Frauen - willige Opfer der Medizin?
Früherkennung, Hormone, Geburtsmedizin auf dem Prüfstand kritischer Wissenschaft
- Wege zu einer zeitgemässen Praxis


Autor: Prof. Elina Hemminki 
Keywords: Frauenheilkunde, evidence based medizine, klinische Forschung, Medizinkritik, Patienteninformation, Evaluation, Hormontherapie, Gynäkologie, Menopause
Abstract:
Copyright: Texte: Stiftung PARACELSUS HEUTE
HTML-Gestaltung:  Bernhard Harrer Wissenstransfer

Autoren
Begrüßungen
Die alterndeFrau

Prof. Elina Hemminki,
Hormone nach der Menopause - Nützliche Prävention oder umstrittenes Geschäft?
Regina Stolzenberg,
Wie entstehen Menopause-Symptome? - Das Erleben der Wechseljahre im transkulturellen Vergleich
Dr. Misha Cohen,
Wechseljahrbeschwerden im Lichte der traditionellen chinesischen Medizin
Prof. Arthur E. Imhof,
Erfüllt leben, in Gelassenheit sterben - Der moderne Wahn, dem Tod ein Schnippchen schlagen zu können
Die schwarze Madonna/Theater
Die schwangere Frau
Die krebsgefährdete Frau
Moderne Medizin
 
 

Hormone nach der Menopause - Nützliche Prävention oder umstrittenes Geschäft?

(Original-Titel des englischen Vortrags: Postmenopausal hormone therapy - Time to act, or time to debate?)

Prof. Elina Hemminki
National Research and Development Centre for Welfare and Health, Helsinki/Finland

Die Menopause und die Postmenopause sind Phänomene, die es früher in der Medizin gar nicht gab. Und jetzt plötzlich will man eine Erklärung für alles finden. Es ist sehr interessant zu sehen, wie stark sich die Gewichtung eines solchen Phänomens innerhalb von 15 bis 20 Jahren ändern kann.

Ich möchte mich zuerst mit der Antwort auf die Frage im Titel befassen, dann die von mir verwendeten Termini erläutern, das Ausmass der Verwendung dieser Termini und was die Experten davon halten, und dann über die gesundheitlichen Vor- und Nachteile und andere Auswirkungen und Nebenwirkungen sprechen. Schliesslich möchte ich noch einiges herausgreifen, was noch weiterbehandelt oder diskutiert werden müsste.

Ich beginne also mit der Antwort auf die Frage: Ich meine, dass die Zeit für eine Auseinandersetzung und Diskussion gekommen ist und wir gegen den allgemein verbreiteten Enthusiasmus, Hormone zur Behandlung einzusetzen, einschreiten sollten und Massnahmen überlegt werden müssen.

Begriffe

Ich werde über die Hormontherapie sprechen, die prophylaktisch nach dem Klimakterium, und nicht zur Behandlung von Symptomen während des Klimakteriums, verwendet wird. Ich werde nicht über die Menopause an sich, d.h. über die Regelblutungen oder die Zeit unmittelbar danach sprechen, sondern über die Postmenopause, also die ganze Zeit danach.

Welches sind nun die Fragen im Zusammenhang mit der Postmenopause nach dem Aussetzen der Regelblutung und der Hormontherapie? Wenn Sie die gegenwärtige Literatur oder auch die Laienpresse zu diesem Thema studieren, werden Sie sehen, dass da verschiedene Themen behandelt werden. Viele betreffen die Verwendung von Hormonen: Wie sollen sie verwendet werden? Wer soll sie wofür und wie lange verwenden? Werden sie zu viel oder zu wenig verwendet? Und die zweite wichtige Frage, die oft zur Sprache kommt: Welches sind die Auswirkungen auf den Gesundheitszustand und welche Nachweise haben wir diesbezüglich? Ferner werden - wenn auch in geringerem Masse - Themen wie Akteure, Interessengruppen, das Geld, das dahinter steht, behandelt. Ich werde mich im wesentlichen auf die letztgenannte Frage konzentrieren, aber auch die anderen Punkte noch ansprechen.

