Die klinische Abteilung für Naturheilkunde im Krankenhaus Moabit/Universitätsklinikum Benjamin Franklin
Die ersten 5 Jahre (von 1989 bis 1994) - Bericht und Perspektiven
 
Autor: Abteilung für Naturheilkunde
Keywords: Naturheilkunde, Naturopathy, Natural Healing, Klinik, Hospital
Abstract: Ein 5-Jahres-Bericht (ausführliche Fassung) über die Arbeit der Abteilung für Naturheilkunde in Berlin (Krankenhaus Moabit) seit ihrer Gründung
Copyright: Copyright: Universitätsklinikum Benjamin Franklin, Berlin 1994
23. Nov. 2001 
 
Themenüberblick:
  1. Allgemeine Vorbemerkungen - (sie heben die Aktualität der Naturheilkunde für die moderne medizinische Versorgung der Gesellschaft hervor)
  2. Historische Entwicklung der Naturheilkunde in Berlin
  3. Arbeit und Entwicklung der Abteilung für Naturheilkunde seit 1989
  4. Ausblick
  5. Adresse
 

1. Allgemeine Vorbemerkungen
Die Problematik und Diskussion einer natürlichen und naturgemäßen Therapie, Möglichkeiten und Grenzen der Naturheilverfahren, aber auch Inhalte einer naturheilkundlich erweiterten Diagnostik und Nosologie haben in den letzten Jahren stark an Bedeutung und Aktualität gewonnen. In Zusammenhang mit den jüngeren epidemiologischen Entwicklungen (Alterspyramide in der Bevölkerung, Zunahme chronischer und langwieriger Erkrankungen) und einem zunehmenden Interesse an Prävention und Rehabilitation rücken die Grenzen moderner naturwissenschaftlich orientierter Medizin (sog. Schulmedizin) zunehmend in das allgemeine Bewußtsein. Dies spiegelt sich z.B. auch in der ambulanten ärztlichen Versorgung wider: 70-80% aller niedergelassenen Ärzte wenden - zumindest gelegentlich - Naturheilverfahren an. Das große Interesse an "Natur" im weitesten Sinne liegt in einem allgemeinen ökologischen Trend unserer Zeit. Entsprechende Bedürfnisse und Ansprüche werden umfangreich aus der Bevölkerung an praktische Medizin und Gesundheitspolitik herangetragen.

Bei den klassischen, wissenschaftlich grundsätzlich anerkannten Naturheilverfahren (Tab. 1) handelt es sich überwiegend um wenig aufwendige und unkomplizierte Behandlungen, welche sehr gut auch dem Patienten verständlich und handhabbar gemacht werden können. Damit erhält er zuverlässige Möglichkeiten einer Selbsthilfe und eines selbständigen, ichhaften Umgangs mit seiner Erkrankung. Gleichzeitig handelt es sich überwiegend um eine kostengünstige Therapie ohne besonderen apparativen Aufwand und mit fast zu vernachlässigendem therapeutischen Risiko.

Die institutionelle und wirtschaftliche Förderung solcher Medizin gehört zu den klar definierten Gesundheitsprogrammen einer jeden im Deutschen Bundestag vertretenen politischen Partei. Es besteht ein deutliches Bewußtsein dafür, daß das moderne Gesundheitssystem durch Naturheilverfahren bereichert und gleichzeitig entlastet werden kann. Vor diesem Hintergrund besteht jetzt auch ein großes Interesse bei Trägern der Krankenversicherung und anderen Leistungserbringern im Gesundheitsbereich.

