Elektrosmog Report
Nr. 6 / 2. Jahrgang Juni 1996
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Politik
Niederlage für Umwelt- und Verbraucherschutz: Elektrosmogverordnung verabschiedet

In einem lange erwarteten Kabinettsbeschluß vom 22. Mai 1996 wurde die Verordnung über elektromagnetische Felder in überarbeiteter Form von der Bundesregierung verabschiedet. Nun steht nur noch die Zustimmung des Bundesrates aus.

Inhaltlich ist die Verordnung eine bittere Enttäuschung. Die umfassende Kritik der Umwelt- und Verbaucherverbände am Verordnungsentwurf fand keine Berücksichtigung. Einziges Ziel der Verordnung scheint vielmehr zu sein, Betreiber von Energieversorgungseinrichtungen und Sendeanlagen sowie Behörden jegliche Maßnahmen und Kosten zu ersparen. Die verbindlichen Grenzwerte der neuen Verordnung liegen um bis zu einem Faktor 2 über den internationalen Grenzwertempfehlungen, die ihrerseits zu Vorsorgewerten uminterpretiert werden.

Gab es bereits bei der Anhörung vom 10. bis 13. Juli heftige Kritik am Entwurf einer "Verordnung über nieder- und hochfrequente EMF-Emissionen zur Durchführung des Bundesimmissionsschutzgesetzes" vom 20.6.1995 (vgl. Elektrosmog-Report 1(7), 1995), so hat sich die Verordnung unter Gesichtspunkten des Verbraucher- und Umweltschutzes weiter verschlechtert. Den Einwänden derer, die durch den ursprünglichen Entwurf Kosten auf sich zukommen sahen, wurde dagegen weitestgehend stattgegeben.

Einschränkung des Anwendungsbereiches

Der Anwendungsbereich der neuen Verordnung wurde stark eingeschränkt. "Diese Verordnung gilt für die Errichtung und den Betrieb von Hochfrequenzanlagen und Niederfrequenzanlagen nach Absatz 2, die gewerblichen Zwecken dienen oder im Rahmen wirtschaftlicher Unternehmungen Verwendung finden und nicht einer Genehmigung nach § 4 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes bedürfen" (§ 1). Die Verordnung gilt im HF-Bereich nicht für Anlagen, "die ausschließlich der Wahrnehmung hoheitlicher Aufgaben, insbesondere der Erhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, dienen, z. B. Sendefunkanlagen des Bundesgrenzschutzes, der Bundeswehr oder der Wasser- und Schiffahrtsverwaltung des Bundes, sowie privat betriebene Anlagen, wie Amateurfunkanlagen (...) Nicht erfaßt sind ferner die Sendefunkanlagen der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten" (Begründung zu § 1). Der Ausschluß dieser Anlagen wird nicht begründet und es bleibt offen, welche Grenzwerte bzw. ob überhaupt Grenzwerte für diese Anlagen gelten. Wie bereits im ursprünglichen Entwurf bezieht sich die Verordnung zudem ausschließlich auf ortsfeste Sendefunkanlagen. Mobile Sender können daher unbegrenzt strahlen.

Eine weitere Begrenzung des Anwendungsbereiches betrifft die Sendefrequenzen. Die Verordnung regelt ausschließlich den HF-Bereich von 10 MHz bis 300.000 MHz, der Bereich zwischen 0,1 und 10 MHz bleibt ohne jede Regelung. Begründet wird dies wie folgt: "Der üblicherweise ebenfalls der Hochfrequenz zugeordnete Frequenzbereich von 0,1 Megahertz bis 10 Megahertz ist in den Regelungsbereich der Verordnung zunächst nicht aufgenommen, da ICNIRP die für diesen Frequenzbereich bestehenden Grenzwertempfehlungen zur Zeit überarbeitet und das Ergebnis dieser Überarbeitung abgewartet werden soll" (Begründung zu § 1). Richtig ist, daß die ICNIRP (International Commission on Non-Ionizing Radiation Protection) derzeit ihre Grenzwertempfehlungen überarbeitet und die neuen Werte Ende 1996 bzw. Anfang 1997 erwartet werden. Überarbeitet wird allerdings nicht nur der genannte Bereich von 0,1 bis 10 MHz, sondern der gesamte EMF-Bereich von 0 bis 300.000 MHz. Ein merkwürdiger Zufall, daß gerade der Bereich 0,1 bis 10 MHz ausgeklammert wurde. Internen Quellen nach soll aber gerade in diesem Bereich eine Anhebung der internationalen Empfehlungen ausgesprochen werden.

