Frauen - willige Opfer der Medizin?
Früherkennung, Hormone, Geburtsmedizin auf dem Prüfstand kritischer Wissenschaft
- Wege zu einer zeitgemässen Praxis


Autor: Misha Ruth Cohen
Keywords: Frauenheilkunde, evidence based medizine, klinische Forschung, Medizinkritik, Patienteninformation, Evaluation, traditionelle chinesische Medizin, Menopause, Hormon-Ersatztherapie, 
Abstract:
Copyright: Texte: Stiftung PARACELSUS HEUTE
Copyright der HTML-Gestaltung:  Bernhard Harrer Wissenstransfer

Autoren
Begrüßungen
Die alterndeFrau

Prof. Elina Hemminki,
Hormone nach der Menopause - Nützliche Prävention oder umstrittenes Geschäft?
Regina Stolzenberg,
Wie entstehen Menopause-Symptome? - Das Erleben der Wechseljahre im transkulturellen Vergleich
Dr. Misha Cohen,
Wechseljahrbeschwerden im Lichte der traditionellen chinesischen Medizin
Prof. Arthur E. Imhof,
Erfüllt leben, in Gelassenheit sterben - Der moderne Wahn, dem Tod ein Schnippchen schlagen zu können
Die schwarze Madonna/Theater
Die schwangere Frau
Die krebsgefährdete Frau
Moderne Medizin

Wechseljahrbeschwerden im Lichte der traditionellen chinesischen Medizin

Dr. Misha Ruth Cohen
Quan Yin Healing Arts Center, San Francisco/USA

Wechseljahrbeschwerden im Lichte der traditionellen chinesischen Medizin
(Original-Titel des englischen Vortrags: Menopause - A view from traditional Chinese medicine)

Ich möchte versuchen, einen Vergleich anzustellen zwischen der westlichen Medizin und der chinesischen Medizin in bezug auf die Behandlung von Menopause-Symptomen.

«Menopause»: Ein natürlicher Vorgang

Zunächst möchte ich aber noch einmal wiederholen, was eben über die Menopause gesagt wurde: Die Menopause ist ein natürlicher Vorgang, ein ganz natürlicher Alterungsprozess, und es ist nicht notwendigerweise eine Behandlung angezeigt, weder durch westliche noch durch chinesische Medizin. Das Klimakterium selbst ist ja keine Krankheit oder eine Störung, sondern es ist ein Teil des natürlichen Alterungsprozesses einer Frau. Wenn Symptome auftreten, sprechen wir von einem Menopause-Syndrom.

Gemäss der alten, klassischen chinesischen Medizin tritt die Menopause ungefähr um das Alter von 50 ein und ist der siebte Zyklus einer Reihe von 7-Jahres-Zyklen. Das chinesische System zählt auch das erste Jahr der Fötalperiode mit. Das Aufhören der Menstruation wird gemäss TCM (Traditionelle Chinesische Medizin) als normales Bedürfnis des Körpers angesehen, Jing und Yin und das Blut zu konservieren, wenn eine Frau älter wird. Es ist somit ein ganz normaler Prozess, der dazu dient, die Körperenergie, das Blut und gewisse Körpersubstanzen zu erhalten, und der Frau zu ermöglichen, ohne Probleme in den nächsten Zyklus überzutreten. Jing und Yin sollen also erhalten bleiben. Und das ist nur möglich, wenn die Menopause vorbereitet wird. Die Regelblutung der Frau ist ein kontinuierlicher Prozess, ein Zyklus, der sich über Jahre fortsetzt und nicht einfach schlagartig aufhört. Es findet also ein Übergang statt, und die Frau muss sich darauf einstellen. Und zwar schon vor dem Eintritt der Menopause, um dann in der Lage zu sein, diesen Zyklus erfolgreich und normal abzuschliessen und um Symptome zu verhindern. Das ist eine sehr wichtige Aussage der chinesischen Medizin. Wenn sich eine Frau vorbereitet, wird sie nach der Menopause oftmals mehr Vitalität verspüren als vorher. Frauen können nach der Menopause genauso lang oder sogar noch länger leben als vorher.
 

