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Das Online-Magazin
des DATADIWAN
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Ausgabe Nr. 2 / November 1998 - ISSN 1435-1560
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Autor: | Dr. Helmut Kiene | |
Keywords: | Methodologie, Methodology, monophasische prospektive Einzelfallstudie, single-case studies, Wirksamkeitsnachweis, Naturheilkunde, Naturopathy, unkonventionelle Therapierichtungen, randomisierte placebokontrollierte Doppelblindstudie | |
Abstract: | Ein Vortrag der eine historische Übersicht über die Erkenntnistheorie und Methodenlehre liefert. Die grundlegende Frage, die in diesen Vortrag gestellt wird, lautet: Wie läßt sich ein therapeutischer Ursache-Wirkung-Zusammenhang, ein therapeutischer Kausalzusammenhang als solcher erkennen? | |
Copyright: | Patienteninformation für Naturheilkunde e.V., Berlin 1998 | |
Diese Fragestellung ist ein Spezialfall der allgemeinen Frage nach der Methodik des Kausalerkennens: Wie werden Ursache-Wirkung-Zusammenhänge erkannt?
In den weiteren Ausführungen soll dargestellt werden, daß es zwei grundsätzlich verschiedene Formen des Kausalerkennens gibt, insbesondere auch des therapeutischen Kausalerkennens. In der heutigen Methodenlehre der klinischen Forschung ist jedoch nur eine dieser beiden Formen repräsentiert - die Methode der statistischen Korrelation - wogegen die zweite Methode - sie wird hier die Methode der abbildenden Korrespondenz genannt - völlig vernachlässigt ist.
Die
konventionelle Methodenlehre
Die Methodenlehre kennt vier Basiselemente als Voraussetzung für
valides Kausalerkennen: das eigenaktive Manipulieren, die große
Zahl, den Vergleich und die Randomisation. Mit Blick
auf die Geschichte der der Erkenntnistheorie und Methodologie kann man
sogar die historischen Personen nennen, die diese Elemente maßgeblich
postuliert und in das öffentliche Bewußtsein gerückt haben.
Es waren Francis Bacon im 17. Jahrhundert, David Hume im 18. Jahrhundert,
Johns Stewart Mill im 19. Jahrhundert und Ronald Fischer im 20. Jahrhundert.
Francis Bacon im 17. Jahrhundert: die experimentelle
Forschung
Im 17. Jahrhundert proklamierte Francis Bacon [1], vehementer als irgendjemand
je zuvor, das grundlegende Forschungsprinzip der wissenschaftlichen Neuzeit:
das aktive, manipulative, produktive, kurz: das experimentelle Untersuchen.
Nicht nur Beobachten und Denken sollte nach Bacon das tragende Element
der Naturwissenschaft, sondern auch Tun und Machen.
Beim Experiment ist der Wissenschaftler nicht nur passiv wie beim bloß wahrnehmenden Beobachten, vielmehr unterbricht er willentlich, aktiv und gezielt den natürlichen Gang der Dinge durch sein eigenes Handeln, und dadurch wird dieses eigene Handeln zu einem aus ihm selbst hervorgehenden Ursprungsmoment: zu einer Ursache. Dieses Handlungselement ist die eigentliche, jedoch im allgemeinen unausgesprochene Grundidee des experimentellen Kausalerkennen.
Dieses Element genügt jedoch nicht allein, es muß noch weiteres hinzukommen.
David
Hume im 18. Jahrhundert: Kausalerkennen und große Zahl
Die zweite große Schlüsselfigur des sogenannten neuzeitlichen
Empirismus ist David Hume. Nach Hume gibt es kein kausales Erkennen außer
durch Wiederholung. Wenn auf A immer B folgt, dann kann man A eine Ursache
und B eine Wirkung nennen. Mit dieser Auffassung (an der es im einzelnen
vieles auszusetzen gibt) etablierte Hume die Überzeugung, daß
Kausalzusammenhänge nur an einer größeren Zahl von Untersuchungsobjekten
festgestellt werden können, niemals aber an einem Einzelfall.