Die Hauptbetroffenen des ursprünglichen Entwurfes (vgl. Elektrosmog-Report 1(7), 1995 und 2(1), 1996) werden mit der neuen Verordnung in zweifacher Hinsicht von allem Übel verschont. Die öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten hätten nach dem Entwurf vom Juni 1995, der sich streng an die geltenden Grenzwertempfehlungen der IRPA (International Radiation Protection Association) hält, einen Großteil ihrer innerstädtischen Kurz-, Mittel- und Langwellensender schließen oder in ihrer Leistung drastisch reduzieren müssen. Das ist nun nicht mehr notwendig. Zum einen werden die Anlagen der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten sowieso nicht mehr von der Verordnung erfaßt und zum anderen sind die wichtigsten Frequenzen im Kurz-, Mittel- und Langwellenbereich aus der Verordnung bis auf weiteres herausgenommen. Alte Sendeanlagen in unmittelbarer Nähe zu Wohnbereichen können so ohne jede Einschränkung weitersenden, selbst wenn sie geltende internationale Grenzwertempfehlungen drastisch überschreiten.

Auch im Niederfrequenzbereich wird der Anwendungsbereich eingeschränkt. Erfaßt werden folgende ortsfeste Anlagen zur Umspannung und Fortleitung von Elektrizität: "a) Freileitungen und Erdkabel mit einer Frequenz von 50 Hertz und einer Spannung von 1000 Volt und mehr, b) Bahnstromfern- und Bahnstromoberleitungen einschließlich der Umspann- und Schaltanlagen mit einer Frequenz von 16 2/3 Hertz oder 50 Hertz, c) Elektroumspannanlagen einschließlich der Schaltfelder mit einer Frequenz von 50 Hertz und einer Oberspannung von 1000 Volt und mehr" (§ 1).

Durch die Begrenzung auf Spannungen über 1000 Volt werden alle Hausanschlußleitungen, wie z. B. auch Ständerleitungen, aus der Verordnung ausgenommen und bleiben ungeregelt. Weiterhin ausgenommen werden Großtransformatoren der Energieversorger: "Die Verordnung gilt ferner nicht für Anlagen, die einer Genehmigung nach § 4 BImSchG bedürfen. Dabei handelt es sich namentlich um die ... nicht eingehausten Elektroumspannlagen mit einer Oberspannung von 220 Kilovolt und mehr" (Begründung zu § 1).

Weiterhin gilt die Verordnung "insbesondere nicht für elektrische Haushaltsgeräte, Mobilfunkendgeräte und sonstige ortsveränderliche technische Einrichtungen" (Begründung A. Allgemeines).

Die ausschließliche Berücksichtigung der Frequenzen 50 und 16 2/3 Hz wird nicht näher begründet und wird aktuellen technischen Entwicklungen nicht gerecht. So werden z. B. neue Drehstrommotoren sehr häufig mit Frequenzumrichtern angesteuert und demzufolge mit völlig anderen Frequenzen als 50 Hz betrieben. Dies gilt auch für neue Lokomotiven der Bundesbahn, die eben keineswegs nur 16 2/3-Hz-Felder emittieren.

Insgesamt wird die drastische Einschränkung des Anwendungsbereiches wie folgt begründet: "Als erste spezielle rechtliche Regelung zum Problem der Wirkungen elektromagnetischer Felder auf den Menschen beschränkt sie sich (die Verordnung, die Red.) auf infrastrukturrelevante Bereiche, in denen bei der Rechtsanwendung prioritärer Handlungsbedarf deutlich geworden ist" (Begründung A. Allgemeines). Fragt sich nur, wessen Prioritäten Berücksichtigung fanden.

Grenzwerte der neuen Verordnung

Die Verordnung betrifft grundsätzlich nur die Allgemeinheit und "nicht den Schutz von Beschäftigten, die bestimmungsgemäß Arbeiten an den erfaßten Anlagen durchführen. Insoweit gelten die Vorschriften des Arbeitsschutzrechts" (Begründung A. Allgemeines).

Die in der Verordnung festgelegten Immissionsgrenzwerte basieren auf den internationalen Empfehlungen der IRPA, ICNIRP und SSK (Strahlenschutzkommission) und gewähren laut "Begründung A. Allgemeines" "als einzuhaltende Schutzwerte den Schutz vor bekannten Gesundheitsgefahren und erheblichen Belästigungen". Die allem zugrundeliegenden Empfehlungen der IRPA stammen aus den Jahren 1988 und 1989 und verstehen unter bekannten Gesundheitsgefahren vor allem Herzkammerflimmern, Veränderungen in der Erregbarkeit des zentralen Nervensystem und visuelle (Magnetophosphene) und mögliche Nervensystemeffekte. Laut Verordnung entsprechen die Empfehlungen "dem neuesten, internationalen anerkannten Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse über mögliche schädliche Wirkungen elektromagnetischer Felder" (Sprechzettel für den Regierungssprecher). In der Begründung zu § 3 heißt es sogar: "Die Grenzwerte liegen deutlich unterhalb der Schwelle, oberhalb der nach dem bestehenden Kenntnisstand mit Gesundheitsgefahren durch elektromagnetische Felder zu rechnen ist".