Menopause-Symptome

Das Menopause-Syndrom kann ausser dem Aufhören der Regelblutung Hautprobleme, Austrocknen der Vaginalwände oder anderer Schleimhäute, Hitzewallungen und vermehrt Gefühle von Angst, Ruhelosigkeit, Ermüdung, Depression und andere Symptome mit sich bringen. Die chinesische Medizin wird während der peri-menopausalen Zeit, also die Jahre, wo die Menopause noch nicht eingetreten ist und die Periode immer noch vorhanden ist, die primären Bilder von Leber-Yin-Mangel, Leber-Blut-Mangel, Leber-Yang-Aufwallung und Leber-Yang-Mangel, zusammen mit
Bildern von Herz-Blut-Defizienz und Milz-Qi-Defizienz und Leber-Qi-Stau sehen.

Bis zu 50% der nordamerikanischen Frauen beklagen sich über ähnliche Symptome in Zusammenhang mit der Menopause. Das wird in Europa ähnlich sein. Diese Störungen treten insbesondere in den ersten Monaten nach dem Aufhören der Regelblutung auf. Obwohl die Symptome in den meisten Fällen nur kurze Zeit andauern und nicht alle Frauen gleichermassen betreffen, werden die Hormone oft über eine sehr lange Zeitperiode verabreicht. Frauen mit Symptomen können aber doch sehr starke Symptome haben, die sich sehr störend und schwächend auswirken, z.B. auf die Arbeit oder andere Aktivitäten. Die meisten Frauen, die Symptome haben, gehen aber zum Arzt und lassen sich behandeln. Das gilt sowohl für die westliche wie auch für die chinesische Medizin.
 

Hormon-Ersatztherapie

In der westlichen Medizin werden für starke Menopause-Symptome, wie z.B. Hitzewallungen oder vaginale Veränderungen und zur Vorbeugung von Osteoporose meistens Östrogen-Ersatztherapien verschrieben (HET), welche die abnehmende Menge des vom Körper selbst produzierten Östrogens ersetzen. Oder aber eine eine Kombination von Östrogen und Gestagen. Die HET kann für eine kleine Anzahl von Frauen angezeigt sein, falls die Menopause schon sehr früh, also vor dem Alter von 42, eintritt oder wenn ein hohes Risiko von Osteoporose besteht. Östrogen wird meistens in Form von Pillen verabreicht, v.a. um Osteoporose vorzubeugen. Östrogen-Cremen werden dann verwendet, wenn starke vaginale Symptome auftreten. In anderen Fällen, z.B. auch bei Frauen mit einer Anfälligkeit für Brustkrebs, ist die HET jedoch nicht angezeigt.

Aus der Sicht der chinesischen Medizin kann die Verabreichung von Östrogen aber auch zu einer weiteren Stauung des Leber-Qi führen, was zusammen mit einer Chong Mai-Störung tatsächlich zu Brustkrankheiten und in schwereren Fällen zu Brustkrebs führen kann. Wenn sich die Tamoxifen-Versuche als erfolgreich herausstellen, werden vielleicht einmal viele Frauen mit Brustkrebsrisiko Tamoxifen verschrieben bekommen, was ein echtes Problem ist. Diese Frauen haben bekanntlich Hitzewallungen und können nicht auch noch Hormone verschrieben bekommen. Als Antiöstrogen-Substanz leert Tamoxifen das Yin. Ein Problem in der Menopause ist ein Mangel an Yin. Und hier wird eine Substanz verabreicht, welche Yin noch mehr entleert und reduziert, also die körperlichen Symptome eigentlich noch verstärkt. Viele Frauen lehnen es auch ab, mit der Einahme von Östrogen fortzufahren, vor allem auch solche Frauen, die eine natürliche, unproblematische Menopause haben. Für Frauen, die von einem fixen Einkommen leben müssen, ist es überdies auch zu teuer.

Im Westen gibt es auch noch keine sicheren Forschungsresultate darüber, ob die HET-Therapie bei einigen Frauen nicht gewisse Formen von Krebs und andere Krankheiten auslösen können. Einige Untersuchungen stellen eine Verbindung her zwischen Östrogen-Therapie und Brustkrebs oder Herzkrankheiten. Die Forschungsergebnisse bezüglich Herzkrankheiten sind aber sehr widersprüchlich. Wissenschaftler an der Harvard Medical School haben herausgefunden, dass Herzkrankheiten durch Östrogen möglicherweise reduziert werden können, während Berichte von der Framingham Heart Study feststellten, dass Herzattacken und Infarkte bei Frauen, die Östrogen einnehmen, tendenziell häufiger auftreten.