Klinische Naturheilkunde hat aber in den letzten Jahrzehnten kaum Gelegenheit gefunden, sich auf einem naturwissenschaftlich einwandfreien Niveau und mit entsprechenden Methoden (Grundlagenforschung und klinische Evaluation) zu etablieren und weiter zu entwickeln. Moderne, naturwissenschaftlich orientierte Hochschulmedizin, welche sich bis in die erste Hälfte dieses Jahrhunderts auch im universitären Bereich häufig mit Naturheilverfahren im Sinne der Tab. 1 beschäftigt hat, hat diese Thematik weitestgehend aufgegeben. Es gilt jetzt, tradierte "Erfahrung" unter Berücksichtigung des medizinischen Fortschritts noch einmal sorgfältig zu überprüfen, moderner Medizin anzupassen und zuzuführen. Nur so werden Naturheilverfahren akademisch lehrbar und können sie der Öffentlichkeit mit einer gewissen Ratio nutzbar gemacht werden. Dieses geschieht durch klinische Forschung, gleichzeitig aber auch durch eine gedankliche Auseinandersetzung mit ärztlichen Fachvertretern einzelner naturheilkundlicher Richtungen und durch das Studium naturheilkundlicher Literatur. U.a. gilt es hierbei auch, Abgrenzungen gegen zweifelhafte und bisher wenig bewährte Methoden zu finden.

Als eine erste Forderung in dieser Richtung soll eine Stellungnahme der CDU-Sozialausschüsse von bereits 1982 zitiert werden:

"Das alte Wissen über natürliche Heilverfahren und Heilmittel, das bis zum Beginn unseres Jahrhunderts in der Bevölkerung weit verbreitet war, muß den Menschen wieder nahegebracht werden, ergänzt um neues Wissen, das uns die moderne Gesundheitsforschung und der Kontakt mit der Medizin anderer Kulturen gebracht hat" (Zit. n. Dt. Ärztebl. 79; 1982).

In den vergangenen fünf Jahren haben wir uns bemüht, neben einer guten klinischen Versorgung unserer Patienten auch auf den oben angesprochenen Gebieten Beiträge zu leisten. 1989 waren wir die erste und einzige Klinik mit naturheilkundlicher Arbeit und gleichzeitiger Anbindung an ein Universitätsklinikum. Inzwischen bestehen im deutschen Sprachraum weitere wissenschaftliche Einrichtungen mit ausgewiesener personeller Besetzung (Hochschullehrer) an den Universitäten Ulm und Zürich. An weiteren Universitätsklinika wurden naturheilkundlich orientierte Behandlungs- und Forschungsmöglichkeiten institutionalisiert, welche im Rahmen anderer klinischer Einheiten arbeiten (z.B. Bonn, Erlangen, München).
 

2. Historische Entwicklung der Naturheilkunde in Berlin
1884 wurde auf Betreiben des damaligen Reichskanzlers Bismarck erstmals an der Charité eine naturheilkundlich orientierte akademische Position geschaffen und mit Ernst Schwenninger besetzt. Bedeutende Nachfolger waren Franz Schönenberger auf einer ordentlichen Professur für Naturheilverfahren ab 1920, später Paul Vogler und Herbert Krauss (bis 1972). Klinische und wissenschaftliche Verbindungen bestanden mit dem 1927 eröffneten Prießnitz-Krankenhaus in Mahlow südlich von Berlin und nach dem 2. Weltkrieg mit der Klinik für Physiotherapie im Klinikum Buch. In beiden Häusern wird immer noch eine hochqualifizierte Therapie mit Naturheilverfahren praktiziert (Chefarzt Dr. Steglich und Chefarzt Dr. Rohde, beide Schüler von H. Krauss), die akademische Einrichtung in der Charité unter E. Conradi konzentriert sich jetzt auf die Themen und Arbeitsweisen der physikalischen Medizin (Klinik und Poliklinik für Physikalische und Rehabilitative Medizin).

1951 wurde auch im Westteil der jetzt geteilten Stadt Berlin im St. Gertrauden-Stift, dem späteren Krankenhaus am Kreuzberg, eine internistische Abteilung mit naturheilkundlichem Schwerpunkt eingerichtet (Chefarzt Dr. Straßburg). Es bestanden enge persönliche Verbindungen zu den Ostberliner Kliniken, das dort entwickelte therapeutische Programm wurde weitestgehend übernommen.