Ausmass der Hormon-Therapie

Zunächst einige Zahlen, um das Schema in Bezug auf die Verwendung von Hormonen in Finnland zu beschreiben. Abbildung 1 zeigt Verkaufszahlen von 1981-1993, in Tagesdosen ausgedrückt. In den vier skandinavischen Ländern ist der Verkauf innerhalb eines Jahrzehnts von 10 Tagesdosen pro 1'000 auf 35 Tagesdosen pro 1'000 angestiegen. Und ähnlich ist es in den anderen skandinavischen Ländern, obwohl Finnland das extremste Beispiel ist. Wie steht das nun in Beziehung mit der Anzahl der Frauen, die diese Hormone verwenden? Wir haben im Jahre 1989 eine Erhebung durchgeführt. Es ist die aktuellste, die wir haben. Wie Tabelle 1 zeigt, hat etwa die Hälfte der Frauen, die um die 45 Jahre alt waren, nach der Menopause manchmal eine Hormontherapie angewandt. Ein Viertel wendete die Hormontherapie noch zum Zeitpunkt der Befragung an. Die Verkaufszahlen sind in der Zwischenzeit rasch angestiegen. Wir schätzen deshalb, dass seither mehr als die Hälfte der Frauen Hormone eingenommen hat und gegenwärtig noch ein Drittel der Frauen diese Therapie anwendet. Wir sprechen also von einem sehr weit verbreiteten Phänomen.

Die Verkaufszahlen in Zahlen ausgedrückt sind ebenfalls sehr interessant (denn sie zeigen, welche Interessen eigentlich dahinter stehen). Eine Million Finnmark zwischen 1981 und 1993, wie Abbildung 2 zeigt. Der Verkauf ist sogar höher als bei den Antikonzeptiva, und er ist ganz wesentlich angestiegen. Alle europäischen Länder - ich habe entsprechende Daten studiert - haben in den letzten 20 Jahren einen Zuwachs in der Anwendung der Hormontherapie zu verzeichnen. In einigen Ländern ging es schneller, in anderen etwas langsamer. In den Vereinigten Staaten war die Entwicklung eher gegenläufig. Die Anwendung der Hormontherapie begann dort in den frühen 60er Jahren und ging dann, in der Mitte der 70er Jahre plötzlich sehr stark zurück. Ich weiss aber, dass es neuere Statistiken gibt, die zeigen, dass die Anwendung der Hormontherapie wieder zugenommen hat und man heute wieder auf dem Stand der Mitt-70er Jahre angekommen ist. Das zeigt also, wie die Hormontherapie auf andere Informationen im medizinischen Bereich reagiert hat. Insbesondere das Risiko von Gebärmutterkrebs hatte einen starken Rückgang in der Verabreichung von Hormonen zur Folge.

Experten-Empfehlungen

Was empfehlen die Sachverständigen? Unter Sachverständigen verstehe ich die klinischen Experten, die Gynäkologen. Tabelle 2 ist eine vereinfachte Darstellung von Publikationen und Vorträgen, die ich gehört habe. Unter Experten verstehe ich hier Personen, die auch wissenschaftliche Studien publiziert haben. Es gibt zwei Schulen: Die eine Schule sagt, dass die Hormontherapie allen Frauen in der Postmenopause verabreicht werden sollte, wenn keine Kontraindikationen vorliegen. Die Dauer der Einnahme ist unterschiedlich, von 5 Jahren bis zum Tod. Die zweite Schule sagt, dass nicht jede Frau Hormone einnehmen sollte, sondern nur die Frauen, die ein hohes Risiko haben, entweder an Osteoporose oder an Herzkranzgefässkrankheiten zu erkranken. Die Gruppen sind aber so breit definiert, dass in der Praxis eigentlich kein grosser Unterschied zwischen diesen beiden Schulen und Empfehlungen besteht.

Wir haben bei finnischen Gynäkologen und anderen Fachexperten eine Erhebung durchgeführt und sie nach ihrer Meinung in Bezug auf die Vor- und Nachteile der postmenopausalen Hormontherapie befragt und was sie überdies von der Verabreichung von Gestagen halten. Diese Erhebung wurde im Jahre 1989, also vor 6 Jahren durchgeführt. Ich bin sicher, dass wenn man diese Untersuchung zum heutigen Zeitpunkt wiederholen würde, die Anzahl der positiven Antworten noch grösser wäre. Was ich in dem Zusammenhang als interessant erachte, ist der Unterschied zwischen den Gynäkologen und den Internisten. Die Gynäkologen waren in jeder Hinsicht stärker für die Hormontherapie. Die meisten dachten, sie hätte eine positive Auswirkung auf Herzkranzerkrankungen. Interessant ist auch, dass sie glaubten, dass die Hormontherapie das subjektive Wohlbefinden der Frau, ihre Gemütsverfassung und den Alterungsprozess insgesamt positiv beeinflusst. Die Internisten waren in jeder Hinsicht zurückhaltender. Was die Gesundheitsschäden angeht, dachten viele, dass die Hormontherapie eventuell gesundheitliche Schäden in der Brust, also Brustkrebs, verursachen könnte. Aber nicht alle. Nach weiteren gesundheitsschädigenden Auswirkungen befragt, nannten sie die möglicherweise auftretenden Menstrualblutungen. Das war ihrer Meinung nach der gravierendste Nachteil im Zusammenhang mit der Hormontherapie. Sie dachten, dass das für die Frau vielleicht unangenehm sei. Aber ansonsten sahen sie in dem Zusammenhang keine grossen Probleme.

