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Das Online-Magazin
des DATADIWAN
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Ausgabe Nr. 2 / November 1998 - ISSN 1435-1560
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Warum suchen wir nach Alternativen
zu randomisierten klinischen Studien?
Monophasische Prospektive Einzelfallstudie
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Autor: |
Prof. Dr. Joachim Hornung |
Keywords: |
Methodologie, Methodology, monophasische prospektive Einzelfallstudie,
single-case studies, Wirksamkeitsnachweis, Naturheilkunde, Naturopathy,
unkonventionelle Therapierichtungen, randomisierte placebokontrollierte
Doppelblindstudie, Randomized Clinical Trials, RCT |
Abstract: |
Der Artikel bezieht sich auf den Einführungsvortrag
von Prof. Dr. J. Hornung, gehalten auf dem Kreativsymposium. Er zeigt die
Gründe auf, die gegen die weitverbreitete randomisierte Doppelblindstudie
sprechen. Der Text ist eine überarbeitete Fassung eines Vortrags,
der am 15.6.1996 in Rosenfeld gehalten wurde. Er ist der Einstieg zu einem
weitergehende und das Thema vertiefenden Aufsatz, der den Titel haben wird:
"Randomisierte Doppelblindstudien - logisch fundiert?" |
Copyright: |
Patienteninformation für Naturheilkunde
e.V., Berlin 1998 |
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Startseite
Symposium Rosenfeld
Medizin und Naturwissenschaft
Um die Mitte des vorigen Jahrhunderts haben die führenden Köpfe
der Medizin, vor allem in Deutschland, sich die so erfolgreichen Naturwissenschaften
zum Vorbild genommen und zum Programm erklärt, alle Lebensvorgänge
auf der Basis naturwissenschaftlicher Gesetzmäßigkeiten erforschen
zu wollen. Dieses Programm wurde vertreten von den bekanntesten Persönlichkeiten
wie v. Brücke, du Bois-Raymond, Dietl, v. Helmholtz, Ludwig, Naunyn,
Virchow, Wunderlich. Es hat sich in der gesamten modernen westlichen Medizin,
so, wie sie an den Universitäten gelehrt wird, bis zum heutigen Tage
durchgesetzt.
Unter Wissenschaftlichkeit versteht man in unserer Zeit zwei Dinge:
Einmal die Art des methodischen Vorgehens in der medizinischen Forschung,
indem man nur das gelten läßt, was durch Analyse, Maß
und Zahl zu bestimmen ist. Zum zweiten wird vorausgesetzt, das alles Beobachtbare
letztlich auf physikalische und chemische Vorgänge zurüchzuführen
ist. Allem Forschen und Verstehen wird ein streng materialistisch-mechanistisches
Weltbild zugrundegelegt. In der Erkenntnislehre nennt man das Reduktionismus.
Der Anspruch auf Wissenschaftlichkeit in der etablierten westlichen
Medizin tritt auf gepaart mit dem Anspruch auf Alleingültikeit, Fortschrittlichkeit
und Effizienz.
Randomisierter
klinischer Versuche - der Beginn
Erst nach dem 2. Weltkrieg wurden Methoden entwickelt, um die Wirksamkeit
von Therapien wissenschaftlich, d.h. nach heutigem Verständnis: mit
statistischen Methoden, zu überprüfen. Beginnend mit der Streptomycin-Studie
in London 1948 [12] wurde seither das Instrumentarium des randomisierten
klinischen Versuchs entwickelt, verfeinert und in sehr großer Zahl
angewandt. Dem entsprechend findet sich eine nicht mehr überschaubare
Vielzahl von Berichten über randomisierte klinische Studien in der
Fachliteratur. Daneben wurde eine Methodologie dieses Forschungsinstruments
entwickelt, der wiederum zahlreiche Artikel, ganze Zeitschriften und Lehrbücher
gewidmet sind. Randomisierte klinische Versuche gelten heute als die Forschungsmethode
der Wahl, als goldener Standard, und haben den Charakter eines Paradigmas
im Sinne Kuhns [88] angenommen.