1954 wurde das Krankenhaus am Kreuzberg in das Krankenhaus am Urban eingegliedert, 1983 zog die Abteilung für Natürliche Heilweise von dort in das Rudolf-Virchow-Krankenhaus in Berlin Wedding. Hier bestanden optimale Arbeitsmöglichkeiten mit befriedigenden Räumlichkeiten, ausreichend und gut ausgestatteten physiotherapeutischen Arbeitsmöglichkeiten und guter, teilweise eigener Küchenversorgung. 1968 hatte Herr Dr. Kuban die Leitung dieser Abteilung als Nachfolger von Straßburg übernommen.

1987 wurde die Abteilung im Rahmen der damaligen Umstellungen im Krankenhaus Moabit in den dort neu etablierten diakonischen Klinikbereich umgesetzt, sie wird dort als IV. Innere Abteilung (Naturheilweise) geführt. Zunächst standen zwei internistische Stationen und weitere Betten auf einer gleichzeitig strahlentherapeutisch belegten Station zur Verfügung (insgesamt 80 Betten). Im Oktober 1994 wurde die Abteilung im Rahmen der Berliner Gesundheitspolitik mit umfassenden Abstrichen auch an der Kapazität des Krankenhauses Moabit um 12 Betten reduziert. Weitere Kürzungen sind leider vorgesehen.

Mit dem Ausscheiden von Herrn Dr. Kuban nach Erreichen der Altersgrenze wurde im Oktober 1989 M. Bühring (damals Universitätsklinik Frankfurt/Main, Zentrum der Inneren Medizin) mit der Leitung dieser Abteilung betraut. Aufgrund eines Kooperationsvertrages mit der Freien Universität Berlin wurde er gleichzeitig auf den seit 1945 erstmals in Deutschland neu eingerichteten Lehrstuhl für Naturheilkunde im Fachbereich Universitätsklinikum Benjamin Franklin berufen. Seitdem verwaltet er beide Positionen in Personalunion.

Die Verbindung klinischer naturheilkundlicher Arbeit mit einer wissenschaftlichen Einrichtung an der Universität hatte von Anfang an auch eine politische Dimension. Neben dem medizinischen Angebot an die Bevölkerung sollte mit dieser Innovation das damals noch ummauerte Westberlin eine weitere Attraktion medizinischer Ausstattung gewinnen. Das große Interesse in der Öffentlichkeit an naturheilkundlicher medizinischer Versorgung und der studentische Wunsch auf entsprechenden Unterricht waren allgemein bekannt.

Ursprünglich war für Moabit gleichzeitig eine poliklinische Einrichtung mit einem Schwerpunkt auf Traditioneller Chinesischer Medizin vorgesehen. Es bestanden bereits gute Kontakte zu entsprechenden Institutionen in der Volksrepublik China, die damaligen politischen Ereignisse dort haben diese Initiativen dann zum Erliegen gebracht.

Bemühungen um eine Ambulanz in Zusammenarbeit mit dem Universitätsklinikum Benjamin Franklin haben sich aus kassen-organisatorischen Gründen (u.a. Kontingent an Behandlungsscheinen) stark in die Länge gezogen. Seit August 1994 besteht jetzt eine naturheilkundliche Poliklinik, seit etwa dieser Zeit werden auch prae- und poststationäre Behandlungen durchgeführt.
 

3. Arbeit und Entwicklung in Moabit seit 1989

a. Patientenversorgung
Statistische Daten zu medizinischen Leistungen der Abteilung werden in den Jahresberichten des Krankenhauses publiziert. Regelmäßig bestand eine Auslastung der Bettenkapazität von über 95%.

Die Indikationen zur stationären Behandlung betreffen in erster Linie internistische Krankheitsbilder, hier sind es vor allem Erkrankungen aus dem Bereich der Gastroenterologie, der Stoffwechselerkrankungen, der Rheumatologie, Allergologie, Infektiologie, Pneumologie, Kardiologie sowie Angiologie und umfangreich auch aus der Onkologie.