John
Stewart Mill im 19. Jahrhundert: Kausalerkennen und der Vergleich
Im 19. Jahrhundert hat John Stewart Mill implizit das Baconsche Prinzip
der Eigenaktivität des Forschers und das Humesche Prinzip der großen
Zahl zusammengefaßt und sodann explizit sein eigenes, das Millsche
Prinzip der Differenzmethode hinzugefügt. Diese Differenzmethode -
d.h. das Erkennen auf der Grundlage des Vergleichens - ist nach Mill die
einzige Methode, die sicheres Kausalerkennen erlaubt. Verglichen werden
dabei Fälle oder Objekte, die mit dem zu untersuchenden Faktor A behandelt
sind, mit anderen Fällen, die nicht so behandelt sind. Wenn sich sodann
an diesen verglichenen Objekten eine Differenz ergibt, so kann diese Differenz
als Wirkung der Behandlung A betrachtet werden.
Faßt man die Prinzipien von Bacon, Hume und Mill zusammen, so erhält man den experimentellen Vergleich einer großen Anzahl von Objekten, also einen experimentellen Gruppenvergleich.
Ronald
Fisher im 20. Jahrundert: Kausalerkennen und die Randomisation
Die Methode des experimentellen Gruppenvergleichs ist nicht endgültig
zuverlässig, denn oft sind die Gruppen der Untersuchungsobjekte nicht
genau vergleichbar. Um diese Schwierigkeit zu überwinden, hat schließlich
im 20. Jahrhundert Ronald Fisher das Prinzip der Randomisation eingeführt.
Die Untersuchungsobjekte - im Falle von klinischen Studien sind es Patienten
- werden den zu vergleichenden Gruppen durch ein Zufallsverfahren zugeteilt.
Eine
professionelle Forschungstechnologie
Nun hat man schließlich eine professionelle Methodologie des
Kausalerkennens. Gerade das Element der Randomisation ist es, das einen
Kausalschluß erlaubt. Wenn nämlich unter den Bedingungen der
Zufallszuteilung eine überzufällig große Differenz
zwischen den Ergebnissen der behandelten und der nicht oder anders behandelten
Gruppe zustandekommt, dann darf dieser Unterschied eben kausal auf die
Behandlung zurückgeführt werden. Man kann dieses Prinzip des
Kausalerkennens mit einem Schlagwort zusammenfassen: Kausalität heißt
hier: Überzufälligkeit.
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Aus der Fülle entsprechender Äußerungen seien einige Formulierungen herausgegriffen:
-: "Aus medizinischer Sicht ist aber darauf hinzuweisen, daß eine qualifizierte Beurteilung der Wirksamkeit eines Mittels aufgrund von unsystematischen Einzelbeobachtungen in keinem Fall möglich ist. ... Die Frage, ob ein Mittel wirksam ist oder nicht, läßt sich grundsätzlich nicht durch einzelne Beobachtungen entscheiden. ... Unverzichtbar sind kontrollierte Doppelblindstudien an hinreichend großen Patientengruppen...." [5]
-: "Daß man 'empirisch' am Objekt zu keiner sicheren Aussage kommen kann, ohne willkürlich zu werden, ist jedem Statistiker klar... [6]
-: Speziell zur Wirksamkeitsprüfung in der Komplementärmedizin - also einschließlich anthroposophischer Medizin - wird behauptet: "Kausalität jedoch kann nur nachgewiesen werden, wenn, unabhängig vom Objekt der Untersuchung, einige formale Voraussetzungen erfüllt sind. Zu nennen ist dabei ... z.B... eine lege artis durchgeführte Randomisierung." [7]
-: "Welche Chancen hat ein skrupulöser, selbstkritischer praktizierender Arzt, den Erfolg seiner Therapien zu beurteilen und aus Mißerfolgen zu lernen? ...Er hat wenig Möglichkeiten. ...Nur mit dem Scharfsinn eines Sherlock Holmes und einer übermenschlichen Bereitschaft zur Selbstkritik hat er eine Chance auf das Erkennen eigener therapeutischer Fehler oder Ineffizienz. ...Unter diesen Umständen plädiere ich dafür, die Frage nach dem therapeutischen Erfolg der Therapie beim einzelnen Patienten wohlgemerkt beim einzelnen Patienten im gnädigen Dunkel des ArztPatienten Paktes ohne letztgültige Antwort zu belassen." [8]
Alle diese Aussagen sind jedoch Ausfluß eines Dogmas. Die statistische
Methode des vergleichenden randomisierten Studie ist eine Methode
des Kausalerkennens, aber nicht die einzige. Wie schon eingangs erwähnte,
gibt es wenigstens noch eine andere Methode. Diese andere Methode beruht
auf einem völlig anderen methodologischen Ansatz. Sie erlaubt ein
Kausalerkennen am Einzelfall, ohne große Zahl, ohne Vergleichen und
vor allem auch ohne Randomisation. Diese andere Methodik hat auch in der
Therapiebeurteilung ihren Platz.