Gebärmutter-Krebs ist bei Frauen, die eine Östrogen-Ersatztherapie hatten, die ausschliesslich aus Östrogen bestand, häufiger aufgetreten als bei Frauen ohne Behandlung. Nach der chinesischen Medizin ist dies auf eine erhöhte Leber-Qi-Stauung zurückzuführen, was zu Leber-Hitze und Blutstau oder zu Toxizität im Blut führt. Aus diesem Grund sind viele Frauen keine guten Kandidatinnen für die HET, da diese Therapien gewisse Störungen noch verstärken und das Risiko für Kompli-kationen erhöhen können. Allgemein ist man der Ansicht, dass Frauen, die Herzkrankheiten, Gebärmutterkrebs, Brustkrebs, Herzinfarkt, Migräne, hohen Blutdruck, Thrombosen oder andere Krankheiten oder Störungen im Zusammenhang mit dem Zirkulationssystem hatten oder haben, eine HET vermeiden sollten. Bei anderen körperlichen Zuständen, einschliesslich Fettleibigkeit, Krebsvorkommen in der Familie, Vaginalblutungen, Leber- oder Gallenblasen-Krankheiten und Diabetes, soll eine HET nur mit äusserster Vorsicht angewendet werden. Es gibt also sehr viele Fälle, wo eine HET absolut kontraindiziert ist.

Bei etwa 10% der Frauen, die Östrogen einnehmen, treten auch Nebenwirkungen auf wie Kopfweh, Übelkeit, Ausfluss, geschwollene Brüste, vaginaler Ausfluss oder Schwellungen bzw. Wasseransammlungen. In der chinesischen Medizin wird dies mit einer Zunahme des Yin (in Form von Körpersäften) in Zusammenhang gebracht, was zu einem Mangel an Qi führen kann, verbunden mit Feuchtigkeit, was wiederum zu Brustkrankheiten und in schweren Fällen sogar zu Brustkrebs führen kann. Für Frauen, für die eine Östrogen-Ersatztherapie kontraindiziert ist, gibt es in der chinesischen Medzin verschiedene Medikamente, welche Hitzewallungen und andere Symptome im Zusammenhang mit der Menopause mildern. Einige Frauen sagen auch, dass gewisse Vitamine, beispielsweise Vitamin E und B6, Hitzewallungen oder auch Stresszustände erfolgreich mildern.

Ärzte verschreiben Frauen, die besonders angespannt, reizbar und nervös sind, oft auch Beruhigungsmittel. Aber das ist natürlich nicht besonders empfehlenswert für ganz spezifische Symptome in der Menopause. Beruhigungsmittel haben zudem auch Nebenwirkungen und ändern an dem eigentlichen Menopause-Syndrom und den tieferliegenden Problemen nichts. In der chinesischen Medizin werden häufig Calzium- und Magnesium-Zusätze verwendet, was eine viel bessere Lösung ist gegen Reizbarkeit und Schlafstörungen. Sie besänftigen gemäss chinesischer Medizin den Geist, regulieren das Leber-Qi und beruhigen Leberfeuer. Einen weiteren Ansatz beschreibt Dr. John Lee, nämlich die Verwendung von Progesteron auf pflanzlicher Basis (von der wilden chinesischen Jamswurzel. Dies unterscheidet sich erheblich vom künstlichen Progesteron und hat auch eine andere biochemische Zusammensetzung. In der Praxis verwende ich nicht ausschliesslich
natürliches Progesteron, weil ich glaube, dass dies wiederum zu einem erhöhten Leber-Qi-Stau führen und Yin beeinflussen kann. Aber ich gebe oft natürliche Gestagene kombiniert mit TCM-Kräutern, Akupunktur und Diätbehandlung.