Bei Patienten mit bösartigen Erkrankungen ergeben sich vor allem sekundär- und tertiär-präventive Behandlungsaufträge im Sinne einer Verbesserung der allgemeinen körperlichen Kondition und immunologischen Abwehr. Bei schwer- und schwerstkranken Patienten, welchen die herkömmliche Medizin keine Möglichkeit auf Heilung mehr anbieten kann, soll beschwerdeorientiert eine Erleichterung geschaffen und eine Verbesserung der Lebensqualität ermöglicht werden.

Nicht primär internistisch erkrankte Patienten leiden an dermatologischen, orthopädischen, neurologischen und gynäkologischen Krankheitsbildern. Die stationäre Aufnahme erfolgt etwa zu 75% nach Einweisung durch niedergelassene Ärzte und zu 25% über die Aufnahmeabteilung des Krankenhauses.

Häufig handelt es sich um komplexe und schwierige Krankheitsbilder mit langer Vorgeschichte und vielfältigen erfolglosen Behandlungsversuchen, bei welchen "Naturheilkunde" als ultima ratio zur Anwendung kommen soll. Häufig bestehen gleichzeitig komplizierte Persönlichkeitsstrukturen, biographische Verhältnisse und psychische Veränderungen, welche analysiert und mit verhältnismäßig großem Zeitaufwand auch im Sinne einer Psychagogik und kleinen Psychotherapie anzugehen sind.

Das therapeutische Konzept in den genannten Berliner Kliniken mit naturheilkundlichem Schwerpunkt (Buch, Moabit, Mahlow, s.o.) hatte sich verhältnismäßig einheitlich aus den Schulen von Schönenberger, Brauchle (Mahlow, später Weißer Hirsch/Dresden) Vogler und Krauss entwickelt. Es arbeitet mit den soliden Anwendungen klassischer Naturheilverfahren (s. Tab. 1). In letzter Zeit sind diese durch manualtherapeutische Behandlungsmethoden und Neuraltherapie (therapeutische Lokalanästhesie) erweitert worden. Krauss hatte mit einem gewissen Schwerpunkt auf Möglichkeiten einer zusätzlichen psychischen Einflußnahme (z.B. über die Atemtherapie) aufmerksam gemacht. Diese wird inzwischen durch verschiedene Verfahren körperorientierter Psychotherapie und künstlerischer Therapie ergänzt.

Das jeweilige nosologische Konzept entsprach in diesen Kliniken der sich weiter entwickelnden naturwissenschaftlichen Medizin. Ein wichtiger gedanklicher Ansatz war die Deutung komplexer Zusammenhänge unterschiedlicher Körperfunktionen im Sinne sogenannter Grundfunktionen durch P. Vogler.

Diese aufgezählten Behandlungsmethoden und -konzepte haben sich bewährt, sie wurden auch 1989 in der weiteren klinischen Arbeit grundsätzlich übernommen. Das ernährungstherapeutische Programm wurde differenziert, neben dem bis zu einem gewissen Maße ideologisierten Prinzip einer "Vollwertkost" wurden differenzierte Ernährungen für einzelne Krankheitsbilder und konstitutionelle Besonderheiten eingeführt (s.u.). Manuelle Behandlungsmethoden wurden durch moderne Entwicklungen erweitert, Bewegungstherapie (z.B. Krankengymnastik) wurde modernen neurobiologischen Erkenntnissen angepaßt, in der modernen Phytotherapie werden wissenschaftliche Entwicklungen sorgfältig beobachtet und berücksichtigt.

Einen großen Umfang der täglichen Arbeit nehmen edukatorische Aufgaben bei unseren Patienten ein. Hier gilt es, eine einheitliche Aussage von Ärzten, Pflege- und physiotherapeutischem Personal herzustellen und aufrecht zu erhalten. Für viele chronische Erkrankungen mit Neigung zu Rezidiven gilt es, individuelle häusliche Behandlungsprogramme zu entwickeln und den Patienten mit solchen vertraut zu machen. Vor allem müssen sie ihm auch emotional nahegebracht werden. Dieses geschieht zum einen durch das passive Erleben solcher Therapie, vor allem soll der Kranke aber auch in Methoden und Technik einfacher Selbstbehandlungen eingeführt werden. Nach ihrer Entlassung werden Patienten auch Selbsthilfegruppen zugewiesen; mit der jetzt eröffneten Poliklinik werden sich aber auch Möglichkeiten einer weiteren Führung durch uns selbst ergeben.