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Dieses eine drastische Beispiel genügt, um zu sehen, daß Hume und Mill im Prinzip Unrecht hatten, daß Kausalzusammenhänge nicht nur anhand einer großen Zahl von Beobachtungen bzw. durch Vergleichen festgestellt werden, und daß in dieser Hinsicht von Fishers Randomisation überhaupt erst nicht nicht mehr gesprochen werden muß.
Singuläres
Kausalerkennen bei der Therapiebeurteilung
Die Methodik des singulären Kausalerkennens hat auch in der Medizin
ihren Platz. Zum Beispiel: Die Katheterisierung bei schmerzhaftem Harnverhalt
bewirkt eine Ausflußmöglichkeit aus der Harnblase. Dabei ist
die Katheterisierung die Ursache, und der einsetzende Harnfluß die
Wirkung. Die Struktur der Ursache (Erzeugung der Ausflußmöglichkeit
durch Katheterisierung) ist in der Struktur der Wirkung (Harnausfluß
durch den Katheter) unmittelbar zu erkennen, denn der Urin fließt
eben genau längs des Ausflußschlauches, und der Querschnitt
dieses Harnflusses entspricht genau dem Innenquerschnitt des Schlauches.
Diese präzisen Gestaltbeziehungen sind es, die keinen Zweifel an dem
Kausalzusammenhang lassen.
Andere Beispiele sind Operationen von Darmstenosen, Verschraubungen,
Schienungen, e.c.. Hier läßt sich die Gestalt der Verursachung
(z.B. operative Beseitigung der Stenose) in der Struktur der Wirkung (z.B.
Durchgängigkeit) unmittelbar beobachten.
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Zwei einfache, alltägliche Beispiele können der Verdeutlichung
dienen: Wer auch nur ein einziges Mal eine Übereinstimmung zwischen
einem Original und einem fotografischen Abbild sieht, kann - wegen des
Abbildcharakters - die Gewißheit haben, daß der Vorgang der
fotografischen Abbildung ein kausaler Prozess ist. Auch aus der Arbeit
an Computerbildschirmen sind uns heute überzeugende Beispiele vertraut.
So hat man bereits beim erstenmal, wenn man durch kreisendes Bewegen einer
Computermaus eine ebenfalls kreisförmige Curserbewegung erzeugt, sofort
die Gewißheit, daß hier ein kausaler Zusammenhang besteht.
- Warum hat man diese Gewißheit? - Aus folgenden zwei Gründen:
Zum einen ist der Abbildcharakter ebenso ein Hinweis auf eine zugrundeliegende
Kausalität, wie es die überzufällige Häufigkeitskorrelation
bei der statistischen Methode ist. Zum zweiten wird (wie bei der statistisch-experimentellen
Methode) dieser Hinweis zu einer Gewißheit durch eigenaktives Produzieren,
d.h. wenn man selbst den Abbildungsprozess veranlaßt. Diese
Gewißheit hat man auch, wenn das zugrundeliegende Kausalprinzip (d.h.
in dem Computerbeispiel: der Schaltweg der Hard- und Software) unbekannt
bleibt.
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Korrespondenz von Zeitmustern
Eine erste Art eines klinisch relevanten Abbildungsverhältnisses
ist die Korrespondenz von Zeitmustern. Diese Korrespondenz kann
immer dann zum Einsatz gebracht werden, wenn die Therapien eine unmittelbar
und kurzfristig eintretende Wirkung haben, d.h. wenn die Symptome unter
Behandlung sogleich verschwinden, aber bei Unterbrechung der Behandlung
sogleich wieder auftreten. Hier ergibt sich eine Korrespondenz zwischen
dem Zeitmuster der Behandlung und dem Zeitmuster des Symptomverlaufs.
Diese Korrespondenz von Zeitmustern liegt den konventionellen Einzelfallstudien (Single case study) zugrunde. [12,13] Ihre Auswertung erfolgt in den meisten Fällen durch visuelle Analyse des Dokumentationsmaterials, wobei eben analysiert wird, ob die Behandlungszeitmuster mit den Verlaufszeitmustern korresponieren. Wenn ja, hat man einen guten Wirksamkeitsbeleg.