Als Hauptgrund für die HET wird in den westlichen Ländern die Vorbeugung von Herzkrankheiten und Osteoporose betont, obwohl die Ärzte die Hormonersatz-Therapie eigentlich nur zur Erleichterung von Menopausen-Beschwerden empfehlen. Und dies könnte sicherlich auch durch andere Methoden erreicht werden. Im Hinblick auf Osteoporose ziehen wir es vor, Kalzium in Form von Hydroxypatite und Citraten, zusammen mit Bor und anderen Spurenelementen zu verabreichen, wodurch das Kalzium in die Knochen gelangt. Zur Prävention von Osteoporose ist dies, kombiniert mit Gewichheben, eine wesentlich unproblematischere Lösung als die HET.

Warum raten wir Ärzte den Frauen, ihren Lebensstil zu ändern, anstatt ihnen, wie das von uns erwartet wird, Pillen zu geben? Es gibt vielleicht Frauen, die sagen, dass sie kein Interesse daran haben, ihr Leben zu ändern. Und das soll uns genug sein? Nein, damit sollten wir uns nicht zufriedengeben. Wir sind ja dazu da, den Menschen zu helfen und ihnen zu ermöglichen, sich frei entscheiden zu können. Wenn ich eine Frau über verschiedene Wahlmöglichkeiten informiere, dann wird diese Frau auch wählen und sich überlegen, ob es schwierig oder möglich ist, beispielsweise gewisse körperliche Übungen zu machen oder ihren Lebensstil zu ändern, oder ob sie anstelle von Hormonen Kalzium nehmen soll. Da bin ich ganz sicher. Es ist sehr wichtig, dass wir diese einfachen Dinge, die wir in unserer Praxis tun können, auch tun. Und es ist für die Frauen wesentlich weniger risikoreich.

Interessant und nicht allzu schwer durchzuführen wäre eine Langzeit-Studie über einen möglichen Zusammenhang zwischen dem chinesischen konstitutionellen Frauentyp und dem spezifischen Symptomen-Komplex in Bezug auf die Entwicklung von Osteoporose, mit und ohne Behandlung. Die Entwicklung von Osteoporose könnte ein Anzeichen von Jing- und Yin-Mangel der Leber sein, da gemäss TCM in erster Linie die Leber für die Knochenstärke und Knochenmasse (Knochendichte) verantwortlich ist. Interessant ist, dass die Forschung in dem Bereich zeigt, dass gerade die schlanke oder dünne Frau anfälliger ist für Osteoporose, die von der Konstitution her eigentlich mehr Yin-Mangel hat, als die etwas kräftigere Frau. Osteoporose kann auch mit Blutmangel in Verbindung gebracht werden. Bei der Entwicklung von Herzkrankheiten können verschiedene Faktoren mit eine Rolle spielen, einschliesslich - gemäss TCM - Mangel an Leber-Blut oder Leber-Qi-Stau, was unter Umständen zu Blutstau im Herz führen kann.
 

Die Behandlung in der traditionellen chinesischen Medizin

Die chinesische Medizin ist ein Medizinsystem, dessen Geschichte der westlichen Medizin um viele Jahrhunderte voraus ist. Es ist eine systematische Medizin, aufbauend auf einer Theorie mit jahrhundertealten, schriftlich festgehaltenen empirischen Ergebnissen und Praktiken. Sie umschliesst Akupunktur, Kräuter-Anwendung, Diät-Therapie, Qi-Übungen und Meditation und wird von den Patienten im allgemeinen für eine Vielzahl verschiedenster medizinischer Probleme ver-
wendet. Obwohl in der TCM mittels wissenschaftlicher Methoden Nutzen und Wirksamkeit gewisser Therapien nachgewiesen wurde, werden diese in der westlichen Medizin wenig beachtet oder einbezogen. Die chinesische Medizin wird deshalb in den meisten westlichen Praktikern kaum verstanden oder akzeptiert.

