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Das Online-Magazin
des DATADIWAN
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Ausgabe Nr. 1 /
März 1998 - ISSN 1435-1560
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Zusammenfassung:
Die Orgontheorie von Wilhelm Reich wird vierzig Jahre nach seinem Tod mehr denn je in medizinischen Kreisen diskutiert. In den Jahren 1990 bis 1994 analysierte und reproduzierte eine Arbeitsgruppe an der Freien Universität Berlin fast alle der biophysikalischen Experimenten von Reich. Der Leiter der Arbeitsgruppe stellt in persönlichen Anmerkungen einige Ergebnisse der Forschungen vor und beschreibt aktuelle Diskussionen um Reichs Hypothese der Orgonenergie. Abstract: Fourty years after his death, Wilhelm Reich‘s orgone theory is being discussed more than ever in medical circles. In the years from 1990 to 1994, a research project at Free University Berlin analyzed and reproduced nearly all of Reich‘s biophysical experiments. In personal notes, the director of this project introduces some of the findings and describes some actual discussions around Reich‘s orgone energy hypothesis. Schlüsselwörter:
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Gerade dieser Ansatz einer physikalischen Meßbarkeit von Lebensenergie
war es, der mich persönlich an Reichs Arbeit am meisten faszinierte.
Dieser vorliegende sowie weitere Texte beruhen auf den Erfahrungen,
die ich in den Jahren 1990 bis 1994, während meines Meteorologiestudiums
an der Freien Universität Berlin (FU-Berlin) als Initiator und Leiter
der ‘Arbeitsgruppe Orgon-Biophysik’ gesammelt habe. In dieser Zeit wurden
fast alle biophysikalischen Experimente Reichs unter kontrollierten Versuchsbedingungen
und mit moderner Meßtechnik nachvollzogen. Ein Teil der Arbeit fand
im Rahmen eines zweijährigen Projekttutoriums mit dem Titel "Orgon-Biophysik
- Kritische Annäherung an die biophysikalischen Arbeiten von Wilhelm
Reich" an der FU-Berlin, Universitätsklinikum Benjamin Franklin (Steglitz),
Abteilung für Naturheilkunde, bei Prof. Dr. Joachim Hornung statt,
den ich als kritischen Förderer unkonventioneller Ideen kennen und
schätzen gelernt habe, und bei dem ich mich an dieser Stelle für
seine Unterstützung aufs herzlichste bedanken möchte. Neben der
Finanzierung durch die FU-Berlin wurden die Kosten für Meßtechnik
und Geräte durch Spenden von interessierten Personen und durch Zuwendungen
durch die "Wilhelm Reich Gesellschaft zur Erforschung lebensenergetischer
Prozesse e.V." getragen, deren Mitglied ich in dieser Zeit war. Ihnen allen
möchte ich ebenso herzlich danken.
Die Ergebnisse dieser Forschungsarbeiten sind seit 1992 in mehreren Vorträgen veröffentlicht worden. Sie liegen als Kommentare und Exkurse zu Reichs ORANUR-Experiment in einer weiter unten genannten Publikation und nun auch im Diwan Magazine in schriftlicher Form vor. In dieser Art erfüllen sie Reichs Forderung nach systemimmanenter Kritik, denn sie beruhen auf einer intensiven Auseinandersetzung mit Reichs physikalischen, aber auch anderen Arbeiten, ohne dabei die naturwissenschaftlichen Denk- und Forschungsmethoden zu verlassen.
Wilhelm Reich hat auch heute noch bedeutenden Einfluß auf einzelne Strömungen der Psychotherapie, sah selbst aber eher sein Konzept einer physikalisch verstehbaren Lebensenergie als sein Hauptwerk an.
Nachfolgend sollen daher beide Ansätze kurz beleuchtet werden, wobei der Schwerpunkt meines Interesses die naturwissenschaftliche Sichtweise betrifft.