Konstante Wirkungsdauern
Ein anderes interessantes Kriterium, das einen Kausalzusammenhang zwischen
Behandlung und nahfolgender Besserung zumindest wahrscheinlich macht, ist
eine konstante Wirkungsdauer. Beispielsweise wurde eine 37jährige
Frau mit Torticollis spasticus und einen weiteren Symptomenkomplex mit
Lachesis in hoher Potenz behandelt. Es kam zu umgehender Besserung, wobei
aber die Symptomatik nach 90 Tagen wieder auftrat. Auch eine zweite Lachesisbehandlung
brachte eine Besserung, wieder allerdings nur für einen Zeitraum von
90 Tagen. Nach einer dritten Lachesisbehandlung verschwand die Symptomatik
wiederum und kehrte nicht wieder. [ - In diesem Beispiel kam es zusätzlich
zu der Korrespondenz des Zeitmusters der Behanldung und des Verlaufs (dreimalige
umgehende Besserung nach Behandlung) zu der Regelmäßigkeit der
90tägigen Wirksamkeit, als habe man es mit einem Lachesis-Wirkungsgesetz
für diese betreffende Patientin zu tun. Der therapeutische Kausalzusammenhang
ist also noch eindrucksvoller als bei einer bloßen Korrespondenz
der Zeitmuster.
Verhältnis von Krankheits- oder Symptomdauer vor und nach Behandlungsbeginn
Ein wichtiges Beurteilngskriterium ist das Verhältnis der Zeitdauer
der Erkrankung oder Symptomatik vor und nach Behandlungsbeginn.
Ist die Zeitdauer nachher sehr viel kürzer als vorher, so ist das
ein Hinweis auf einen Therapieerfolg. Ist das Vorher-Nacher-Verhältnis
z.B. fünf zu vier Wochen, so spricht dieses Zeitverhältnis für
sich allein nicht für die Wirksamkeit der Behandlung. Ist aber das
Zeitverhältnis fünfzehn Jahre zu vier Wochen, dann hat man einen
starken Hinweis. Geht die Nachdauer gegen Null (Sekundenheilung), ist der
Eindruck besonders stark. Man könnte sogar quantitative Bewertungen
kreieren, ähnlich dem P-Wert in klinischen Studien.
Korrespondenz von Raummustern
Ein anderes Abbildungsmuster ist die Korrespondenz von Raummustern.
Ein Beispiel: Auf einem seit mehrere Woche bestehenden großflächigen
Hautausschlag wird eine Salbe in einer S-förmigen Linie aufgetragen,
worauf der Ausschlag entlang dieser Linie innerhalb von drei Tagen abheilt.
Ein solches Abbildungsverhältnis ist ein schöner Beweis eines
therapeutischen Kausalzusammenhangs.
(Nach der S-förmigen Abheilung wird die Salbe auf die Gesamtfläche des Hautausschlags aufgetragen, wonach der gesamte Ausschlag innerhalb weiterer drei Tage abheilt. Nun hat man drei Urteilselemente: Erstens die im Vergleich zur vorbestehenden Krankheitsdauer rasche Abheilung innerhalb von drei Tagen, zweitens die Wiederholung der Drei-Tages-Heilungsdauer, und drittens die vorangegangene S-förmige Raummuster-Korrespondenz. Nimmt man alle drei Elemente zusammen, hat man eine sehr überzeugende grundlage für ein therapeutisches Kausalerkennen. Man hat sogar den therapeutische Erfolg innerhalb eines einzigen Patienten reproduziert. Man hat also mit einem (!) Patienten demonstriert, wozu man sonst zwei randomisierte Studien benötigt.)
Korrespondenz von Dosis und Wirkung
Ein eindrucksvoller Wirkungsnachweis am Einzelfall ist das Auftreten
einer Dosis-Wirkungs-Korrespondenz, einer sogenannten Dosis-Wirkungs-Kurve.
Morphologische Korrespondenz
Es gibt verschiedenste Formen von morphologischen Korrespondenzen.
Ein Beispiel aus der Laserakupunktur: Bei einem Patienten wurde der Laserstab
nacheinander an drei hintereinanderliegende Akupunkturpunkte an seinem
Hinterhaupt gebracht. Beim Berühren des vordersten dieser drei Punkte
gab der Patient ein eigenartiges Gefühl in seinem rechten Arm an,
beim mittleren Punkt in beiden Armen, beim hinteren Punkt im linken Arm.