Die chinesische Medizin hat eine lange Tradition in der Behandlung von gynäkologischen Problemen wie unregelmässige Monatsblutungen, prämenstruelles Syndrom, Dysmenorrhea, Menopause-Syndrom und andere Hormonstörungen. Aus Erzählungen von Frauen weiss man, dass deren Beschwerden mit Akupunktur geheilt werden konnten. Und es gibt auch Berichte, die den Behandlungsnutzen von gewissen Methoden für bestimmte Probleme nachweisen. Die klinische Erfahrung hat mir gezeigt, dass es im Zusammenhang mit dem Menopause-Syndrom physische, emotionale und geistige Störungen gibt, die gemildert, geheilt oder ausgeschaltet werden können, wenn man die Vorgaben der chinesischen Medizin befolgt. Manchmal in Verbindung mit anderen natürlichen und pharmazeutischen Therapien. Und ich spreche nicht nur von Behandlung durch einen Arzt, die Frauen müssen auch eine Art philosophisches Verständnis entwickeln, und wir müssen sie überzeugen, dass sie sich auch selbst behandeln können. Selbstbehandlung ist also ein wichtiges Element, wenn im Leben eine gesundheitliche Veränderung stattfindet. Manchmal kann dies auch kombiniert werden mit natürlichen Methoden und pharmazeutischen Therapien.

Während es beim Menopause-Syndrom bestimmte allgemeine Bilder gibt, wird die Behandlung gewöhnlich individuell abgestimmt auf das spezifische Beschwerdebild jeder einzelnen Frau. Nach der chinesischen Medizintheorie ist es so, dass eine Frau mit frühem Auftreten von Symptomen, die nicht behandelt wird, schwerere, tieferliegende und schwerer zu bändigende organische Krankheiten entwickeln kann. Prävention im Frühstadium ist daher sehr wichtig. Wir haben ja diskutiert, ob wir behandeln sollen oder ob wir die Leute in Ruhe lassen sollen, wenn keine echte Pathologie vorliegt. Gemäss TCM jedenfalls kann es Syndrome geben, die sich vor dem Auftreten einer organischen Krankheit zeigen. Und die müssen behandelt werden. Wie man so etwas behandelt, wäre, glaube ich, eine gute Grundlage für eine Diskussion zwischen der westlichen und der chinesischen Medizin.

Diskussion

Anonyma:
Ich habe eine Frage an beide Rednerinnen. Ich möchte gerne Ihre beiden Vorträge in Verbindung bringen. Misha, woher kommt denn Ihr Forschungsinteresse? Regina hat nämlich einen ganz anderen Vortrag gehalten. Sie hat uns den feministischen Standpunkt dargelegt und wie die Wechseljahre empfunden werden und hat über die Notwendigkeit der Behandlung in unserer Kultur gesprochen. Gibt es denn in China auch eine Notwendigkeit für derartige Behandlungen? Werden die Wechseljahre überhaupt behandelt? Welche Vorstellungen über die Menopause hat man in der chinesischen Kultur?

Misha Cohen:
Es gibt so viele verschiedene Kulturen in China. Meine Kollegin sprach ja von einer sehr homogenen Kultur
wie Japan und die Türkei. Aber in China gibt es sehr viele Subkulturen. In China gibt es jede Menge Literatur über die Wechseljahre und ihre Behandlung. Und manche der Kräuterformeln sind sehr traditionelle Formeln für diesen ganz bestimmten Zyklus. Two Immortals zum Beispiel, das ist ja allein schon an der Bezeichnung abzulesen, dass es sich hier um Kräuter für die letzte Lebensphase handelt. Frauen suchen Behandlung in China. Ich würde hier jetzt aber nicht China als wichtigstes Thema hinstellen wollen. Nordamerikanische und europäische Frauen haben ja andere Fragen und Bedürfnisse. Die Formeln, die wir verwenden, wie beispielsweise die Two Immortals, werden in China nicht so verwendet, wie sie im Westen verwendet werden, weil die Symptome bei westlichen Frauen teilweise anders sind als bei den chinesischen Frauen. Ich glaube, das ist auch ganz klar geworden, als Frau Stolzenberg über die japanischen Frauen sprach, dass es andere Anzeichen und Symptome gibt. Im Westen haben wir viel mehr Probleme mit den Hitzewallungen, und wir haben auch ganz andere Umweltgifte, die auf uns einwirken.

Anonymus:
Ich wollte Sie etwas über Kräuter fragen. Verwenden Sie chinesische Kräuter oder verwenden Sie Kräuter, die lokal wachsen?