Nutzen und Schaden

Ich spreche jetzt über Sex, gesundheitlichen Nutzen und gesundheitliche Schäden. Was wissen wir darüber? Den gegenwärtigen Wissensstand könnte man wohl am besten mit dem Wort Verwirrung definieren. Es handelt sich dabei ja nicht um "Medizin" im allgemein üblichen Sinne. Es ist etwas besonderes. Wir sprechen hier über eine Therapie, die es seit ca. 1940 gab und die seit 1960 in den Vereinigten Staaten sehr weitgehend, und seit 1980 in den anderen Ländern zur Anwendung kam. Potentiell sprechen wir also über die Hälfte der Weltbevölkerung, die davon betroffen ist. Es ist also eine wirklich sehr grosse Zielgruppe. Und trotzdem besteht nach wie vor Konfusion in Bezug auf dieses Thema.

Ich werde nun ganz kurz ausführen, was als Vorteil gewertet wurde und welche Beweise dafür angeführt wurden. Anschliessend möchte ich meine eigene Meinung dazu ausführen. Abbildung 3 zeigt die Argumente für die Verwendung der Hormontherapie in der Postmenopause. In den 60er Jahren war es also ganz eindeutig die Verabreichung von Hormonen, sobald Symptome auftraten, aber auch zur allgemeinen Verbesserung des Wohlbefindens der Frau und zur Erleichterung des Alterungsprozesses. Dann gab es eine Zeit, wo man etwas zurückhaltender wurde wegen des gehäuften Auftretens von Unterleibskrebs und Brustkrebs. In den 80er Jahren trat dann aber plötzlich die Osteoporose ins Scheinwerferlicht. Und etwas später, in den 80er Jahren, die Herzerkrankungen, die der Therapie wiederum zum Aufschwung verholfen haben.

In den 70er Jahren - und das sind Argumente dagegen - entstand eine Kontroverse. Man fürchtete, dass sich die Hormontherapie negativ auf die Gebärmutter und die Herzkranzgefässe auswirken würde. Und in den 80er Jahren war es dann die Angst vor Brustkrebs, die als Hauptargument gegen die Hormontherapie vorgetragen wurde. Tabelle 3 zeigt eine Analyse von Daly, die ich einer medizinischer Fachzeitschrift entnommen habe. Man geht also davon aus, dass wenn eine Frau während 10 Jahren - also vom 50. bis 59. Altersjahr - Hormone einnimmt, sie etwa 0,17 Jahre (2 Monate) länger leben wird. D.h., wenn die Daten von Herzerkrankungen und Hüftbrüchen usw. mitberücksichtigt werden und vorausgesetzt, dass Brustkrebs dadurch nicht vermehrt auftritt. Das ist also nicht sehr viel, wenn aufgrund der Therapie ab dem 60. Altersjahr ein erhöhtes Risiko von Brustkrebs angenommen wird. Wenn es ein niedriges Risiko ist, hat es fast keinen Einfluss auf die Lebenserwartung. Wenn ab dem 60. Altersjahr ein höheres Risiko besteht, dann ist der Gesamteffekt in Bezug auf die Lebenserwartung sogar negativ. Die meisten heute verfügbaren Daten in Bezug auf die gesundheitlichen Auswirkungen betreffen also Herzerkrankungen, Osteoporose und Knochenbrüche sowie Brustkrebs. Diese Daten basieren aber alle, mit Ausnahme der Osteoporose, auf Erhebungen und nicht auf experimentellen Daten. Ich werde später noch darauf zurückkommen, weil das in dem Zusammenhang nicht unerheblich ist.

Wir haben aber nur unzureichendes Wissen und fast gar keine Daten in Bezug auf andere gesundheitlichen Auswirkungen. Was bewirkt diese Therapie z.B. im Hinblick auf andere Arten von Krebs, z.B. Gebärmutterhalskrebs oder Darmkrebs oder andere Stoffwechsel-Krankheiten, beispielsweise Diabetes oder Arthritis usw.? Neuerdings wird u.a. auch behauptet, dass die Alzheimersche Krankheit mit dieser Therapie hinausgezögert bzw. verlangsamt werden kann, usw. Es gibt sehr viele Behauptungen, aber fast keine Beweise und wissenschaftlichen Untersuchungen. Das einzige, was wirklich untersucht wurde, ist der kurzfristige Einfluss auf die Osteoporose. Und der ist ganz eindeutig positiv. Brüche, die aber später, nach der Hormontherapie auftreten und wie oder ob sie im Zusammenhang mit der Hormontherapie stehen, da existiert sehr wenig Material. Diese Zusammenhänge sind unklar und wurden nicht analysiert.