Beim Zurückbewegen zum mitteleren Punkt kam es wieder zu einem Gefühl
im mittleren Arm, und beim vordersten Punkt wieder im rechten Arm. [14]
- Auch wenn hier freilich kein therapeutischer Effekt demonstriert
wurde, so hat der betreffende Arzt nichtsdestoweniger einen Kausalzusammennag
am Einzelfall beobachtet und dadurch die Gewißheit erhalten, daß
etwas real sei an der Laserakupunktur.
Andere Beispiele einer morphologischen Korrespondenz gibt es bei der Leitungsanäesthesie oder Lumbalanaesthesie. Hier deckt sich das analgesierte Areal mit dem morphologischen Ausbreitungsgebiet der behandelten Nerven.
Homöopathische Korrespondenz
Ein spezielles Korrespondenzverhältnis ist in der Homöopathie
möglich, nämlich zwischen dem sogenannten "Arzneimittelbild"
des betreffenden Homöopathikums und bestimmten Änderungen im
"Symptomenbild" des behandelten Patienten. Ein Beispiel [16]: Ein Patient
mit einem bestimmten Symptomenkomplex wurde mit Nitricum Acidum behandelt.
Nach einer Besserung der Symptome berichtete er dem behandelnden Homöopath
von einem besonderen zusätzlichen Symptom, das er vorher nicht erwähnt
hatte, das nun aber ebenfalls verschwunden sei: Es war ein einseitiger,
linksseitiger Schweißfuß, der ihn seit 35 Jahren belästigt
hatte.
Dieses Symptom ist sicherlich nicht häufig. Deshalb war der Homöopath zu Recht überrascht, als er im Kent-Reperorium fand, daß genau dieses Symptom des linksseitigen Schweißfußes mit Nitricum acidum zu behandeln sei. Wieder hat man es also mit einem Abbildungsverhältnis zu tun. Es handelte sich sogar um so etwas wie eine Doppelblindstudie, denn weder wußte der Patient, daß das Mittel für seinen linksseitigen Schweißfuß geeignet sein solle, noch wußte der Arzt, daß der Patient dieses Symptom hatte. Jedenfalls hat man hier, an einem einzelnen Behandlungsfall, einen eindrucksvollen Wirksamkeitsnachweis.
Dialogische Korrespondenz
Es gibt viele andere Formen von Korrespondenzen, die ein Kausalerkennen
am Einzelfall erlauben, und zwar auch in der klinisch-therapeutischen Forschung.
Erwähnt sei hier noch die dialogische Korrespondenz. Sie ist die Grundlage
des Kausalerkennens bei Gesprächen, insbesondere auch bei belehrenden
oder therapeutischen Gesprächen. Es läßt sich in sehr vielen
Fällen anhand der spezifischen Inhalte und Strukturen der nachfolgenden
Antworten, Reaktionen oder spezifisch erlernten Fähigkeiten eindeutig
erkennen, daß und in welchem Maße eine Aussage als verursachendes
Prinzip beim Adressaten wirkt und angekommt. Gesprächstherapien, Psychotherapien,
Kreativtherapien und Kunsttherapien sind eine Domäne dieser Art des
Kausalerkennens am Einzelfall, wogegen in jenen Bereichen die herkömmliche
Methodologie der randomisierten oder gar verblindeten Studie fast vollständig
versagt.
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Solche Motive können auch therapeutische Motive - therapeutische Ideen - sein. In die betreffenden Handlungen können auch therapeutische Werkzeuge einbezogen sein. Generell kann gesagt werden: Der Kausalzusammenhang zwischen Therapiemaßnahme und eintretenden Änderungen am Patienten kann desto sicherer beurteilt werden, je komplexer und je gesättigter die therapeutische Idee ist, und je genauer und konkreter die Übereinstimmung zwischen therapeutischer Idee und Therapieergebnis ist. Besonders für Therapierichtungen, deren Selbstverständnis es mit sich bringt, daß am Einzelfall flexibel und kreativ therapiert wird, wie in der anthroposophischen Medizin, ist dieser Typus der therapeutischen Einzelfallbeurteilung von besonderer Wichtigkeit.