Grundsätzlich entsprechen die neuen Grenzwerte wie im ursprünglichen Entwurf den IRPA-Empfehlungen. Allerdings mit gewissen aber entscheidenden Spezifizierungen bzw. Einschränkungen. Zunächst heißt es (§ 3):

"Zum Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen sind Niederfrequenzanlagen so zu errichten und zu betreiben, daß in ihrem Einwirkungsbereich in Gebäuden oder auf Grundstücken, die zum nicht nur vorübergehenden Aufenthalt von Menschen bestimmt sind, bei höchster betrieblicher Anlagenauslastung und unter Berücksichtigung von Immissionen durch andere Niederfrequenzanlagen die im Anhang 2 bestimmten Grenzwerte der elektrischen Feldstärke und magnetischen Flußdichte nicht überschritten werden".

Der Begriff "höchste betriebliche Auslastung" soll wohl den Zustand größter Feldbelastung charakterisieren. Dem ist aber nicht unbedingt so. In vielen Fällen sind gerade bei höchster Auslastung infolge von Feldkompensationen kleine Feldemissionen zu finden, während bei asymetrischer Teillast die höchsten Felder entstehen. Dies ist z. B. bei allen Hochspannungstrassen der Fall.

Ein ganz zentraler Schachzug der Verordnung ist, daß die IRPA-Empfehlungen nur dann zur Geltung kommen, wenn es gilt, die Belastung bei Daueraufenthalt einzelner Personen zu begrenzen. "Als maßgebliche Einwirkungsorte sind daher solche Orte bestimmt, die dem nicht nur vorübergehenden Aufenthalt von Menschen dienen, also in erster Linie Wohngebäude, aber auch Krankenhäuser, Schulen, Kindergärten, Arbeitsstätten (?, die Red.), Spielplätze, Gärten oder sonstige Orte, an denen nach der konkreten bestimmungsmäßigen Nutzung regelmäßig längere Verweilzeiten von Personen auftreten, wobei es sich vor dem Hintergrund der der Grenzwertbestimmung zugrundeliegenden Annahmen um Aufenthaltsdauern von mehreren Stunden handelt. Maßgeblich ist die Aufenthaltsdauer der einzelnen Person. Nicht erfaßt sind damit beispielsweise Orte wie Fernstraßen oder Bahnsteige, an denen sich zwar u. U. ständig Menschen aufhalten, die Verweilzeit des Einzelnen aber in der Regel gering ist" (Begründung zu § 2).

Der Fall von nicht dauerhaftem Aufenthalt ist dann explizit geregelt. Bei der Anwendung der IRPA-Grenzwertempfehlungen im NF-Bereich "bleiben außer Betracht 1. kurzzeitige Feldstärke- oder Flußdichtespitzen, die insgesamt nicht mehr als 5 vom Hundert eines Beurteilungszeitraums von einem Tag ausmachen und die in Satz 1 angegebenen Werte (=IRPA-Werte, die Red.) jeweils um nicht mehr als 100 vom Hundert überschreiten, 2. kleinräumige Überschreitungen der in Satz 1 angegebenen Werte der elektrischen Feldstärke um nicht mehr als 100 vom Hundert außerhalb von Gebäuden, ..."

Das heißt einfach ausgedrückt, die doppelten IRPA-Werte sind zulässig, wenn die magnetische Belastung zu weniger als 5% der Zeit auftritt bzw. die elektrische nur kleinräumig. Davon abgesehen, daß man es hier wieder den Gerichten überläßt, den Begriff "kleinräumige Überschreitungen" zu definieren, sind zwei Anmerkungen angebracht.

Es ist zwar richtig, daß sich die IRPA-Empfehlungen grundsätzlich auf eine Dauerexposition beziehen und laut "Begründung zu § 3" "vorübergehende Überschreitungen ausdrücklich für unbedenklich erachten". Die Festlegung eines doppelten Grenzwertes für kurzzeitige und kleinräumige Belastungen hat aber dennoch mit den IRPA-Empfehlungen nicht das geringste zu tun, sondern ist ausschließlich eine Festlegung in der deutschen Verordnung. Insofern ist es durchaus richtig zu behaupten, daß die neue Verordnung nicht die internationalen Grenzwertempfehlungen der IRPA umsetzt.

