in einer Größenordnung liegen, die für hiesige Experten - von einigen kritischen abgesehen - als völlig unbegründet eingestuft werden.

Zu wünschen wäre der deutschen EMF-Diskussion ein höheres wissenschaftliches Niveau und eine stärkere Einmischung von Seiten der Biologie und Medizin. Den Medien wäre zu wünschen, daß sie von ihrem Schlingerkurs zwischen Panik und Beschwichtigung loskämen und differenzierte Berichte auf aktuellem wissenschaftlichem Niveau zunähmen.

Michael Karus, nova-Institut Köln
 
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Elektrosensibilität

Konferenzsplitter Kopenhagen

Auf der zweiten Kopenhagener Konferenz über elektromagnetische Hypersensitivität am 22./23. Mai 1995 wurde von vielen Teilnehmern das multifaktorielle Konzept der Auslösung von Elektrosensibilität in den Vordergrund gestellt.

Dr. William Rea (Environmental Health Center Dallas, USA) wies daraufhin, daß sich der Zustand der von ihm betreuten Patienten bessere, wenn er sie in feldarme Umgebungen bringe. Die unterschiedlichen Krankheitssymptome seien breit gestreut. Möglicherweise spielten Frequenzunterschiede bei der Entwicklung unterschiedlicher Krankheitssymptome eine Rolle. Bei vielen Patienten bestünde gleichzeitig eine Hypersensitivität gegenüber chemischen Substanzen wie z. B. eine Stauballergie. Etwa 20% wiesen eine reine elektromagnetische Hypersensitivität auf.

Jean A. Moro (Universität von Surrey, Großbritannien) wies wie Rea auf Kreuzreaktionen von elektromagnetischer und chemischer Hypersensitivität hin. Die Überreaktionen auf chemische Substanzen seien in ihren Basismechanismen elektromagnetisch vermittelt. Dabei seien individuell unterschiedliche Frequenzen und Intensitäten für die Auslösung von Krankheitssymptomen verantwortlich. Es bestünde also nicht ein einfacher Dosis-Wirkungs-Mechanismus, sondern - individuell unterschiedlich - könnten, wie bei Chemo-Allergikern, auch schwache Intensitäten starke Wirkungen hervorrufen.

Monica Sandström (Schwedisches Institut für Arbeitsmedizin der Universität Umea, Schweden) hatte eine Studie an ca. 6.000 Büroangestellten durchgeführt. Eine wichtige Rolle bei der Auslösung von Elekrosensibilität spielte danach das Flimmern der Bildschirme. Elektromagnetische Felder könnten als Ursache von Erkrankungen in Büroumgebungen nicht ausgeschlossen werden.

Es bleiben viele offene Fragen, die grundsätzliche Existenz des Phänomens, daß viele Menschen bereits unter relativ niedrigen Belastungen elektromagnetischer Feldern leiden, wurde von den meisten Teilnehmern nicht mehr in Frage gestellt. (Quelle: Newsletter der FGF 3 (3), August 1995.)

Der 138 Seiten starke Bericht über die zweite Kopenhagener Konferenz zur Elektromagnetischen Hypersensitivtät ist für 210 dänische Kronen erhältlich bei: Danish Association for the Electromagnetically Hypersensitive, c/o Aase Thomassen, Lunden 1, Aalum, DK-8900 Randers, Dänemark.
 
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Kurzmeldungen

Magnetfelder erhöhen Lebensdauer von künstlichen Hüftgelenken

Der Ersatz des Hüftgelenks ist heute eine Routineoperation. Aber der in der Markhöhle des Oberschenkels verankerte Metallschaft für den Kugelkopf hält durchschnittlich nur etwa zehn Jahre. Dann zwingt die schmerzhafte Lockerung erneut zur Operation. Das seit 1974 angewandte Magnetodynverfahren, das der Chirurg Prof. Fritz Lechner und der Physiker Werner Kraus entwickelt haben, erhöht in bis zu 90% der Fälle die Lebensdauer der Kunstgelenke.

Beim Magnetodynverfahren werden in einer Spule, die um die Hüfte gelegt wird, elektromagnetische Wechselfelder von maximal 20 Hz und einer Stärke zwischen 2 und 10 mT (= 2.000 und 10.000 µT) erzeugt. Die Felder erhöhen die Temperatur des durchflossenen Bindegewebes und Knochens nicht. Dennoch regen sie die Zellen zu einer beschleunigten Reifung und zu gesteigertem Stoffwechsel an. Die inzwischen vielfach nachgewiesenen Wirkungen zeigen sich vor allem in der ersten Zeit nach Schädigung des Gewebes.

In schwerwiegenden Fällen, z. B. bei nicht heilenden Brüchen, wird eine zweite Spule implantiert, die über Induktion die Wirkung der äußeren Spule verstärkt. Dieses experimentell und klinisch bewährte Prinzip der Elektro-Osteo-Stimulation hat die Forschergruppe um Kraus nun für eine neuartige Hüftprothese genutzt, die u. a. eingelassene Titanelektroden aufweist.

Quelle: Stössel, J.-P.: Feld-Effekt. In: Bild der Wissenschaft 7/95, S. 110.
 
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Europäische Kommission plant EMF-Aktionsprogramm

Mit dem Vordringen drahtloser Telefonsysteme auf dem Massenverbrauchermarkt werden zunehmend Fragen zu Sicherheits- und Gesundheitsrisiken gestellt. Die Europäische Kommission hat daher eine Gruppe von acht Experten beauftragt, ein Aktionsprogramm zur Erforschung der gesundheitlichen Auswirkungen von HF-Strahlung vorzubereiten.

Der Aktionsplan soll Reichweite und Prioritäten des Forschungsprogramms definieren sowie organisatorische Fragen und die Finanzierung behandeln. Der bis April 1996 fertigzustellende Plan wird der Kommission als Grundlage dienen, über ein umfassendes Forschungsprogramm zu entscheiden. Zu der achtköpfigen Expertenrunde gehören von deutscher Seite Prof. J. H. Bernhardt vom Bundesamt für Strahlenschutz und Prof. C. Hossmann, Direktor des Max-Planck-Instituts für Neurologische Forschung in Köln.

Quelle: EU-Nachrichten Nr. 40, 6.10.1995, S. 2.

Veranstaltungstip

Am 28. und 29. November 1995 veranstaltet die Technische Akademie Esslingen den Lehrgang "Biologische Wirkungen elektromagnetischer Felder und Wellen". Der Lehrgang richtet sich laut Veranstalter an Mediziner, Ingenieure, Techniker, Juristen, Verwaltungs- und Versicherungsfachleute und dient der Fortbildung von Sicherheitsfachkräften nach §5 des Arbeitssicherheitsgesetzes. Als Referenten sind geladen: G. Bahmeier und Prof. G. Käs von der Universität der Bundeswehr München sowie K.-H. Braun von Gladiß, Prof. H. König und A. Varga.

Die Teilnahmegebühr beträgt 880,- DM. Anmeldungen: Technische Akademie Esslingen, Weiterbildungszentrum, Postfach 1265, 73748 Ostfildern, Tel.: (0711)3400823, FAX: 3400827. 


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