Frauen - willige Opfer der Medizin?
Früherkennung, Hormone, Geburtsmedizin auf dem Prüfstand kritischer Wissenschaft
- Wege zu einer zeitgemässen Praxis


Autor: Johannes G. Schmidt
Keywords: Frauenheilkunde, evidence based medizine, klinische Forschung, Medizinkritik, Patienteninformation, Evaluation, Geburtshilfe, Hebamme, 
Abstract:
Copyright: Texte: Stiftung PARACELSUS HEUTE
HTML-Gestaltung:  Bernhard Harrer Wissenstransfer
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Paracelsus Heute - Stiftung zeitgemässe Praxis und kritische Wissenschaft in der Medizin
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Autoren
Begrüßungen
Die alternde Frau
Die schwarze Madonna/Theater
Die schwangere Frau

Ottilia Grubenmann,
Hebammen im Wandel der Zeiten - 58 Jahre Hebamme
Dr. Marina Marcovich,
Medizin und Mutternähe in der Betreuung von Neugeborenen - Wieso glauben wir an die Überlegenheit der medizinischen Technik?
Dr. Ruth Baumann-Hölzle
Was ist lebenswert? - Schicksals-Ergebenheit und Macher-Sein im lebendigen Austausch
Norma M. Swenson, M.P.H.
Hebammen, die moderne Medizin und die Reform der Geburtshilfe - Die Rolle der Frauenbefreiung
Dr. Johannes G. Schmidt,
Was ist "normal" in der Schwangerschaft? - Der Routine-Ultraschall als Spielzeug für Surrogat-Diagnosen und falsch positive Befunde
Prof. Murray W. Enkin,
Wirksame Massnahmen in Schwangerschaft und Geburt - Hält sich die Praxis an dieses Wissen?
Dr. Marsden Wagner,
Wieviel Technik ist gut für die Schwangerschafts-Vorsorge? - Die Rolle sozialer Faktoren
Dagmar Ehling,
Schwangerschaft und Geburt im Lichte der traditionellen chinesischen Medizin - Woraus könnte Schwangerschafts-Vorsorge bestehen?
Die krebsgefährdete Frau
Moderne Medizin

Was ist "normal" in der Schwangerschaft? - Der Routine-Ultraschall als Spielzeug für Surrogat-Diagnosen und falsch positive Befunde

Johannes G. Schmidt
Allgemeinpraxis und Institut für Klinische Epidemiologie, Einsiedeln/Schweiz

Ich möchte einen sehr kurzen Vortrag machen, wegen der Zeit. Es geht um den Ultraschall in der Schwangerschaft: Ein Spielzeug für falsch positive Diagnosen oder irrelevante Diagnosen?

Ich möchte auch hier noch einmal sehr persönlich werden. Es ist ja in der Medizin wirklich so, und ich habe das in der eigenen Familie erlebt, dass Frauen den Ultraschall wollen. Manchmal einfach, weil es so lustig ist oder schön ist oder rührend ist, das Kind schon im Bauch sehen zu können. Das andere ist auch, weil sie sich davon Schutz versprechen. Meine Frau ist heute noch wütend auf mich, weil ich ihr zu einem Ultraschall im Universitätskrankenhaus in Zürich nicht geraten habe, besser gesagt, den Rat des Gynäkologen ihr nicht weitergeleitet habe. Sie wäre genau in diese Maschine hineingekommen, und es wäre - da bin ich fast sicher - in dieser etwas komplizierten Schwangerschaft schlimmer herausgekommen. Aber sie hat sich im Stich gelassen gefühlt ohne Ultraschall. Und ich erzähle das, weil dies ganz wichtig ist. Wenn wir etwas verändern wollen, müssen wir lernen, mit Wut und Ärger so umzugehen, dass wir nicht in der Verletzung steckenbleiben. Und dass wir auch den Mut haben, die Wut der anderen Person ertragen zu lernen.