Begründet wird die Heraufsetzung der Grenzwerte für kurzzeitige und kleinräumige Belastungen mit auftretenden Belastungssituationen, die man nicht reglementieren möchte. So bleiben etwa "kurzzeitige Überschreitungen ..., wie sie z. B. bei Schaltvorgängen oder bei bestimmten Betriebssituationen des Bahnverkehrs auftreten können, außer Betracht" (Begründung zu § 3). Entsprechendes gilt für "kleinräumige Überschreitungen der Werte der elektrischen Feldstärke außerhalb von Gebäuden, wie sie insbesondere in Hitzeperioden im Bereich des größten Durchhangs unter dem Spannfeld von Hochspannungsfreileitungen auftreten können" (Begründung zu § 3). Hiermit soll wohl verhindert werden, daß die Felder von Hochspannungstrassen, die sowieso nur in seltenen Fällen die IRPA-Werte übertreffen, überhaupt irgendwo in Konflikte mit der neuen Verordnung kommen können. Was aber spräche dagegen, wenn z. B. auf Spielplätzen unter oder in Nähe von Hochspannungstrassen wenigstens die IRPA-Werte eingehalten werden müßten. Nach der neuen Verordnung dürfen Spielplätze von elektrischen Feldern bis zum Zweifachen der IRPA-Werte belastet werden, wenn diese Belastung nur kleinräumig - in der Größe des Spielplatzes? - auftritt.

Tabelle: Grenzwerte für die Öffentlichkeit

Neue Elektrosmogverordnung 1996
Frequenz
Effektivwerte der elektrischen Feldstärke (E) und der magnetischen Flußdichte (B)
E (V/m)
B
0 f < 162/3 Hz
keine Regelung
keine Regelung
162/3 Hz
10.000
300 µT
162/3 Hz *
20.000
600 T
162/3 < f < 50 Hz 
keine Regelung
keine Regelung
50 Hz
5.000
100 µT
50 Hz *
10.000
200 µT
50 Hz < f < 10 MHz
keine Regelung
keine Regelung
10 - 400 MHz
27,5
0,073 A/m
400 - 2.000 MHz
1,375 f
0,0037 f A/m
2.000 - 300.000 MHz
61
0,16 A/m
*: bei kurzfristigen (magnetische Flußdichte, 5% der Zeit) bzw. kleinräumigen (elektrisches Feld) Feldbelastungen.

Anmerkung: IRPA legt im NF-Bereich nur die Werte für 0 und 50 Hz fest, während die deutsche Verordnung Grenzwerte für 162/3 und 50 Hz ausspricht.

Aber es kommt noch besser. Im § 4 werden Regeln für Vorsorgemaßnahmen festgelegt: "Zum Zweck der ausreichenden Vorsorge kann die zuständige Behörde bei der Errichtung oder wesentlichen Änderung von Niederfrequenzanlagen in der Nähe von Wohnungen, Krankenhäusern, Schulen, Kindergärten, Kinderhorten, Spielplätzen oder ähnlichen Einrichtungen verlangen, daß in diesen Gebäuden oder auf diesen Grundstücken abweichend von § 3 Satz 2 Nr. 1 und 2 (2-facher IRPA-Wert für kurzzeitige und kleinräumige Belastungen, die Red.) auch die maximalen Effektivwerte der elektrischen Feldstärke und magnetischen Flußdichte den Anforderungen nach § 3 Satz 1 (=IRPA-Werte, die Red.) entsprechen müssen". Das heißt kurz gesagt: Die zuständige Behörde kann in der Nähe von Wohnungen u. ä. Vorsorgewerte in Höhe der IRPA-Werte festsetzen. Damit werden die IRPA-Werte, die sich keinesfalls als Vorsorgewerte verstehen, kurzerhand zu Vorsorgewerten uminterpretiert. Diese allein schon methodisch äußerst fragwürdige Vorgehensweise kommt dem Wunsch der Verbände der Energiewirtschaft nach, die im Juli 1995 in ihrer Stellungnahme zum Entwurf der Elektrosmogverordnung vorschlugen, die IRPA-Empfehlungen lediglich als Vorsorgewerte anzuwenden und höher liegende Schutzwerte zu verabschieden. Die von einigen Bundesländern vorgeschlagenen Vorsorgewerte in Höhe von 10 µT wären damit endgültig vom Tisch - falls der Bundesrat der Verordnung zustimmt. Ganz zu schweigen von Vorsorgewerten kritischer Institute und unabhängiger Fachgremien (NCRP, Elektrosmog-Report 1(8), 1995), die aus Vorsorgegründen die Einhaltung von 0,2 T fordern.