Dieses Monopol besteht jedoch nur scheinbar. Angesichts des immer wieder
erhobenen Wissenschaftlichkeitsanspruchs der Medizin wirkt es ernüchternd
zu erfahren, daß nur 10-20 % aller Therapien überhaupt wissenschaftlich
(und das heißt heute: in randomisierten Studien) überprüft
wurden, und daß für nur 5 % ein positiver Effizienznachweis
tatsächlich erbracht wurde [1, 122].
Auch heute noch gilt: Die Medizin ist in erster Linie eine Kunstlehre,
die auf individueller und kollektiver Erfahrung beruht, ebenso wie auf
Denk- und Handlungsgewohnheiten und auf Lehrmeinungen [30]. Demzufolge
werden in der klinischen Wirklichkeit auch ineffektive Therapien angewandt,
und nicht in´s Denkschema passende effektive Therapien vernachlässigt.
Die Forderung
nach objektiver Effektivität bzw. Ineffektivität
Welche Therapien aber sind, in einem objektiven Sinne, effektiv und
welche ineffektiv? Um den Streit zwischen persönlichen Ansichten,
subjektiven Erfahrungen und verschiedenen Schulen zu überwinden, hat
man nach verbindlichen Maßstäben gesucht, um einzelnen Therapieformen
das Etikett "objektiv wirksam", oder anderen das Etikett "objetiv unwirksam"
anheften zu können. Und gerade zu diesem Zweck sind die randomisierten
klinischen Versuche entwickelt worden. (Wenn im folgenden von RCT´s,
randomized clinical trials, die Rede ist, so ist damit zugleich auch die
Problematik der Verblindung und der Placebo-Kontrolle angesprochen; siehe
hierzu das Addendum am Ende dieses Artikels.) Wenn man betrachtet, mit
welcher Selbstverständlichkeit die RCT´s als alleingültiges
Forschungsinstrument angesehen werden, wenn man die Leidenschaftlichkeit
betrachtet, mit der diese immer wieder auch von der Komplementärmedizin
gefordert werden, dann könnte man glauben, daß die RCTs naturgesetzlichen
Charakter haben.
Es ist jedoch inzwischen durch zahlreiche Publikationen eine Fülle
von Tatsachen und Argumenten bekannt geworden, die Brauchbarkeit und Nutzen
der RCT´s ernstlich bezweifeln lassen. Eine hervorragende Übersicht
über die vielfältigen Gründe, die gegen die randomisierten
Studien sprechen, und die diesbezügliche Literatur findet sich bei
Heusser [48]. Vorangehende Arbeiten im deutschsprachigen Raum stammen u.a.
von Kiene [72-78], Begemann [4, 5], und Hornung [50-62]. Viele Gedanken
finden sich jedoch schon bei Kienle und Burkhardt [79].
Die Kritik an der RCT
Ich fasse im folgenden einige der wichtigsten Aspekte der Kritik an
den RCTs kurz zusammen.
RCT´s stellen im Sinne der Naturwissenschaften Experimente dar,
die dazu dienen sollen, mehr und Genaueres über den Untersuchungsgegenstand,
hier über ein Therapieverfahren, in Erfahrung zu bringen. In Experimenten
werden künstliche Bedingungen geschaffen, die von selbst so in der
Natur nicht vorkommen. Dabei besteht grundsätzlich die Möglichkeit,
daß durch die künstliche experimentelle Anordnung der Untersuchungsgegenstand
so beeinflußt wird, daß er nicht mehr sein normales Verhalten
zeigt. Dieses kann in allen experimentellen Wissenschaften vorkommen, ist
aber besonders bei der Erforschung lebender Systeme zu bedenken und nicht
zuletzt bei psychologischen und medizinischen Forschungen, wenn intelligente
Lebewesen artifiziellen Bedingungen ausgesetzt werden.