Großen Wert legen wir bei den meisten Patienten auf die gleichzeitig somatischen und psychischen Wirkungen Physikalischer Therapie, damit also auch auf die Möglichkeit einer somato-psychischen Einflußnahme. War diese in der bisherigen Medizin eher verdächtig - etwa im Sinne einer suggestiven Einflußnahme oder eines Placebo -, so wird diesen Wirkungen jetzt eine große Bedeutung in der Therapie seelisch und gleichzeitig körperlich kranker Patienten beigemessen. Dementsprechend werden unsere Behandlungspläne erstellt und sollen die Führung des Patienten und die Gestaltung des therapeutischen Ambiente erfolgen. Hierbei sind Ärzte, Pflegepersonal und Physiotherapeuten gleichermaßen involviert.

Wesentliche neue klinische Arbeit bemüht sich um eine naturheilkundlich erweiterte Anthropologie jedes einzelnen Patienten (a) und um eine erweiterte Nosologie (b) der zu behandelnden Krankheiten. An dieser Stelle sehen wir besondere Möglichkeiten, moderne naturwissenschaftliche Diagnostik und die Einschätzung pathologischer Syndrome zu erweitern.

a. Medizinische Anthropologie beschäftigt sich z.B. mit konstitutionellen Besonderheiten von Kranken, in der modernen Medizin sind diese seit etwa 50-100 Jahren weitgehend aufgegeben worden. Neben körperlichen Merkmalen (z.B. im Sinne Kretschmer's) interessieren qualitative Gesichtspunkte, physiologische Kenngrößen und Regelprozesse sowie seelische, emotionale, aber auch medizin-soziologische Bedingungen und Besonderheiten einzelner Patienten. Gesichtspunkte hierzu wurden mehrmals dargestellt.

b. Nosologische Fragestellungen greifen zunächst alte und sehr alte Vorstellungen tradierter und ethnomedizinischer Systeme noch einmal auf. Sie werden um neue Erkenntnisse aus dem Bereich der Schulmedizin erweitert und mit jeweiligen Experten diskutiert. Unter den behandelnden Ärzten der Abteilung befinden sich z.B. immer auch Mitarbeiter, welche sich in Traditioneller Chinesischer Medizin ausgebildet haben und entsprechende Gesichtspunkte und Therapie (z.B. Akupunktur) mit einbringen. Entsprechend unserem derart verstandenen Auftrag sind wir allerdings weniger bemüht, diese nicht-europäischen medizinischen Systeme zu befördern (dieses ist an anderen Stellen besser möglich), als vor allem Gesichtspunkte für eine wirksame und rationale, in Europa entwickelte und europäisch geprägte Naturheilkunde zu gewinnen.
 

b. Akademische Lehre und Öffentlichkeitsarbeit
Im Rahmen des universitären Auftrages werden regelmäßig Lehrveranstaltungen für Studenten durchgeführt. Kernstück sind eine zweistündige Vorlesung, in welcher klinische Fragestellungen und Therapie am Beispiel einzelner Patienten dargestellt werden sowie ein klinisches Praktikum im Sinne eines bed-side-teaching mit naturheilkundlichem Schwerpunkt. Zusätzlich werden praktische Übungen und Praktika angeboten. Einzelheiten werden in den Vorlesungsverzeichnissen pro Semester publiziert. Mehrfach wurden Gastvorlesungen an anderen medizinischen Fakultäten gegeben. Zu verschiedenen naturheilkundlichen Themen werden Promotionsarbeiten vergeben und betreut.