Misha Cohen:
In unserer Klinik verwenden wir spezielle chinesische Kräuterverbindungen, weil die Pharmakologie in China sehr weit entwickelt ist, und wir haben jetzt die Kräuter im richtigen Gleichgewicht. Würde sich die (Phyto-)Pharmakologie im Westen ebenso entwickeln, könnten wir wahrscheinlich auch die Kräuter verwenden, die bei uns wachsen. Aber leider ist das nicht der Fall. In China gibt es eine ganze Reihe von landwirtschaftlichen Betrieben, die Kräuter anbauen. Auch bei uns beginnt das langsam, aber es ist noch nicht so weit gediehen. Das heisst nicht, dass wir bei den Frauen nicht auch westliche Kräuter anwenden, aber wir sind der Meinung, dass die Wirksamkeit der chinesischen Kräuterverbindungen grösser ist.

Anonymus:
Frau Stolzenberg, Sie sprachen über die japanischen Frauen und sagten, dass die Symptome der Wechseljahre nur selten auftreten. Können Sie etwas über das Phytoöstrogen in der Ernährung sagen? Und wissen Sie, wie gross der Gehalt an Phytoöstrogenen ist bei den Kräutern, die Sie in Ihrer Studie verwenden?

Regina Stolzenberg:
Es ist tatsächlich so, dass Japan die niedrigste Rate an Osteoporose in der ganzen Welt hat. Und es wurden darüber sehr viele Vermutungen angestellt, und dass es eben tatsächlich mit der Art der Ernährung zusammenhänge. Und Sie erwähnten ja bereits die Phytoöstrogene, die ja gerade z.B. in Soja enthalten sind. Und insgesamt trägt sicherlich auch die Zusammensetzung der Ernährung dazu bei; relativ wenig Fett könnte zum Beispiel dazu beitragen. Aber es gibt eigentlich keine erschöpfenden Studien darüber. Ernährung ist also sicherlich ein ganz wesentlicher Faktor, das kann man auf jeden Fall sagen, und dass z.B. der immense Kaffeekonsum bei uns sicherlich auch zu Hitzewallungen beiträgt oder eine sehr fleischreiche Ernährung.
 

Misha Cohen:
In der chinesischen Kräutermedizin sehen wir uns die Phytoöstrogene nicht an. Wir wollen ja nicht die Östrogene ersetzen. Der Zweck dieser Kräuterverbindungen liegt ja darin, die Syndrome in China zu betrachten und die Kräuter auf diese chinesischen Syndrome abzustimmen und die Symptome zu lindern. Die meisten Kräuter, die wir für diese Kräuterverbindungen verwenden, sind keine Phytoöstrogene. Manche verwenden Dan Gui (angelica sinensis), von dem wir wissen, dass es Phytoöstrogen enthält. Wir empfehlen den Leuten natürlich auch, Sojaprodukte zu essen, um mehr Phytoöstrogene aufzunehmen. Ich bin mir sicher, dass sich die chinesische Medizin da stark von der westlichen Medizin unterscheidet und dass man in der chinesischen oder in der fernöstlichen Nahrung mehr Phytoöstrogene aufnimmt. Aber das ist ja wirklich nicht der Sinn und Zweck unserer Kräuterbehandlung.

Anonymus:
Am letzten Symposium haben wir ein sehr wichtiges Thema behandelt, und man hat viel von der Homöopathie gesprochen. Diejenigen, die für die Homöopathie eintraten, konnten sich nicht mit denjenigen verständigen, die dagegen waren, weil es keinen biochemischen oder physiologischen Sinn macht. Das ist sicherlich ein typisch westlicher Standpunkt. Sie haben uns zweifellos sehr interessante Möglichkeiten gezeigt, mit denen man z.B. die Feuchtigkeit im Körper erhöhen kann. Das ist sehr interessant. Aber bevor man uns überhaupt derartige Dinge nahelegen, uns überzeugen oder etwas bewegen will, muss man die Dinge erst quantifizieren. Ich will das Wort gar nicht mehr gebrauchen. Sie müssen es uns in einer Form nahebringen, dass wir es auch verstehen. Sie müssen uns erst mal erklären, was diese Feuchtigkeit überhaupt ist und was es denn ist, was Sie sehen, wenn Sie von Feuchtigkeit sprechen!