In RCT´s werden hochgradig künstliche Therapiebedingungen
gesetzt. Daher ist die Frage nach der Übertragbarkeit der Ergebnisse
auf den klinischen Alltag völlig offen [6, 13, 26, 28, 64, 65, 70,
89,120].
Charakteristisch für RCT´s sind:
-
Kollektivierung der Patienten unter Mißachtung ihrer Individualität;
-
Standardisierung der Therapie; häufig Reduktion auf eine Monotherapie;
-
Zerstörung der natürlichen Arzt-Patienten-Beziehung;
-
Nicht-Inanspruchnahme der Kompetenz des Arztes und damit Verzicht auf eine
individuelle und dem Verlauf angepaßte Therapieführung;
-
Verzicht auf gezielte Führung des Patienten auf den verschiedenen
Seinsebenen (körperlich, mental, emotional, sozial, spirituell);
-
gegenüber der normalen Behandlungssituation werden durch den informed
consent grundlegend veränderte Informationen an die Patienten gegeben,
somit veränderte Grundstimmung, Erwartungen und Compliance,
-
bei den Ärzten Forschungsmotiv statt Heilmotiv.
Diese besonderen Umstände, unter denen die Therapie innerhalb der
RCT´s durchgeführt wird, werden von Ärzten und Patienten
oft als Zumutung empfunden und lassen sie ihre Zustimmung zur Teilnahme
verweigern [8, 34, 35, 40, 67, 68, 70, 97, 110, 112, 118, 119]. Die ethischen
Probleme, denen sich die Ärzte ausgesetzt sehen, scheinen unlösbar
[4, 33, 34, 43, 46, 48, 72, 75, 77, 78, 90, 91, 93, 106, 116]. Aus ethischen
Gründen ist zu fordern, daß vor und während der Studie
bezüglich der eingesetzten Therapien Unentschiedenheit bei den Ärzten
und Studienleitern besteht, da sonst eine der Patientengruppen wissentlich
benachteiligt wäre. Diese Unentschiedenheit besteht aber häufig
nicht [20, 33, 42, 69, 75, 77, 78].
Da die Patienten in einer klinischen Studie keine Zufallsstichprobe
aus einer größeren Gesamtheit darstellen, da ihre Zusammensetzung
immer eine besondere ist, lassen sich die Ergebnisse nicht auf andere Patientenkollektive
übertragen [4, 13, 16, 27, 34, 40]. Das Problem der Verallgemeinerbarkeit
von Studienergebnissen ist nicht lösbar [56]. Da die Therapiebedingungen
immer Klinik-spezifisch, Praxis-spezifisch und Arzt-spezifisch sind, lassen
sich die Ergebnisse nicht auf andere Kliniken, Praxen, Ärzte übertragen
[24, 76, 77, 78, 109]. Die Ergebnisse von Kollektivstudien sind auf den
einzelnen Patienten nicht anwendbar [13, 17, 28, 34, 89].
Das Forschungswerkzeug RCT ist nicht validierbar, da es keinen Vergleichsmaßstab
gibt. Man weiß grundsätzlich nicht, ob die Resultate klinischer
Studien verläßlich, allgemeingültig und auf die Praxis
übertragbar sind.
Daher bleibt den Propagatoren der RCTs nichts anders übrig, als
sich auf Literaturzitate, Autoritäten und auf eine vorgebliche Logik
zu berufen. Es ist auffällig, wie wenig das Grundprinzip der RCTs,
ebenso die Prinzipien der Verblindung und der Placebokontrolle, in der
Literatur logisch begründet werden. Statt dessen wird heute durchgängig
so getan, als seien diese gottgegeben und ohne allen Zweifel gültig,
so wie dies eben bei Paradigmen im Sinne KUHN´s [88] der Fall ist.
Nach einer präzisen Begründung wird man die Verfechter oft vergeblich
fragen.
Im Gegenteil wurde in [51] gezeigt, daß nahezu dieselben Gründe,
die für das Doppelblindverfahren sprechen, auch gegen es sprechen.