Wieso so wenig gesichertes Wissen?

Ich habe einige Dinge zusammengestellt, die vielleicht erklären, warum wir so wenig über die gesundheitlichen Auswirkungen dieser Therapie wissen. Selbst nach so vielen Jahren der Verwendung und nach verschiedenen, d.h. Hunderten von Erhebungen, die über den Zusammenhang von allgemeinem Gesundheitszustand und der Verwendung von Hormonen durchgeführt wurden.

Die erste Erklärung dafür ist, dass es zwar sehr viele Hinweise bezüglich der Hormontherapie gibt, in der Literatur und in der Diskussion aber vieles durcheinandergeworfen wird. Ich spreche hier wieder von der präventiven Hormon-Therapie. Und es gibt viele verschiedene Medikamente, viele Gestagene, andere Substanzen und verschiedene Kombinationen, mit denen Hormone verabreicht werden können.

Im weiteren bestehen auch sehr grosse kommerzielle und wirtschaftliche Interessen daran, diese Therapie zu fördern und zu verbreiten. Zum letzten Punkt werde ich mich nicht speziell äussern. Das ist ein separates Thema eines einzelnen Vortrages. Es ist aber ein sehr interessantes Gebiet. Wahrscheinlich ist dieser Faktor der entscheidenste, um eine Erklärung dafür zu finden, dass wir auf dem Gebiet ein derart geringfügiges Wissen haben.

Viertens gibt es, wie bereits erwähnt, keine wirklich sicheren Untersuchungen der Auswirkungen in Bezug auf die Prävention. Alle Versuche, die gemacht wurden, betreffen nur kurzfristige Veränderungen apparativer Werte (Knochendichtemessung, Lipidstatus etc.). Man kann daraus keine Schlüsse auf den allgemeinen gesundheitlichen Effekt ziehen. Und auch die kurzfristigen Auswirkungen werden, ohne lange zu überlegen, sehr leicht auf langfristige extrapoliert, obwohl sie total verschieden sind. Und man schliesst einfach vom Prämenopause-Hormonstatus auf den Postmenopause-Hormonstatus. Die Situation der Hormone in diesen beiden Phasen ist aber durchaus nicht dieselbe. Ich möchte darum erläutern, warum meines Erachtens Versuche in Bezug auf den präventiven Nutzen der Hormontherapie bei chronischen Krankheiten notwendig sind.

Wieso sind randomisiert-kontrollierte Studien nötig?

Wir haben gestern über die randomisierten Versuche, die RCTs und über ihre Grenzen gesprochen. In diesem Fall sind RCTs absolut unerlässlich. Es gibt drei Gründe dafür, weshalb man nicht in der Lage ist, aus Laborwerten oder nichtexperimentellen Ergebnissen ein schlüssiges Urteil abzuleiten: 1. Viele früheren Untersuchungen haben gezeigt, dass zum Beispiel ein Zusammenhang von Cholesterin-Werten und Infarkten zu einer falschen Nutzens-Annahme der Therapie geführt haben. 2. Störfaktoren wie der Selektions-Bias. 3. Wir müssen den Gesamteffekt kennen. Es genügt nicht zu wissen, was die Hormontherapie in Bezug auf Herzkranzerkrankungen oder Brustkrebs bewirkt. Wir brauchen Daten über die Gesamt-Mortalität und -Morbidität. Prinzipiell könnte man eine nicht-experimentelle Kohorten-Untersuchung durchführen. In den Vereinigten Staaten gab es eine Untersuchung, die dem sehr nahe kam. Aber auch dort wurden nicht alle relevanten gesundheitlichen Ergebnisse miteinbezogen.