Misha Cohen:
Nächstes Jahr, wenn mein Buch herauskommt, werden Sie genau verstehen können, was Feuchtigkeit ist. Ich erkläre es dort sehr genau. Ich weiss, dass das sehr wichtig ist. Wenn ich bei Kongressen mit westlichen Forschern zusammenarbeite, sehe ich aber, dass sie an der chinesischen Medizin an sich überhaupt nicht interessiert sind, sondern nur an deren Ergebnissen. Aber das kann ich verstehen. Und manche fragen mich dann, warum? Warum ist in diesem Fall Anämie aufgetreten und danach gab es keine mehr? Dann muss ich natürlich die Frage beantworten können. Sie haben also recht. Jedesmal, wenn wir eine Studie durchführen, müssen wir uns zuerst einmal hinsetzen und eine gemeinsame Sprache entwickeln, damit wir wirklich alle vom selben sprechen. Wenn ich z.B. jetzt von der Feuchtigkeit
spreche und eigentlich vom Kreislauf der Flüssigkeiten spreche, dann muss das für Sie verständlich werden.
Aber Sie müssen auch einmal Ihr westliches Denken beiseite legen, ich sage das auch meinen Studenten, ganz besonders den Anfängern und Ärzten, die in der westlichen Tradition aufgewachsen sind und praktizieren. Sie müssen die westliche Philosophie für einen Moment mal völlig über Bord werfen und mir einfach mal zuhören und die chinesische Philosophie einfach mal verstehen lernen. Das heisst nicht, dass Sie alles in Bausch und Bogen verdammen müssen. Ich denke, dass ist von Ihrer Seite her wichtig. Von meiner Seite her ist es wichtig, dass ich es Ihnen erklären kann, und Sie müssen fähig sein, zuzuhören.

Johannes Schmidt:
Ich darf hier wohl das letzte Wort haben. Ich möchte Dir nicht gänzlich widersprechen, aber vielleicht doch noch klärend eingreifen. Es ist nicht unbedingt notwendig, die chinesische Philosophie zu verstehen, man kann sie auch einmal als Hypothese und Spekulationen betrachten, wie Du selbst gesagt hast. Verwirrung entsteht und herrscht meistens dann - und diese Verwirrung ist in der westlichen Medizin sehr weit verbreitet, darum sind wir uns dies in der alternativen Medizin ebenfalls nicht bewusst -, wenn wir unsere Spekulationen für die Wahrheit nehmen. Das liegt eigentlich an unserer westlichen Ausbildung. In der westlichen Medizin, das hat man uns in unserer medizinischen Ausbildung gelehrt, sind unsere Spekulationen wahr.

Und jetzt, die Methodologie zur Überprüfung solcher Hypothesen bzw. Spekulationen. Alvan Feinstein war ein Pionier und hat zur Veränderung dieser Methodologie beigetragen. Wir wären ohne ihn nicht da, wo wir jetzt sind. Wir können also einerseits spekulieren, andererseits müssen wir aber unsere Hypothesen überprüfen. Und hier müssen empirische Beobachtungen oder kontrollierte Studien durchgeführt werden. Hätte Elina Hemminki ihre Studien nicht durchgeführt, um aufzuzeigen und sogar zu dokumentieren, dass es einen Selektions-Bias gibt, dass es also Verzerrungen aufgrund der Auswahl der Patienten gibt, dann könnten wir den Frauen heute nicht mit der Überzeugung sagen, dass bestimmte Studienergebnisse falsche Resultate sind und dass sie überhaupt nichts aussagen über den Nutzen von prophylaktischer Hormontherapie. Es ist also sehr wichtig, hier auf diese Studien und die Methodologie einzugehen, denn das ist ja schliesslich ein wissenschaftliches Symposium. D.h. wir müssen diese wissenschaftlichen Methoden verwenden, um die Kommunikationsschwierigkeiten zu überbrücken. Ich glaube, dass dies ein Weg ist und die einzige Möglichkeit, zusammenzuarbeiten.
 
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Layout: Datadiwan eMail: webmeister@datadiwan.de