Doch erst durch die Verblindung wird eine randomisierte Studie beweiskräftig,
so daß durch jene Überlegungen auch die RCTs an sich nicht mehr
fundiert sind. Das ganze Verfahren ist eben nicht logisch begründbar.
Eine Neufassung von [51] ist für den Datadiwan in Vorbereitung [63].
Mithin stehen wir vor der bedauerlichen Tatsache, daß RCTs weder
theoretisch herleitbar noch empirisch validierbar sind.
Wie steht es aber mit den praktischen Erfahrungen, die man mit ihnen
macht? Die Ergebnisse der praktischen Anwendung sind nun allerdings sehr
enttäuschend. Studien zum gleichen Thema kommen oft zu widersprüchlichen
Ergebnissen [9, 13, 32, 36, 38, 64, 66], widersprechen nicht selten der
klinischen Erfahrung, sind methodisch notorisch mangelhaft [2, 3, 8, 25,
39, 42, 47, 49, 87, 94, 105, 112, 115, 117]. Sie unterliegen einem völlig
intolerablen publication bias [14, 20, 21, 22, 41, 42, 45, 98, 101, 104,
113], sind meist schlecht dokumentiert und finden, wohl zu Recht, kaum
Resonanz in der Praxis [23, 71]. Fast alle Studien werden von Befürwortern
der beforschten Therapie oder von finanziell Abhängigen gemacht. Beteiligte
Ärzte und Studienleiter wissen, welche Ergebnisse erwünscht sind.
Auf dieser Stufe gibt es weder Verblindung, noch Objektivität noch
Unvoreingenommenheit. RCT´s sind nicht praxiskonform, ethisch bedenklich,
verfälschen den Untersuchungsgegenstand und führen zu unbrauchbaren
Resultaten. Sie sind zu groß, zu schwerfällig, zu teuer [19,
31, 44, 96]. Zum medizinischen Fortschritt tragen sie kaum bei [1, 23,
37, 48, 70, 71, 108]; sind eher innovationsfeindlich [48]. Niemals endende
Probleme ergeben sich bei der praktischen Durchführung, z.B. ist die
Verblindung nicht zu garantieren und über längere Zeit nicht
aufrecht zu erhalten [100, 102].
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Die Metaanalyse
Angesichts der Unzulänglichkeiten der RCT´s hat man jetzt
ein neues Heilmittel ersonnen: Man macht aus vielen schlechten Studien
eine gute und nennt das Verfahren Metaanalyse. Auf diese Weise können
die winzigsten Unterschiede noch signifikant gemacht werden, seien sie
auch klinisch noch so irrelevant [57] und durch die einzelnen Studien,
die in die Metaanalyse eingehen, längst widerlegt. So löst man
das Problem auch nicht [15, 24, 29, 123]. Insbesondere kommt man so dem
Experimentatoreffekt [107] nicht bei, welcher auf sehr subtiler, in der
Klinik aber auch auf recht handfester Ebene wirksam werden kann.
Obwohl all diese Dinge durch die Literatur bestens belegt und in Fachkreisen
auch bekannt sind, wird an den Säulen nicht gerüttelt. Jährlich
werden unglaubliche Summen für RCTs ausgegeben, werden Patienten in
klinischen Studien wissentlich mangelhaft, falsch oder gar nicht behandelt,
werden Entscheidungen über Zulassung und Kassenerstattung von RCTs
abhängig gemacht. Die verschiedenen Zweige der Komplementärmedizin
werden immer wieder mit dem Argument bedrängt, ihre Therapien seien
nicht wissenschaftlich, gemeint ist: mit RCTs, überprüft worden.
Das herrschende System schottet sich nach außen hin ab. Die eigenen
Methoden werden ohne Diskussion als wissenschaftlich eingestuft, obwohl
sie es zum großen Teil nicht sind. Ein Paradigmenwechsel ist nicht
in Sicht, obwohl sachlich geboten und von einigen Autoren durchaus gefordert
[5, 10, 11, 18, 34, 40, 64, 75, 77, 78, 92, 110, 116].