Die Verfälschung der Ergebnisse durch einen Selektions-Bias ist meines Erachtens sehr wichtig. Ich habe das in Abbildung 4 hier noch einmal aufgezeichnet. Wenn wir eine Gruppe von Frauen, welche Hormone eingenommen hat vergleichen mit einer Gruppe von Frauen, die keine Hormone eingenommen hat, stellen wir in allen Untersuchungen fest, dass die Frauen, die Hormone genommen haben, besser abschneiden. Sie leben länger und haben weniger Probleme. Können wir nun davon ausgehen, dass dies auf die Einnahme von Hormonen oder auf etwas anderes zurückzuführen ist? Sind die beiden Frauengruppen überhaupt vergleichbar? Die Frauen sind vielleicht verschieden. Die Frauen mit guter Gesundheit können sich bezüglich des Wunsches, Hormone einzunehmen, möglicherweise anders verhalten als die zweite Gruppe. Es könnte auch sein, dass die Ärzte unterschiedlich reagieren, dass sie bei den einen Hormone verschreiben und bei den anderen nicht. Die Dauer der Behandlung kann ebenfalls einen Einfluss auf die Auswirkungen haben. Wir sehen also, dass bei den Frauen, die Hormone nehmen, der positive Effekt entweder auf den bereits bei Beginn der Einnahme besseren Gesundheitszustand der Frauen in der ersten Gruppe zurückzuführen sein kann. Der Aspekt, ob sich die Frauen, die Hormone nehmen von denen unterscheiden, die keine nehmen, ist erneut untersucht worden mit dem Resultat, dass sich die Frauen, die Hormone nehmen, tatsächlich von denjenigen Frauen unterscheiden, die keine nehmen. Sie haben schon eine andere Einstellung gegenüber ihrer Gesundheit und dadurch auch eine bessere Prognose. Eine Erhebung, die in Finnland im Jahre 1989 bei Frauen durchgeführt wurde, kam zu folgenden Resultaten: Bei 17 von 21 untersuchten Gesundheits-Indikatoren zeigten Nicht-Benutzerinnen einen schlechteren Zustand wie diejenigen, die Hormone einnahmen. Ähnliche Ergebnisse liegen auch aus den Vereinigten Staaten und England vor.

Indirekte (intangible) Gesundheits-Effekte

Ich habe mich auf den Gesamt-Effekt, auf die positiven und negativen Auwirkungen auf die Gesundheit konzentriert. Welche sonstigen Neben- oder Auswirkungen kommen im Zusammenhang mit einer langfristigen Hormontherapie, die sich über mehrere Jahre hinzieht, in Frage? Es gibt nämlich auch noch andere als nur körperliche Auswirkungen. Man kann Veränderungen feststellen in
- der Einstellung zur Gesundheit,
- der Nutzung von Dienstleistungen,
- dem Bild, das die Frau von sich selbst hat.
- Man kann sich auch vorstellen, dass Frauen die ziemlich beunruhigende Vorstellung haben, dass sie, wenn sie einmal 50 sind, irgendwie unzureichend bzw. nicht mehr vollständig oder unversehrt sind.
- Wie sind die Beziehungen zum Geschlechtspartner?
- Und etwas sehr wichtiges: Die Behandlungskosten. Die Behandlung ist teuer, und es sind gewisse Unkosten damit verbunden.
- Ein weiterer Punkt sind die Verwendungen von Ressourcen in Forschung und Gesundheitsaufklärung.

Welcher Handlungs-Bedarf

Ich finde, dass wir RCTs (d.h. bessere Studien) brauchen. Vor 1 1/2 Jahren wurde eine Serie von Tests durchgeführt. Eine andere Reihe von Untersuchungen läuft in England und eine in Frankreich. Die Versuche in Europa sind Interlabor-Untersuchungen. Aber ich glaube, wir brauchen noch weitere Untersuchungsthemen.

Ferner müssen die Frauen und auch die Ärzte über die Unzulänglichkeiten des heutigen Wissensstandes und über die gesundheitlichen Auswirkungen informiert werden. Denn meine Untersuchungen haben doch gezeigt, dass offensichtlich auch die Ärzte nicht ganz auf dem Laufenden waren. Sie schrieben dieser Therapie einen grösseren Nutzen zu, als es in Wirklichkeit der Fall ist.

Dann möchte ich auch die Pharmaindustrie und die Werbung in Frage stellen. Die Werbung ist sehr positiv und sieht überhaupt keine Probleme im Zusammenhang mit dieser Therapie, die "eine wirklich glänzende Gelegenheit sein soll, um den Gesundheitszustand der alternden Frau zu verbessern". Es ist überdies ein sehr grosser Markt. Ich glaube kaum, dass die Pharmaindustrie hier sehr leicht zurückzuhalten ist. Aber wir müssen tun, was es zu tun gibt. Worüber sollten wir also noch diskutieren? Ich denke, wir sollten handeln.

Diskussions-Bedarf

Welches sind die Interessengruppen und wer steht dahinter? In Abbildung 5 habe ich einige Interessengruppen zusammengefasst. Alle Interessengruppen tun es wegen des Geldes. Es gibt aber darüberhinaus noch andere Motive, die für die Anwendung der Hormontherapie spechen. Wissenschaftler, Praktiker, sie alle ziehen einen Vorteil aus dieser Therapie. Nicht nur Geld, sondern auch Macht und Ansehen, insbesondere die Ärzte. Sie werden viel wichtiger als früher, in dieser neuen Rolle, den Tod hinauszuschieben und das Altern leichter zu machen. Welches sind also die Interessengruppen und was für eine Rolle haben sie? Das sollte diskutiert werden.