Seit der 7. Novelle zur ärztlichen Approbationsordnung von Dezember 1989 gehören "Grundlagen, Möglichkeiten und Grenzen von Naturheilverfahren und Homöopathie" zu den verpflichtenden Lehrinhalten des Medizinstudiums. Der Abteilungsleiter war Mitglied einer Kommission, welche den sogenannten Gegenstandskatalog mit dem Vorschlag von Lehrinhalten für das neue Fach zusammenstellen mußte, im weiteren Verlauf werden jetzt regelmäßig multiple-choice-Fragen für die akademische Prüfung formuliert. Für die Studenten wurde ein komprimierter Lerntext zusammengestellt (sogenannte Schwarze Reihe im VCH-Verlag, Weinheim.

Häufig waren Vertreter der Abteilung eingeladene Referenten auf ärztlichen Fortbildungskongressen mit einem weiten Spektrum unterschiedlicher Thematiken (s. Publikationsverzeichnis). Ganz offensichtlich bestehen ein großes Informationsbedürfnis und offene Bereitschaft, sich mit dem Fach zu beschäftigen.

Vergleichbar oft haben Mitarbeiter der Abteilung auch auf speziellen Weiter- und Fortbildungsveranstaltungen mit naturheilkundlicher Thematik vorgetragen (z.B. Kurse für den Erwerb der Zusatzbezeichnung "Naturheilverfahren"). Zusammen mit der Berliner Ärztekammer, der Klinik für Physiotherapie am Klinikum Buch und der Prießnitz-Klinik, Krankenhaus Mahlow, werden zweimal jährlich die jeweils einwöchigen "Berliner Naturheiltage" mit jeweils 200-250 Teilnehmern organisiert und durchgeführt. Seit 1989 wurden 66 Gastärzte während ihrer praktischen Tätigkeit für die Zusatzbezeichnung "Naturheilverfahren" betreut.

Medizinische Information und Fortbildung geschieht aber auch für weitere Medizinalberufe, z.B. in der Akademie für Gesundheits- und Sozialberufe beim Berliner Senat für Gesundheit, in der Kaiserin-Friedrich-Stiftung für das ärztliche Fortbildungswesen, in der Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft der Ärztekammer Berlin, beim Referat für Aus- und Weiterbildung der Freien Universität und in verschiedenen Schulen für Pflegekräfte.

Darüber hinaus referierten die leitenden Pflegekräfte der Abteilung wiederholt bei Fortbildungsveranstaltungen. Mehrere Besuchsgruppen aus Pflegekräften anderer Städte besuchten die Abteilung im Rahmen von Exkursionen.

Die breite Öffentlichkeit wird z.B. über die Berliner Urania und weitere Volkshochschulen, Fortbildungskurse der Freien Universität und in verschiedenen Selbsthilfegruppen erreicht. Etwa 60 mal waren wir in den vergangenen Jahren in öffentlichen Medien (Rundfunk und Fernsehen) repräsentiert.
 

c. Forschung
Mit den gewährten Berufungsmitteln und laufender Förderung durch die Universität sowie Drittmitteln wurden Geräte für Kreislaufuntersuchungen (Spiro-Ergometrie, Analyse der physiologischen Sinusarrhythmie), für Untersuchungen der Thermoregulation (Registrierung der Körpertemperatur über lange Zeiträume, akrale Wiedererwärmung nach standardisiertem Kältestreß, Thermoregulationsdiagnostik nach Rost) sowie zur differenzierten Bestimmung einzelner Körperkompartimente (Impedanzmessung) angeschafft. Das Krankenhaus Moabit hat freundlicherweise und verabredungsgemäß notwendige Raumeinheiten zur Verfügung gestellt. Die personelle Ausstattung durch die Universität umfaßt für diesen Aufgabenbereich die Positionen eines wissenschaftlichen Assistenten und einer MTA.