Das Symposion in Rosenfeld war so konzipiert, daß über die
Kritik an den RCTs nicht diskutiert werden sollte, sondern über mögliche
Alternativen. Ganz ließ sich die Thematik der Kritik jedoch nicht
vermeiden.
Die meisten Teilnehmer des Symposions arbeiten im Bereich der Komplementärmedizin
in so bekannten Richtungen wie Homöopathie, Psychotherapie, anthroposophischer
Medizin etc.. Sie sehen sich der ständigen Aufforderung der Universitäten,
der Ämter und Behörden ausgesetzt, ihre Therapieverfahren mit
sog. wissenschaftlichen Methoden zu validieren. Es wäre schön,
wenn das dazu nötige Instrumentarium bereitstünde, dann könnte
man dieser Aufforderung zumindest exemplarisch nachkommen.
Nach dem Gesagten ist aber das Gegenteil der Fall: Zunächst muß
die Unhaltbarkeit der Forderung nach RCTs gezeigt werden, sodann sind überzeugende,
brauchbare Alternativen zu entwickeln, zu erproben und zu etablieren. Damit
ist das Thema des Symposions umrissen.
Alternativen zur RCT
Welche Eigenschaften müßten nun diese Alternativen haben?
Dies ergibt sich leicht aus dem Gesagten: Alles, was den RCT´s angelastet
wurde, setze man in´s positive Gegenteil, und schon hat man einen
Wunschkatalog [54]. Ob sich all diese Wünsche in einer Methode vereinigen
lassen, bleibt abzuwarten.
Ganz oben in dieser Wunschliste stehen für mich folgende Punkte:
-
Praxiskonformität,
-
Individualität und Flexibilität der Therapie,
-
intaktes Arzt-Patienten-Verhältnis.
Als Kandidatin für die Lösung des Rätsels haben wir die
prospektive Einzelfallstudie in´s Auge gefaßt.
Wie die Dikussion auch verlaufen möge, vor einem muß ich
jedoch warnen: vor der Durchführung weiterer doppelblinder, placebokontrollierter
RCTs. Das ist Verschwendung von Zeit, Geld und Mühe, die man in Nützlicheres
investieren kann. Als Beispiel mögen die desolaten Resultate der Homöopathieforschung
[58, 111, 124] dienen.
Addendum: RCTs,
Doppelblind und Placebo
Es gibt verschiedene Typen randomisierter Studien: Nicht-blinde, einfach-blinde,
doppelblinde und mehrfachblinde Studien. Um die Vergleichbarkeit der Gruppen
sicherzustellen, muß, nach der Logik der RCT´s, mehrfach verblindet
werden. Denn Nichtverblindung führt aufgrund unterschiedlicher Einstellungen
von Patienten, Ärzten und Auswertern zu unterschiedlichen Behandlungen,
Beobachtungen, Erwartungen und Ergebnissen. Ein großes Handikap der
RCTs besteht darin, daß viele Therapien gar nicht verblindet werden
können. Gründe sind: Offensichtlichkeit bei nicht-medikametösen
Therapien, Nebenerscheinungen bei Arzneimitteln, mangelndes Einverständnis
von Ärzten und/oder Patienten mit dieser Prozedur [51]. Dort, wo die
Verblindung durchführbar erscheint, ist sie jedoch auch nicht unproblematisch:
Sie erfordert eine spezielle, psychologisch gesehen absurde Aufklärung
der Patienten, welche ihrerseits die Studienergebnisse verfälschen
kann [7, 51, 74, 77, 78, 84, 85, 103, 114, 121]. Überdies ist die
Blindheit einer Studie meist nur ein frommer Wunsch; Überprüfungen
ergeben oft das Gegenteil [100, 102], d.h., Patienten und Ärzte können
die tatsächlich angewandte Therapie oft mit einer Trefferquote von
weit über 50 % zutreffend angeben.