Was sollten wir tun, während wir auf die RCT-Ergebnisse warten? Vielleicht dauert es noch 5 bis 10 Jahre, bis entsprechende Resultate vorliegen. Und obwohl es Ergebnisse gibt, die gewisse positive Auswirkungen dieser Therapie aufzeigen, möchte ich doch die Frage stellen, ob es nicht auch ein Thema wäre, nicht nur über die positiven sondern auch über die negativen Auswirkungen zu sprechen? Es gibt ja Fälle, die dann tatsächlich eher an Brustkrebs erkranken. Ist es also gerechtfertigt, einige Frauen zu retten, wenn andere dadurch einen Schaden erleiden oder belastet werden? Und das sollte auch in Bezug auf andere präventive Massnahmen diskutiert werden. Wäre es nicht viel besser, Herzkreislauf-Erkrankungen mit einer Veränderung von Rauchergewohnheiten, Diät-Ratschlägen und Stressreduktion vorzubeugen, als mit Hormonen? Was ist das für eine Gesellschaft, die mit Medikamenten oder Drogen Prävention betreibt, anstatt mit Verhaltensänderungen oder Änderungen von gesellschaftlichen Normen und Vorschriften, wie wir es bisher getan haben? Was wird uns ganz generell eine solche Zukunft bringen?

Ich möchte das Beispiel "Hormontherapie in der Postmenopause" allgemein gültiger behandeln, um in zukünftigen Fällen eine verfrühte Einführung von Technologien oder Medikamenten zu verhindern. Denn ich glaube, dass diese Tendenz auch in anderen Gebieten besteht. Das Beispiel "Hormontherapie in der Postmenopause" kann dazu dienen, in anderen Bereichen ähnliches zu vermeiden.

DISKUSSION

Johannes G. Schmidt:
Ich möchte hinsichtlich der Zunahme von Brustkrebs und anderen Arten von Krebs noch eine Frage stellen: Sie haben erklärt, dass die Auswahl in Kohorten-Untersuchungen oder entsprechenden Untersuchungen für uns eine Frage offen lässt. Nämlich die, ob es die Auswahl der Frauen war oder die Behandlung, die im Endeffekt das Ergebnis erzielte. Und wenn Sie denken, dass ein Bias vorliegt, die Frauen also von vornherein schon eine bessere Gesundheit hatten, dann könnte es sein, dass die Häufigkeit von Brustkrebs nach denselben Kriterien fälschlich zu tief geschätzt wird. Verbirgt also dieser Bias nicht eine höhere Inzidenz von Brustkrebs in sich, als es sich aus den vorhandenen Studien ergibt?

Elina Hemminki:
Ja. Ich glaube die Kritik, dass man keine experimentellen Daten hat, um gesundheitliche Auswirkungen zu bewerten, gilt auch hierfür. Die Ergebnisse, die wir in Bezug auf Brustkrebs haben, sind also ebenso schwach. Ihre Hypothese ist, dass die Angaben, die wir aus den Erhebungen erzielen, zu gering sind. Nicht wegen der Selektion oder Auswahl, sondern weil die Ärzte - insbesondere in den Vereinigten Staaten - in der Verschreibung von Hormonen sehr zurückhaltend waren, weil sie an das Risiko von Brustkrebs dachten. Sie haben Frauen mit einem hohen Risiko für Brustkrebs ohnehin aus diesen Untersuchungen ausgeschlossen. Ich glaube, dass bei dieser Therapie das tatsächliche Risiko von Brustkrebs in Wirklichkeit viel höher liegt, als es sich aus den Ergebnissen ergibt.

Johannes G. Schmidt:
Dann haben Sie erwähnt, dass im Falle von Osteoporose gezeigt werden konnte, dass diese Hormonbehandlung positive Auswirkungen hat. Soweit ich weiss, ist das nur in der Sekundärprävention und nicht in der Primärprävention der Fall. Also bei den kranken und nicht bei den gesunden Frauen.

Elina Hemminki:
Ich glaube, dass es eine ganze Reihe von Versuchen gibt, insbesondere in Dänemark, die zeigen, dass die Hormontherapie eine positive Auswirkung auf Osteoporose hat. Es ist aber nicht klar, was das bedeutet. Nämlich, ob es den Rückgang der Knochenmasse im hohen Alter verlangsamt oder ob einfach eine zeitliche Verschiebung stattfindet. Im Falle von Osteoporose ist es relativ gut bewiesen. Was aber die Auswirkungen in Bezug auf eine mögliche Anfälligkeit für Knochenbrüche angeht, ist es nicht erwiesen. Osteoporose hängt mit der Dichte der Knochen zusammen und nicht mit der Anfälligkeit für Brüche.