Beim Ultraschall ist es so - ich möchte eigentlich da bereits vorwegnehmen -, dass die Ultraschalluntersuchung in der Schwangerschaft, wenn sie als Routine-Untersuchung bei gesunden Frauen, bei gesunden Schwangeren, gemacht wird, das Ergebnis der Schwangerschaft nachweislich nicht verbessert. Und das ist durch viele Untersuchungen in der Zwischenzeit geklärt. Heiner Bucher und ich, wir haben das kürzlich wieder beschrieben in einem Buch, das nächstens herauskommt [1]. Also es gibt jetzt auch in der medizinischen Fachliteratur, wie Sie sehen, doch immer mehr Bücher, die auch andere Informationen enthalten. Und diese Information - es wäre schön, wenn die an die Konsumentinnen dieser Technologie gelangt. Der Titel hier ist «Ultrasound for Dating», d.h. um das Gestationsalter festzustellen, wird der Ultraschall propagiert.
 

«Normale» Schwangerschaftsdauer

Und die erste Frage, die sich stellt ist, gibt es überhaupt ein normales Gestationsalter? Das ist eine Frage, die in der Literatur nicht gestellt worden ist bis jetzt, kaum gestellt worden ist, auch nicht mehr von Frauen als von Männern.

Wenn wir nämlich schauen, wie die Wirklichkeit aussieht, aus einer grossen englischen Untersuchung, dann können Sie feststellen, dass Komplikationen - wie immer die auch gemessen werden, sei es der Gebrauch von Medikamenten, der Einsatz von Zangen, die Sektiohäufigkeit, Blutungen, kardiotokographische Abnormitäten oder kindliche Probleme -, dass die Komplikationsrate mit längerdauernder Schwangerschaftsdauer eigentlich immer mehr zunimmt (Abbildung 1). Und es
gibt nirgendwo einen Punkt, wo Sie sagen können, hier ist plötzlich ein Sprung bei den Komplikationen vorhanden.

Wenn wir nun feststellen, dass mit zunehmender Schwangerschaftsdauer, d.h. mit zunehmender Möglichkeit der Übertragung das Komplikationsrisiko zunimmt, können wir denn daraus folgern, dass mit einer Geburtsinduktion und einer künstlichen Regulierung der Schwangerschaftsdauer die Komplikationen zurückgehen? Oft wird so argumentiert, aber wir wissen es nicht. Wenn wir die Sache genau studieren, können wir nämlich gleichzeitig feststellen, dass mit zunehmender Schwangerschaftsdauer kranke Kinder, also Pathologien bei den Kindern vorhanden sind, die einerseits vermutlich dazu führen, dass eben Komplikationen auftreten und andererseits dass die Schwangerschaftsdauer länger wird. Wenn wir nun die Schwangerschaftsdauer künstlich abkürzen durch eine Induktion, ist deshalb noch lange nicht gesagt, ob wir damit etwas erreicht haben. Also, es ist ganz wichtig, dass wir bei den Statistiken lernen, genau hinzuschauen, was sie uns sagen können, und nicht immer gerade mit der Angst, die so schnell kommt, reagieren und glauben, das sei jetzt bewiesen, dass man da etwas machen müsse.

Ich möchte Euch anhand dieser Kurve (Abbildung 2) zeigen, dass offenbar die Rate der Kinder, die am «Termin» geboren werden, abhängt von der Grösse der Mutter; bei grösseren Müttern dauert die Schwangerschaft länger. Das zeigt, dass es also offenbar ganz viele biologische Faktoren gibt, die mitbestimmen, ob ein Kind etwas später oder etwas früher kommt. Und wenn wir jetzt einfach sagen: 42 Wochen, das ist die Grenze für eine Übertragung, dann ist das eine sehr willkürliche Feststellung, die überhaupt nichts aussagt biologisch. Es ist eigentlich ein statistisches Surrogat für etwas ursprünglich Biologisches, was wir beobachtet haben, eben die Übertragung im klinischen Sinn. Und das ist plötzlich zu einer unverrückbaren Definition geworden in der Medizin, wo sich alle daran halten. Und meines Wissens auch häufig die Hebammen. (Ich habe zwar den Eindruck, dass Frau Grubenmann das auch erkennen würde.)