Bei kontrollierten Studien unterscheidet man zwischen einem absoluten
und einem relativen Wirksamkeitsnachweis. Ein absoluter Wirksamkeitsnachweis
ist nach der internen Logik der RCTs nur durch Placebokontrolle erreichbar.
Placebos spielen hier die Rolle eines vermeintlich zuverlässigen Referenzpunktes,
so wie der Nullpunkt eines Meßinstruments, was sie aber nicht sind
[5, 74, 77, 78, 96, 99].Es ist inzwischen deutlich geworden, daß
Begriff, Bedeutung und Ausmaß des Placebo-Effektes völlig ungeklärt
sind [80-83]. Zunächst einmal erweist es sich als äußerst
schwierig, in der Fachdiskussion zwei verschiedene Placebo-Begriffe genau
zu unterscheiden:
-
Ein Placebo-Effekt im engeren Sinne ist die Wirkung der Gabe eines Leerpräparates,
wenn dieses als ein Verum deklariert wird.
-
Ein Placebo-Effekt im weiteren Sinne ist die Auswirkung der gesamten Behandlungssituation
als solcher auf den Patienten minus der Wirkung der eingesetzten Therapien.
Dies wird häufig auch als Droge-Arzt-Effekt bezeichnet, was aber etwas
zu kurz greift.
Der Placebo-Effekt im weiteren Sinne sollte überhaupt nicht so genannt
werden, denn wenn kein Placebo in Form eines Leerpräparates gegeben
wird, so wäre dies ein Placebo-Effekt ohne Placebo. Leider verwendet
man aber in der englischsprachigen Literatur das Wort placebo effect oft
in dieser Bedeutung; die Begriffsverwirrung scheint unheilbar.
Eine brauchbare Definition des Placebo-Effektes in engerem Sinne findet
sich, außer in [55], wie ich meine, in der gesamtem Placebo-Literatur
nicht.
Der Placebo-Effekt im weiteren Sinne findet bei jedem Arztbesuch oder
Klinikaufenthalt statt. Sein Ausmaß ist kaum zu bestimmen. Die Additivität
zur Wirkung der spezifischen Therapie ist hypothetisch und keineswegs sicher.
Andere Formen der Interaktion sind vorstellbar.
Der Placebo-Effekt im engeren Sinne ist, wenn denn Leerpräparate
gegeben werden, immer verkoppelt mit dem Droge-Arzt-Effekt. Die Additivität
ist jedoch keineswegs sicher.
Der Placebo-Effekt im engeren Sinne ist immer auch ein Bestandteil der
Wirkung der spezifischen Therapie. Auch hier sind andere Modelle jenseits
der simplen Additivität möglich [5, 55, 73, 74, 77, 78, 86, 95,
99]. Der Therapieeffekt ist dann nicht mehr zu ermitteln.
Was das Ausmaß des Placebo-Effektes im engeren Sinne anbetrifft,
so herrschen hierüber abenteuerliche und völlig falsche Vorstellungen
[80-83]. Gewöhnlich werden alle positiven Veränderungen in der
Patientengruppe, welche Placebo erhält, als Placebo-Effekt interpretiert.
Es gibt aber zahlreiche andere mögliche Ursachen für solche Veränderungen
[80-83].
Eine genaue Betrachtung des Placebo-Begriffs zeigt, daß in randomisierten
Studien mit informed consent gar keine Placebos im üblichen Sinne
gegeben werden, sondern etwas anderes, was nur der menschliche Geist ersinnen
kann [55].
Liebe Gäste unseres Datadiwan, liebe Leserinnen und Leser, ich
bitte Sie herzlich um Ihre Mithilfe: Wenn Ihnen weitere Literatur zu dem
Thema "Kritik der RCT´s" bekannt ist, so teilen Sie mir dies in Ihrem
Kommentar bitte mit. Ihre persönlichen Erfahrungen sind natürlich
ebenfalls willkommen.
In der Hoffnung auf einen regen Gedankenaustausch,
Ihr Joachim Hornung
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