Weitere Details

Die für den NF-Bereich zuständige Behörde bleibt nach wie vor unbenannt. Im Verordnungstext steht ohne weitere Erklärung nur "die zuständige Behörde".

Die einzigen Details, die gegenüber dem Entwurf strenger wurden, sind die Begrenzung der "Zulassung von Ausnahmen" (§ 8) und die Verkürzung der Übergangsfristen (§ 10). Beide Paragraphen verlieren allerdings auch durch die allgemeine Abschwächung der Verordnung einen Großteil ihrer ursprünglichen Bedeutung.

Fast unnötig zu erwähnen ist, daß die besondere Bedeutung von Transienten und Pulsung (bis auf die Begrenzung der Spitzen auf das 32-fache des Grenzwertes), ebenso wie der besondere Schutz anerkannt sensibler Bereiche ohne Berücksichtigung bleiben.

Folgekosten

"Ziel der Verordnung ist es, durch Vorgabe verbindlicher Maßstäbe die gebotenen Schutz- und Vorsorgemaßnahmen sicherzustellen und zugleich zur Verfahrensvereinfachung und Investitionssicherheit in den genannten Infrastrukturbereichen beizutragen" (Sprechzettel für den Regierungssprecher).

Breiten Raum nehmen in der Begründung die "Kosten und Preiswirkungen ein". "Bund und Gemeinden werden nicht mit Kosten belastet. Den Ländern entsteht zusätzlicher Verwaltungsaufwand bei der Überwachung der Verordnung". Der zusätzliche Kostenaufwand für Personal und Meßgeräte wird selbst in bevölkerungsreichen Bundesländern unter 2 Mio. DM pro Jahr bleiben. "Im Bereich der Hochfrequenzanlagen wird mit nennenswerten zusätzlichen Kosten nicht gerechnet. ... Im Bereich der Niederfrequenzanlagen rechnet die Stromwirtschaft für Nachbesserungsmaßnahmen bei bestehenden Anlagen und für den Mehraufwand bei den in den nächsten Jahren geplanten Neuanlagen mit Kosten, die einen zweistelligen Millionenbetrag allenfalls geringfügig überschreiten". Hierdurch ist jedoch "kein meßbarer Einfluß auf Preisniveau, insbesondere das Verbraucherpreisniveau zu erwarten ist".

Fazit

Die neue Elektrosmog-Verordnung zeichnet sich aus durch immer kleinere Anwendungsbereiche, Grenzwerte für die Allgemeinheit, die unter bestimmten zeitlich und räumlichen Bedingungen beim Doppelten der IRPA-Schutzwerte liegen und sog. Vorsorgewerten, die den IRPA-Schutzwerten entsprechen, aus. Die Verordnung läßt aufgrund von Ungereimtheiten, Ungenauigkeiten und Unklarheiten großen Spielraum für gerichtliche Auseinandersetzungen.

Für den Umwelt- und Verbraucherschutz bedeutet die Verordung einen großen Rückschritt. Die Sorgen der Menschen vor der zunehmenden Elektrosmogbelastung, auf breiten Konsens beruhende Vorschläge bzgl. echter Vorsorgemaßnahmen, neue wissenschaftliche Erkenntnisse und Hinweise zur gesundheitlichen Bedeutung spezieller Feldverläufe, Frequenzen und Pulsungen sowie die technische Machbarkeit einer Vielzahl von Feldminimierungsmaßnahmen finden keinerlei Eingang in die neue Verordnung (vgl. Elektrosmog-Report 1(6) 1995 und 2(5) 1996). Dagegen werden zentrale Forderungen der Elektrosmogverursacher berücksichtigt. Wichtigstes Ziel der Verordnung ist es, Betreiber und Behörden vor allen relevanten Kosten zu bewahren.

Michael Karus und Peter Nießen

nova-Institut

[Zitierweise dieses Artikels: Karus, M., Nießen, P.: Niederlage für Umwelt- und Verbraucherschutz: Elektrosmogverordnung verabschiedet. Elektrosmog-Report 2 (6), S. 5-8 (1996)]
 
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Epidemiologie

US-Studien fanden keinen Zusammenhang zwischen EMF und Gehirnkrebs bei Kindern

In der diesjährigen Januarausgabe des American Journal of Epidemiology wurden zwei neue US-amerikanische Studien zum Zusammenhang zwischen Gehirnkrebs bei Kindern und Hochspannungsleitungen veröffentlicht. Bei beiden Studien fand sich kein Zusammenhang zwischen der Stärke des niederfrequenten elektromagnetischen Feldes und dem Auftreten von Gehirnkrebs.