Körperorientierte Psychotherapie
Reichs körperorientierte Psychotherapie (Orgontherapie, Vegetotherapie)
gilt zumindest in Berlin seit rund zehn Jahren als avantgardistisch, und
wird von ihren Vertretern als wirkungsvoll angesehen, weil sie starke emotionale
und körperliche Reaktionen auslösen kann. Ob diese allerdings
heilsam sind wurde noch nicht ausreichend untersucht. Die Verheißung
der "orgastischen Potenz" in Reichs Therapiemodell berührt jedenfalls
viele Menschen in ihrer Sehnsucht nach Lebendigkeit und befriedigender
Sexualität. Allerdings stellt sich die Frage, ob seine Definition
von Gesundheit mittels Orgasmusreflex dem heutigen Verständnis einer
ganzheitlichen Betrachtung des Menschen noch gerecht wird, denn Reich hat
das spirituelle Element im Leben eines Menschen immer als mystische Verirrung
abgetan. (Reich: Äther, Gott und Teufel).
Die Akkumulation von Lebensenergie im Orgonakkumulator
Um die Lebensenergie medizinisch und technisch nutzbar zu machen, konstruierte
Reich verschiedene Apparaturen, unter denen der Orgonakkumulator wohl die
bekannteste ist. Der Orgonakkumulator ist ein enger Kasten aus verzinktem
Eisenblech, der nach außen hin wärmeisoliert ist und nur durch
eine kleine Öffnung einen geringen Luftaustausch mit der Umgebung
erlaubt. Man betritt ihn im allgemeinen nackt, und nimmt darin eine aufrecht
sitzende Position ein.
Warum erleben nun Menschen darin spezifische Wärmeempfindungen? Zwei universitäre Studien (Gebauer/Müschenich 1987 und Hebenstreit 1995) zeigen einen signifikanten Unterschied zwischen einem Orgonakkumulator und einer Vergleichskiste, allerdings ohne wirklich zu verstehen, wie dieser Unterschied zustande gekommen sein kann: Durch die Wärmeabgabe des Körpers von etwa 140 Watt in Ruheposition (entspricht etwa zwei Glühbirnen) erhöht sich im Inneren die Lufttemperatur, und durch die Feuchte von Haut und Atem nimmt auch die Luftfeuchtigkeit zu. Durch die Enge des geschlossenen Kastens sinkt die Luftbewegung gegen Null. Die Wärmeabstrahlung der Haut fällt wieder auf die Haut zurück, denn Infrarotstrahlung wird von Metallblech weitestgehend reflektiert. Die vier Größen Temperatur, Feuchtigkeit, Luftbewegung und Wärmestrahlung definieren gemeinsam den meteorologischen Begriff der Schwüle, und nach einiger Zeit hat sich im Orgonakkumulator ein Klima eingestellt, das so schwül ist, wie man es sonst nur in den Tropen finden kann. Um seinen Wärmehaushalt auszugleichen muß der Körper nun einige Regulationsmechanismen aktivieren: Die Blutgefäße der Haut weiten sich, um vermehrt Wärme abzustrahlen, und schließlich tritt ein deutliches Wärmeempfinden im Körper auf, allerdings ohne daß hierfür zwingend eine Lebensenergie zur Erklärung herangezogen werden müßte.
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Bild 1 zeigt, daß Lufttemperatur und Wärmestrahlung gleich
bedeutend für das Wärmeempfinden des Menschen sind. Ein Orgonakkumulator,
in dem zum Beispiel eine Lufttemperatur von 25 Grad herrscht und in dem
ein Mensch mit einer Hauttemperatur von z. B. 32 Grad sitzt, hätte
eine Wärmerückstrahlung auf den Körper, die einer Wandtemperatur
nahe 30 Grad entspricht. Bild 1 verdeutlicht, daß diese Situation
im allgemeinen als zu warm empfunden wird. Erhöhte Luftfeuchtigkeit
und fehlende Luftbewegung verstärken diese Wahrnehmung noch weiter.
Der physikalische Nachvollzug von Reichs Experimenten
In der Arbeitsgruppe Orgon-Biophysik haben wir fast alle physikalischen
Experimente von Wilhelm Reich theoretisch analysiert und experimentell
nachvollzogen. Sein Orgonenergiefeld-Meßapparat
ist in dieser Ausgabe des Diwan Magazine ausführlich dargestellt.
Außerdem wird ein Experiment zum Abbilden
von Orgonenergie auf Fotopapier beschrieben, und ein Postulat des Reichanhängers
James DeMeo über Holzäste als biologische
Indikatoren für Lebensenergie ebenfalls experimentell nachgeprüft.