Anonyma:
Gibt es Ihrer Meinungnach Unterschiede bei der Zunahme von Brustkrebs, je nachdem, ob Sie von einer reinen Östrogen-Therapie ausgehen oder von einer Kombinationstherapie? Und wenn ja, d.h. wenn eine Kombinationstherapie mit Gestagen zur Anwendung kommt, gibt es da irgendwelche Unterschiede oder wurde es bei allen Frauen angewandt? Oder wurde bei hysterektomierten Frauen eine reine Östrogen-Therapie oder eine zyklische Abgabe von Gestagen beispielsweise alle 3 Monate o.ä. angewandt?

Anonyma:
Ich möchte zur Osteoporose etwas sagen. Soviel ich weiss gab es Kontrolluntersuchungen, die eine Reduktion der Knochenbrüche gezeigt haben. Der Anspruch, dass Hüftgelenkbrüche verhindert werden können, scheint inzwischen etwas zurückgenommen worden zu sein. Es werden viele Knochendiche-Messungen vorgenommen. Das bedeutet, dass die Berechnungen von Helena Davis(?) über Schenkelhals-Brüche sehr relevant sind. Was die Frage der Nutzung von Dienstleistungen angeht, haben wir uns dafür eingesetzt, dass die vollumfänglich informierte Frau selbst entscheiden soll, ob sie diese Therapie in Anspruch nehmen will oder nicht. Aber das entscheidende ist doch, dass sie aufgeklärt wird und dass sie gesund bleibt. Warum sollte sie dann automatisch wie eine Patientin in einem bestimmten Alter behandelt werden? Wir haben versucht, dagegen vorzugehen. Wir sind also nicht der Meinung, dass die Frau sich andauernd Tests unterziehen sollte, nur weil man ihre eine Hormontherapie verabreichen will.

Elina Hemminki:
Ich habe überhaupt nur von einer Kombinationstherapie gesprochen, denn das ist die Standardtherapie in Finnland. Östrogene alleine wende ich nur bei hysterektomierten Frauen an. In Bezug auf Brustkrebs weiss ich leider nichts. Es existieren sehr wenige Daten. Eine schwedische Untersuchung hat ein grosses Risiko gezeigt. Die Anzahl der untersuchten Frauen war aber wie gesagt sehr klein. Zu Ihrer Information: Im New England Journal of Medicine wurde vom kurzem eine sehr umfassende Untersuchung über die kombinierte Hormontherapie veröffentlicht. Sie kam zum Schluss, dass die Auswirkungen auf Brustkrebs etwa gleich sind, wie bei der Abgabe von Östrogen allein. Aber auch hier ist die Anzahl der Frauen, die diese kombinierte Therapie in Anspruch nahm, ziemlich gering. Hinsichtlich der Dienstleistungen möchte ich folgendes sagen: Die Frauen selbst unterziehen sich, um sicher zu gehen, gerne solchen Untersuchungen. Blutungen sind aber ein Problem. Wenn Blutungen auftreten, weiss man nie, ob das auf die Hormone oder sonst etwas zurückzuführen ist. Das ruft also doch eine gewisse Unsicherheit bei der Frau hervor. Und deshalb geht sie zum Arzt und lässt sich untersuchen, um herauszufinden, was los ist. Die Hormontherapie verursacht nämlich bei den meisten Frauen von Zeit zu Zeit Blutungen, manchmal sogar regelmässig. Das sind also sicherlich Gründe, warum die Frauen diese Dienstleistungen in Anspruch nehmen. Aber es gibt nicht sehr viele und eher ungenaue Angaben hierüber.

Stefan Lange:
Sie sagten: "Wir haben einen Rückgang bei den Knochenbrüchen festgestellt." Ich glaube nicht, dass das richtig ist. Es gab zwar eine Untersuchung, aber sie wurde nicht richtig interpretiert. Etwas weiteres: Wenn man sich die Statistiken in Bezug auf die Hüftgelenkbrüche ansieht und sie in drei Kategorien aufteilt - Fallstudien, retrospektive Untersuchungen und prospektive Untersuchungen -, sieht man, dass bei den Falluntersuchungen ein sehr grosser Effekt abzulesen ist. Wenn Sie sich aber die retrospektive Kohorte ansehen, ist die Wirkung sehr viel kleiner, und in der letzten Kategorie ist überhaupt kein Effekt ersichtlich. Ich zweifle daran, ob die Östrogene Osteoporose wirklich verhindern werden. Johannes Schmidt sagte, dass Östeporose möglicherweise verhindert werden kann, wenn sie in Bezug auf die Densitometrie interpretiert wird. Ich glaube aber, dass das nicht ganz ausreicht. Das ist so, als ob man eine Herzkranzerkrankung als Ansammlung von Fettstoffen im Blut definieren würde. Und das wäre auch nicht zufriedenstellend.