Tumore des zentralen Nervensystems machen etwa 20% aller kindlichen Tumore aus. Fast alle diese Tumore sind bösartig. 97% dieser bösartigen Tumore sind Gehirntumore. Gesicherte Ursachen sind bisher nur einige seltene genetische Ursachen und ionisierende Strahlen (z. B. Röntgenstrahlen). Seit Erscheinen der Studie von Wertheimer und Leeper (Denver, Colorado) im Jahre 1979 gerieten auch elektromagnetische Felder (EMF) in den Verdacht, das Risiko für kindliche Gehirntumore zu erhöhen.

Seither wurden weitere retrospektive (rückblickende) Studien mit allerdings widersprüchlichen Ergebnissen durchgeführt. So fanden Savitz et al. (1988) keine Zunahme von kindlichen Gehirntumoren bei EMF-Belastungen über 0,2 µT, während Tomenius (1986) eine Zunahme des Risikos um den Faktor 3,7 bei Belastungen über 0,3 µT ermittelte. Andere Studien waren hinsichtlich der aufgenommenen Kinder zu klein (66 oder weniger), um überhaupt einen Effekt aufzeigen zu können.

Die neue Studie von Susan Preston-Martin und Mitarbeitern (Universität von Südkalifornien in Los Angeles) ist Teil einer größeren Untersuchung über Ursachen kindlicher Hirntumore.

In die Preston-Studie wurden 298 Kinder mit primären Gehirntumoren aufgenommen, die jünger als 20 Jahre alt waren und deren Diagnose zwischen 1984 und 1991 gestellt worden war. Sie wurden mit 298 Kontrollpersonen gleicher Alters- und Geschlechtsverteilung verglichen. Die Magnetfelder aller Wohnungen, in denen diese 596 Kinder von der Konzeption (Empfängnis, Befruchtung) bis zur Diagnosenstellung bzw. bis zum Referenzdatum gelebt hatten, wurden bestimmt durch Ermittlung eines fünfstufigen Wire-Codes (eine Kodierung nach der Verkabelungskonfiguration) und durch Messungen der Magnetfelder (Spotmessungen, Magnetfeld-Profile). In einem Teil der Wohnungen (n=211) wurden 24-Stunden-Magnetfeld-Messungen (alle 10 Sekunden) im Kinderzimmer und einem weiteren Raum, in dem sich das Kind häufig aufhielt, vorgenommen.

Der Median der Magnetfeldbelastungen war am höchsten in Wohnungen, deren Wire-Code als "sehr hoch" eingestuft wurde (0,11 µT im Kinderzimmer und 0,13 µT in einem weiteren Raum) und war tendenziell niedriger bei niedrigen Wire-Codes. Diese Beziehung war allerdings nicht monoton, d. h. es fanden sich zum Teil auch höhere mediane Werte bei vergleichsweise niedrigen Wire-Codes.

Die Häufigkeit von Gehirntumoren nahm bei Zunahme der Magnetfeldbelastung im Kinderzimmer oder in einem weiteren Raum, in dem sich die Kinder häufig aufhielten, nicht zu (Wahrscheinlichkeit für Trend p=0,98 bzw. p=0,46). Es gab nicht sehr viele Wohnungen mit einer medianen Belastung von mehr als 0,2 µT im Kinderzimmer (ca. 11% der gemessen 24-Stundenprofile). Die Autoren weisen allerdings daraufhin, daß "bei sehr hohen Belastungen in Innenräumen (größer als 0,3 µT) die Resultate mit der Hypothese eines erhöhten Risikos vereinbar sind." Allerdings sei die Anzahl der Personen, die in so hoch belasteten Wohnungen lebten, zu gering gewesen, um einen klaren Effekt zu zeigen.

Neben den Messungen wurden umfangreiche Befragungen hinsichtlich der Benutzung von elektrischen Heizdecken, von elektrischen Wasserbetten, elektrischen Uhren und anderen elektrischen Geräten durchgeführt. Einzig bei der Verwendung elektrischer Wasserbetten während der Schwangerschaft fand sich eine grenzwertig signifikante Erhöhung des Risikos um den Faktor 2,1 (Konfidenzintervall: 1,0-4,2).

Die Preston-Studie stellt die bisher umfangreichste Studie zur Untersuchung des Zusammenhangs zwischen elektromagnetischen Feldern und kindlichen Hirntumoren dar und könne - wie die Autoren schreiben - dennoch "nicht die Kontroverse über eine hypothetische Beziehung lösen."