Die Gynäkologen oder Ultraschaller, das sind zum Teil ja auch Radiologen, die behaupten nun, man könne mit der Ultraschall-Diagnose den Geburtszeitpunkt genauer vorbestimmen. Wenn wir genauer hinschauen, ist das eigentlich nur bei Kindern so, bei denen der Konzeptionszeitpunkt, d.h. bei denen die Anamnese nicht zuverlässig ist. (Und wir könnten dahinter wieder ein Sozialklassenphänomen sehen.) Und wenn nun statt die Anamnese der Ultraschall als Termin-Mass genommen wird, kann man feststellen, dass die Rate der «übertragenen» Geburten zurückgeht. Also, Sie machen anstatt anamnestische Gestationszeitbestimmung eine Ultraschall-Gestationszeitbestimmung - und ich will jetzt nicht darauf eingehen, wie das geht -, dann können Sie feststellen, dass durch die veränderte Etikettierung oder durch die Einführung einer anderen diagnostischen Wertigkeit, plötzlich die Zahl der Übertragungen zurückgeht. Und unsere guten Kollegen Ultraschaller schliessen daraus, dass damit auch die Rate der Komplikationen zurückgehen muss. Also, sie verändern an der Schwangerschaft nichts. Sie verändern nur die diagnostische Klassifizierung, die Etikettierung, und schliessen daraus, dass sie damit Komplikationen verhindern, weil ja mit der neuen Klassifizierung weniger Übertragungen herauskommen. Ich zeige Euch das einfach - so wird heute in der Medizin argumentiert.
 

Kontrollierte Studien versus falsch interpretierte Beobachtungsstudien

Und ich kann Euch zum Schluss die Ergebnisse unserer Arbeit, die wir damals im British Medical Journal publiziert haben, zeigen. Es zeigt sich, ob wir die Rate der Spontanaborte, die Life Birth Rate oder den Apgar-Score nehmen, dass sich nichts verändert durch den Routine-Ultraschall. Was wir aber feststellen können, ist ein Rückgang der perinatalen Mortalität. Nun, was heisst das wieder? Wenn Sie Ultraschall machen, dann werden Sie mehr Missbildungen entdecken. Und diese Missbildungen werden heute abgetrieben. Sie haben zum Zeitpunkt der Geburt weniger Kinder, die mit einer grossen Wahrscheinlichkeit unter der Geburt sterben würden. Und so geht auch die perinatale Mortalität zurück. Was machen unsere Ultraschall-Kollegen? Sie sagen, wir haben bewiesen, dass wir die Kindersterblichkeit reduzieren können. Anstatt, wie das ohne Ultraschall der Fall ist, dass Kinder mit Missbildungen nun als perinatale Todesfälle gelten (wenn wir keinen Ultraschall machen) gelten die plötzlich als induzierte Aborte und tauchen eben nicht mehr in der Statistik der perinatalen Todesfälle auf. Ich will Euch damit noch einmal zeigen, wie wichtig es ist, eben auch Statistik und vor allem kluges Denken hinter der Statistik zu lernen. Das gehört zu den Informationen, die wir brauchen, das gehört dazu. Das versteht jedes Kind, jede Frau versteht das, wenn man ihr das erklärt, weshalb die Ärzte falsch liegen. Und das wollte ich Euch nur kurz demonstrieren hier. Und dann möchte ich schon mit meinem Referat aufhören.

1) H.C. Bucher und J.G. Schmidt. Routine ultrasonography for dating. In: H.I.J. Wildschut, C.P.Weiner & T.J.Peters. When to screen in obstetrics and gynecology. W.B. Saunders Co. Ltd., London 1996

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