Elina Hemminki:
Es geht auch gar nicht um die Frage, ob Osteoporose dadurch zurückgeht oder nicht. Osteoporose sollte meines Erachtens sowieso anders behandelt werden. Denn sonst bekommt die Hälfte der Bevölkerung überhaupt keinen Rat. Es betrifft ja nicht nur Frauen, sondern auch Männer.

Johannes G. Schmidt:
Ich möchte nochmals einen wichtigen Punkt klarstellen: Als Osteoporose galt früher eine klinische Krankheit. Heute hat man Osteoporose neu als das Risiko von Knochenbrüchen definiert. Es ist nicht mehr eine Krankheit an sich, sondern das Risiko von Knochenbrüchen. In all diesen Untersuchungen und in solchen, die von der Prävention der Osteoporose sprechen, beugt man also nur einem Risiko vor und nicht der eigentlichen Pathologien wie z.B. Frakturen. Ich möchte überdies nochmals richtigstellen, dass die Studie, die eine tatsächliche Reduktion der Frakturen gezeigt hat, eine sekundärpräventive Untersuchung war. Es gibt keine primärpräventive Untersuchungen, die das klar nachweisen könnten.

Anonyma:
Früher haben wir in der Schweiz Östrogen und Gestagen Frauen verabreicht, die noch eine Gebärmutter hatten, was aber zu erhöhtem Gebärmutterkrebs geführt hat und jetzt bestätigt wurde. Nun wird den Frauen, die keinen Uterus mehr haben, nur noch Östrogen verabreicht. Und das über mehrere Jahre hinweg. Aber ergibt sich daraus nicht ein Risiko für ihre Brust?

Elina Hemminki:
Ich glaube nicht, dass es diesen Frauen besser gehen wird, wenn man ausser Östrogen noch Gestagen verabreicht. Eine schwedische Untersuchung hat gezeigt, dass Gestagene wesentlich gefährlicher für die Brust sind als Östrogene.

Johannes G. Schmidt:
Ich möchte noch etwas klarstellen, damit hier auch korrekt argumentiert wird: Ist es richtig zu sagen, dass die Zunahme von Krebserscheinungen ebenfalls auf unzureichende Untersuchungen zurückzuführen ist? Das müssen wir uns vor Augen halten. Genauso wie wir nicht genau wissen, ob Osteoporose oder Herzkranzerkrankungen wirklich reduziert werden. Wir sind nicht ganz sicher, dass die Krebs... (Bandende)

Elina Hemminki:
(...) Die amerikanische Untersuchung allein wird diese Antworten nicht geben können. Auch europäischen Studien sind dazu notwendig.

Anonyma:
Ich möchte dieses Thema noch ein bisschen verlagern hin zur Frage, wie die einzelnen Regierungen auf diese Frage reagieren. Und welche Legitimität und Autorität der Verwendung von Hormonen verliehen wird durch die Tatsache, dass die Regierungen dafür zu bezahlen bereit sind. Ich war vor etwa drei Jahren in Österreich und habe festgestellt, dass die Regierung dort in der Tat die Hormontherapie bezahlt. Ich war auch in den Niederlanden, und auch dort bezahlt die Regierung oder erstattet eine Hormontherapie zurück. Wie können wir also die Ärzte davon abhalten, sie zu verschreiben, wenn die Regierungen überzeugt zu sein scheinen, dass das gut ist und sie auch dafür bezahlen?

Elina Hemminki:
Das ist ein wichtiger Punkt. Denn die Hormontherapie wird auf allen Ebenen, sogar auf den obersten Ebenen gefördert. In der Schweiz gab es vor ein paar Wochen einen Kongress der Europäischen Menopause-Gesellschaft zum Thema "Hormontherapie". Dazu wurden alle Gesundheitsministerien aus Europa eingeladen. Die Vertreter der Ministerien wurden dann gebeten, diese Informationen in ihren Ländern in Massnahmen umzusetzen. Es wird jetzt sehr interessant sein festzustellen, wie die einzelnen Länder das durchsetzen werden. Und wer und in welchem Grade das durchsetzen wird. - Es war eine sehr clevere Konferenz im übrigen.

Johannes G. Schmidt:
In der Schweiz selbst war diese Konferenz vielleicht nicht so wirksam. Die Vorbereitung dieses Symposiums und die Informationen, die über diese Konferenz vermittelt wurden, waren wirkungsvoller. Denn unsere Regierung hat beschlossen, dass präventive Hormontherapie nicht auf der Liste der rückerstattbaren Gesundheitsausgaben stehen soll. Ich war als Berater tätig.

Elina Hemminki:
Wir stehen natürlich jetzt vor der Aufgabe, das zu verteidigen, um auch zu sehen, wie es sich in der Praxis anlassen wird. Wir können ja dann einen Vergleich anstellen zwischen Schweiz, Deutschland und Frankreich.

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