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Die Schwierigkeit hierbei ist, daß nur ein bloßer Unterschied, und zwar wenn möglich nur ein einziger Unterschied, abgebildet werden soll. Hierdurch ergeben sich die großen Schwierigkeiten bei der Interpretation eines solchen Experiments. Denn natürlich gibt es im Umfeld der beiden Objektgruppen beliebig viele weitere Unterschiede zwischen irgendwelchen Faktoren. Deshalb können, zumindest theoretisch, alle diese Faktoren einen Unterschied der Zielparameter bewirken, und deshalb kann, streng genommen, ein Unterschied der Zielparameter nur dann als kausales Abbild des Unterschieds der Behandlungen interpretiert werden, wenn die Kautelen einer kontrollierten Studie erfüllt sind: wenn also erstens der Behandlungsunterschied vom jeweiligen Wissenschaftler oder Wissenschaftlerteam unter selbstgewählten Bedingungen selbst veranlaßt wird, und wenn zweitens der mögliche Einfluß aller sonstigen Faktoren gleichgeschaltet sind. Für diese Gleichschaltung ist, sofern keine Hindernisse bestehen, die Randomisation das Verfahren der Wahl.
Der große Irrtum der heutigen Methodenlehre klinischer Forschung ist, daß diese Sonderform zu der einzigen und allgemeinen Form des therapeutischen Kausalerkennens erklärt wurde.
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1. Auch der Wirksamkeitsnachweis mit einer randomisierten Studie (mit beispielsweise 100 Patienten) pro Prüfarm beinhaltet nicht mehrere (beispielsweise 100), sondern nur einen einzigen Wirksamkeitsnachweis, wenn auch hier nicht der Wirksamkeitsnachweis an einem einzelnen Patient, sondern eben an einem einzelnen Kollektiv erbracht wird.
2. Das genannte Argument (daß Beobachtungen bei einem einzelnen Patienten nichts über künftige Patienten besagen) gilt genauso auch für Studien an Patientenkollektiven. Man kann mit gleicher Berechtigung sagen: Beobachtungen bei einem einzelnen Kollektiv besagen nichts für künftige Kollektive.
3. Die Vorhersage einer Therapiewirksamkeit für künftige Einzelpatienten
oder Einzelkollektive beruht in den meisten Fällen nicht auf den Beobachtungen
an einzelnen Patienten oder Kollektiven, sondern auf der jeweiligen Theorie
oder therapeutischen Idee. Nicht die Beobachtung, sondern die Theorie ist
die Grundlage für die Vorhersage. Die Untersuchungen an einzelnen
Patienten oder Kollektiven dienen also in den meisten Fällen weniger
als Basis für die Vorhersage, sondern zur Bestätigung oder Widerlegung
der therapeutischen Theorie bzw. Idee oder ihrer Umsetzbarkeit an dem betreffenden
Einzelfall.
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Der erse Irrtum ist die o.g. Auffassung von Hume und Mill, daß Kausalerkenntnisse nur anhand einer großen Zahl von Beobachtungen und nur anhand von Vergleichen möglich sei. Wie aber schon gesagt, ist diese Auffassung falsch. Der zweite Irrtum ist die Unterstellung, daß so gut wie alle Therapiewirkungen durch Placeboeffekte imitiert werden könnten. Auch diese Auffassung ist falsch. [17,18]
Abschließend sei erwähnt, daß es über die genannten Formen des abbildungsorientierten Kausalerkennens hinaus noch weitere gibt, und daß sie auch in vielfältigen Kombinationen auftreten und eingesetzt werden können. Hier eröffnet sich ein weites methodologisches Forschungsfeld, nämlich das Gebiet der objektiven Strukuren des sogenannten subjektiven ärztlichen Urteils.
Eine Domäne der Methodik des singulären Kausalerkennens wird
insbesondere die Komplementärmedizin sein, wobei allgemein gesprochen,
das Urteil des Therapeuten nichtaus der klinischen Wirksamkeitsprüfung
ausgeschlossen, sondern im Gegenteil bewußt ausgebildet und eingebracht
wird.
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Vielen Dank, Herr Kiene,
ich will kurz auf Ihren Vortrag eingehen. Ich sehe zwei Hauptpunkte,
die Herr Kiene gerade berührt hat. Zum Einen ist es die echte Kausalität,
die Herr Kiene durch die Begriffe Therapieprinzip, Einsicht und Handlungsmotiv
beschrieben hat. Das ist jedoch zu trennen von den Techniken, mit denen
man Kausalitäten dann überprüft. Beides sind Ansätze,
die uns voranbringen. Aber das haben sie in dem letzten Punkt, der Therapie-Idee
hieß und den sie dann auch Kausalität nannten extra erwähnt.
Ich glaube, das sind die zwei Bereiche, in denen wir uns jetzt dann
bewegen können und hierüber sollten wir diskutieren.
Vielen Dank für Ihren Vortrag!
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