Weitere Versuche Reichs und ihr Nachvollzug sind in der 1997 erschienenen Lesebegleitung zu Wilhelm Reichs Veröffentlichung "Das ORANUR Experiment, Erster Bericht" beschrieben, die der Arzt Christian Rudolph und ich gemeinsam im Verlag Zweitausendeins veröffentlicht haben. In diesem Band wird Reichs Umgang mit physikalischer Meßtechnik und mit Radioaktivität beleuchtet und kommentiert. In seinem "ORANUR-Experiment" berichtete Reich über eine Reihe physikalischer Experimente, die er seit 1938 mit dem Ziel durchführte, einen endgültigen physikalisch-meßtechnischen Beweis für seine These einer spezifischen Lebensenergie zu finden. In unserer Lesebegleitung haben wir versucht, die diesen Experimenten zugrundeliegenden physikalischen und technischen Gesetzmäßigkeiten so darzustellen, daß auch für Nichtphysiker erkennbar wird, wie die Meßergebnisse zustande kamen, die von Reich als Orgonenergie-Phänomene interpretiert wurden.
In den Exkursen unserer Lesebegleitung wird Reichs Temperaturdifferenz-Experiment,
seine Versuche mit Elektrostatik und Elektroskop, seine Arbeit mit Vakuumröhren,
seine Versuche mit dem Geiger-Müller-Zähler und mit radioaktivem
Material analysiert. Außerdem wird beschrieben, wie es mir gelang,
den berühmten Orgon-Motor nachzubauen, mit dem Reich Lebensenergie
in motorische Kraft umwandeln wollte.
Das Ergebnis von fünf Jahren Forschung zum Thema Orgonenergie
Im baugleichen Nachvollzug der Experimente konnten tatsächlich
die selben Phänomene beobachtet werden, wie sie von Reich beschrieben
wurden. Die Analyse der Versuchsdesigns und der Einsatz moderner Meßtechnik
zeigte jedoch, daß alle auftretenden Phänomene durch klassische
physikalische Effekte erklärbar sind. Ein Hinweis auf eine spezifische
Lebensenergie konnte nicht gefunden werden. Die Untersuchung von Reichs
Originalgeräten im Wilhelm Reich Museum in Rangeley, USA, brachte
gravierende Mängel der von ihm verwendeten Meßtechnik zu Tage
und ließ vermuten, daß Reich sich nicht genügend in Grundlagen
und Methodik der experimentellen Physik insbesondere der Meßtechnik
eingearbeitet hatte, um die von ihm beobachteten Effekte in geeigneter
Weise zu interpretieren. An mehreren Stellen konnte gezeigt werden, daß
Reich durchgehend Meßfehler und Experimentator-Effekte unterliefen.
Entsprechend erscheint die von ihm aus den Experimenten abgeleitete Theoriebildung
unhaltbar. Dieser Erkenntnis wurde durch die Analyse aller von Reich hierzu
veröffentlichten Texte bestätigt. Wenn es eine meßbare
spezifische Lebensenergie geben sollte, so ist Reich ihr Nachweis leider
nicht geglückt.
Orgonenergie im Zeitgeist
Aktuelle Strömungen der Beschäftigung mit dem Orgon scheinen
jedoch wenig an einer Erkenntnisforschung über Lebensenergie interessiert
zu sein, sondern versuchen vielmehr, Reichs Konzept durch eine Verknüpfung
mit modernen Zeitgeistthemen einem breiten Publikum schmackhaft zu machen.
Dabei wird der Begriff Orgontherapie abwechselnd für körperorientierte
Psychotherapie, für Sitzen im Orgonakkumulator und für den Gebrauch
von radionischen Geräten und Amuletten verwendet:
Was bleibt?
Nach jahrelanger naturwissenschaftlicher Beschäftigung mit dem
Thema der Lebensenergie halte ich persönlich Reichs Orgontheorie für
überholt. Ich sehe in ihr den Ausdruck einer Sackgasse, in die man
leicht gerät, wenn die Präzision naturwissenschaftlichen Forschens
und die Kritikfähigkeit zu kurz kommen.
Ich hoffe, daß dieses Material zu einer realistischen Betrachtung von Reichs Lebenswerk beiträgt, jenseits von schwarzweiß-Malerei, denn wie jeder andere Mensch, hatte auch Reich beides, eine Licht- und eine Schattenseite.
Berlin, den 4. 3. 1998 |
Bernhard Harrer
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