James G. Gurney und Mitarbeiter von der Universität Washington fanden bei ihren Untersuchungen an 133 Kindern und 270 Kontrollen ebenfalls keinen Zusammenhang zwischen EMF und kindlichen Gehirntumoren. Es wurden allerdings keine Messungen durchgeführt, sondern nur Wire-Codes zur Klassifikation verwendet. Es fand sich zudem keine Assoziation zwischen dem Auftreten von Hirntumoren und der Verwendung elektrischer Geräte.

Charles Poole von der Universität Boston, der die Studien in der gleichen Zeitschrift kommentierte, weist daraufhin, daß Wertheimer und Leeper (1979) in ihrer ersten in Denver durchgeführten Studie einen Zusammenhang zwischen EMF und Leukämie sowie zwischen EMF und Hirntumoren gefunden hätten. Fände sich nun in der sehr sorgfältig durchgeführten Preston-Studie kein Zusammenhang zwischen EMF und Hirntumoren, so sei auch der andere Zusammenhang zwischen EMF und Leukämie unwahrscheinlich.

Möglicherweise tritt ein erhöhtes Risiko für Hirntumoren allerdings erst bei höheren EMF-Belastungen auf (> 0,3 µT bzw. > 0,5 µT), während für Leukämien ein erhöhtes Risiko bereits bei etwas niedrigeren Dosen auftritt (> 0,2 µT). (In der Denver-Studie war die Magnetfeldbelastung im Durchschnitt deutlich höher als in der Los Angeles-Studie.)

Diese These wird unterstützt durch die jüngst von Feychting, Ahlboom und Ohlsen durchgeführte skandinavische Metaanalyse: Es fand sich keine Zunahme des Risikos für Hirntumoren bei 0,2 µT, allerdings eine statistisch nicht signifikante Verdopplung bei 0,5 µT. Für Leukämien fand sich bei Werten über 0,2 µT eine Verdopplung des Risikos gegenüber Werten unter 0,1 µT, bei 0,5 µT eine Verfünffachung (vgl. Elektrosmog-Report 2 (4), S. 10 (1996)).

In Deutschland ist eine magnetische Flußdichte von mehr als 0,3 µT in Wohnungen recht selten (vgl. Elektrosmog-Report 2 (3), S. 6-8 (1996).

[Zitierweise dieses Artikels: US-Studien fanden keinen Zusammenhang zwischen EMF und Gehirnkrebs bei Kindern. Elektrosmog-Report 2 (6), S. 8-9 (1996)].

Quellen:

  1. Preston-Martin, S., Navidi, W., Thomas, D., Lee, P.-J., Bowman, J., Pogoda, J.: Los Angeles study of residential magnetic fields and childhood brain tumors. Am. J. Epidemiol, 143, 105-119 (1996).
  2. Gurney, J. G., Mueller, B. A., Davis, S., Schwartz, S. M., Stevens, R., Kopecky, K. J.: Childhood brain tumor occurrence in relation to residential power line configuration, electric heating sources, and electric appliance use. Am. J. Epidemiol, 143, 120-128 (1996).
  3. Poole, C.: Invited commentary: Evolution of epidemiologic evidence on magnetic fields and childhood cancers. Am. J. Epidemiol, 143, 129-132 (1996).
 
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Bundesverband gegen Elektrosmog gegründet

Am 24. April 1996 wurde im Bonner Wasserwerk der "Bundesverband gegen Elektrosmog" gegründet. Anwesend waren etwa 100 Teilnehmer. Nach Grußworten der Bundestagsabgeordneten Dr. Manuel Kiper (Bündnis 90/ Die Grünen) und Horst Kubatschka (SPD) moderierte Prof. Günther Käs von der Bundeswehruniversität Neubiberg die folgenden Fachvorträge. Prof. Dr. Dr. Hans-Georg Haas sprach über die Unzulänglichkeiten statistischer Untersuchungen bei kleinen Fallzahlen. Dr. Lebrecht von Klitzing hielt eine programmatische Rede, in der er nur kurz auf sein Fachthema der NF-gepulsten Hochfrequenz einging. Rechtsanwalt Mathias Krist schließlich erläuterte den Stand der Rechtsprechung auf dem Gebiet des Nachbarschutzes vor elektromagnetischen Feldern.

Friederike Kochem vom Hessischen Landesverband gegen Elektrosmog übernahm anschließend die nicht immer einfache Aufgabe, den Beschluß der Vereinssatzung durch die Anwesenden zu leiten. Sie wurde von der Versammlung zur ersten Vorsitzenden gewählt, ihr Stellvertreter wurde Manfred Fritsch.

Der neu gegründete Verein soll die zahlreichen Aktivitäten gegen den Elektrosmog bündeln, deren Präsenz auf Bundesebene stärken und so eine bessere politisch-ökologische Akzeptanz der Elektrosmogproblematik erreichen.

Dr. Klaus Trost

Wissenschaftsladen Bonn e. V.

Der "Bundesverband gegen Elektrosmog" will nicht nur Selbsthilfe organisieren, sondern auch Forschungsarbeiten initiieren. Dazu soll ein wissenschaftlicher Beirat ins Leben gerufen werden. Ziel ist es, den Interessenverbänden der Telekommunikations-, Elektronik- und Energieversorgungsunternehmen nicht das Feld der Elektrosmogforschung vollständig zu überlassen.

Aktuell wird sich der Bundesverband mit der "Verordnung über elektromagnetische Felder" (vgl. Beitrag in dieser Ausgabe) beschäftigen. Die Verabschiedung der Elektrosmogverordnung mit ihren hoch angesetzten Grenzwerten würde die derzeitige Situation noch verschlechtern. Denn anders als eine Verordnung ist die jetzt noch für EMF geltende DIN/VDE-Norm 0848 rechtlich nicht bindend. Bislang können sich die Gerichte an strengeren Vorsorgewerten anderer Institutionen orientieren und einzelne Bundesländer zusätzliche Vorsorgewerte verabschieden. Es steht zu befürchten, daß solche rechtlichen Spielräume verlorengehen, wenn der Bund jetzt einheitliche, aber nicht weitreichende Bestimmungen durchsetzen sollte.

P. S.: Mitglieder des "Bundesverbandes gegen Elektrosmog" erhalten den Elektrosmog-Report über den Bundesverband zum halben Abopreis.

Kontakt: Bundesverband gegen Elektrosmog, Friederike Kochem, Klosterstr. 9, 65391 Lorch, FAX: (06775)8543.

Quellen:

Dr. Volker Schütte (Fraktion Bündnis 90/Die Grünen): persönliche Mitteilung.

"Bundesverband will Initiativen bündeln", in: Ökologische Briefe Nr. 20, 15.5.1996.
 
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Wiederholung der Brustkrebsstudie von Löscher

Larry Anderson von dem bekannten US-amerikanischen Forschungslabor Batelle Pacific Northwest Lab in Richland erhielt einen mit 1,5 Millionen Dollar dotierten Forschungsauftrag von der NIEHS (National Institute of Environmental Health Science) zur Wiederholung der Brustkrebsstudien von Wolfgang Löscher und Meike Mevissen.

Löscher und Mevissen von der Tierärztlichen Hochschule Hannover hatten einen krebsfördernden Effekt von niederfrequenter EMF in einem Brustkrebsmodell an Ratten ermittelt (Elektrosmog-Report, 1(1), S. 5-6, 1995). Ratten, die eine bestimmte Menge DMBA, eine chemische krebserregende Substanz, erhalten hatten, die im allgemeinen bei etwa 50% der Tiere Brustkrebs auslöst, entwickelten unter niederfrequenter EMF-Belastung (50 Hz) mehr bzw. häufiger Tumoren bzw. Vorstufen von Tumoren als ohne EMF-Belastung. Es fanden sich Hinweise auf einen dosisabhängigen Effekt bei magnetischen Flußdichten zwischen 0,3 T und 100 T. Bei magnetfeldexponierten Tieren fanden sich zudem in der Dunkelphase erniedrigte Konzentrationen des Hormons Melatonin.

Löscher setzt seine Studien mit finanzieller Unterstützung des Bundesumweltministeriums (vgl. Elektrosmog-Report 2(1), 1996) und des US-amerikanische Department of Energy fort.

Anderson will mit seinen umfangreichen Studien im Juli beginnen und zunächst die Studie von Löscher und Mevissen exakt wiederholen, d. h. dreimonatige Exposition gegenüber einem 50-Hz-Wechselfeld von 100 T nach Gabe von täglich 5 mg DMBA. Daneben sollen Untersuchungen mit einem 60-Hz-Magnetfeld vorgenommen werden, wie es in den USA verwendet wird. Später sollen die Expositionszeiten auf 6 Monate ausgedehnt und die DMBA-Dosen verringert werden.

Neben Anderson versucht auch Bo Holmberg vom schwedischen Institut für das Arbeitsleben in Solna Gelder für die Wiederholung der Studien von Löscher zu erhalten.

Quelle: Microwave News 16 (2), S. 5, (1996).


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