Folgende wissenschaftliche Fragestellungen werden bzw. wurden bearbeitet:

1. Herz/Kreislauf

2. UV-Biologie und Heliotherapie 3. Immunologie 4. Rheuma/Schmerz 5. Phytotherapie 6. Diätetik 7. Hydrotherapie 8. Sonstiges 1994 ist ein Antrag auf Forschungsförderung durch das Bundesministerium für Forschung und Technologie (BMFT) / Bonn zu Fragen einer "abhärtenden" Therapie im Kindesalter (gemeinsam mit U. Wahn, Universitätsklinikum Rudolf Virchow) positiv entschieden worden.

Ein wesentlicher Teil unserer wissenschaftlichen Arbeit sind die Aufbereitung und Würdigung bisher vorliegender, klinisch relevanter naturheilkundlicher Literatur. Diese geschieht in Zusammenhang mit der Herausgabe eines Lose-Blatt-Werkes im Springer-Verlag gemeinsam mit F.H. Kemper/Münster. Das Besondere und bisher Einmalige dieses Werkes besteht darin, daß neben der Darstellung einzelner, klinisch relevanter diagnostischer Maßnahmen und Therapien durch ausgewählte Spezialisten gleichzeitig eine Evaluation (Metaanalyse) hierzu vorgelegter klinischer Studien durchgeführt wird. Zu diesem Zweck wurde ein eigenes Gremium naturwissenschaftlich ("schulmedizinisch") anerkannter Biomathematiker zusammengestellt. Es soll die Validität naturheilkundlicher therapeutischer Empfehlungen erfaßt werden, darüber hinaus werden Anregungen zu weiterer Forschung ausgearbeitet. Inzwischen sind etwa 1500 Seiten mit einer Beteiligung von ca. 80 Autoren erschienen.
 

d. Weitere Aktivitäten der Abteilung
In Rechtsstreitigkeiten zwischen Krankenkassen und Versicherungsnehmern oder klinischen Einrichtungen mit unkonventionellen Behandlungsverfahren werden regelmäßig Gutachten zur Beurteilung einzelner Behandlungen erstellt. Häufig handelt es sich um Auseinandersetzungen mit mehreren Vorgutachten, bei welchen eine endgültige Beurteilung stattfinden soll.

Der Abteilungsleiter ist seit mehreren Jahren Mitglied im Gutachterausschuß für das BMFT/Bonn zum Förderbereich: "Unkonventionelle Methoden in der Krebsbehandlung" und Mitglied der Gutachterkommission des (ehemaligen) Bundesgesundheitsamtes Berlin, Kommission B8: "Balneologie".

Der Abteilungsleiter ist Mitglied im wissenschaftlichen Beirat der Sebastian Kneipp-Stiftung Bad Wörishofen, der Selbsthilfe Sklerodermie e.V. und des Fördervereins Sonnenlicht, Hannover. Ferner ist er Mitglied im Kuratorium der Deutschen Gesellschaft für Phytotherapie und im erweiterten Vorstand der Deutchen Gesellschaft für Physikalische Medizin und Rehabilitation. Herr Oberarzt Stange ist Vorsitzender der Ärztegesellschaft für Naturheilverfahren (Physiotherapie) Berlin-Brandenburg e.V. und stellvertretender Beauftragter der Berliner Ärztekammer für Naturheilverfahren.

Der Abteilungsleiter wird gelegentlich als Berater politischer Institutionen eingeladen, z.B. Konrad Adenauer Stiftung, Bonn; Kultusministerium des Landes Nordrhein Westfalen/Düsseldorf; Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung in Köln; Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft, Bonn.

Ein sehr großes Interesse für naturheilkundliche Behandlungen besteht jetzt bei den privaten und gesetzlichen Krankenkassen. Naturheilverfahren bieten hervorragende Möglichkeiten für die allgemeine Gesundheitsvorsorge und Prävention sowie für die Therapie langwieriger Erkrankungen und gesundheitlich einschränkender konstitutioneller Schwächen und erworbener Dispositionen (s.o. Allgemeine Vorbemerkungen). Damit gewinnen sie im Rahmen der neuen gesundheitspolitischen Entwicklung hohes Interesse bei den Versicherungsträgern.

Die gesetzlichen Krankenkassen stehen jetzt unter einer für sie neuen Situation insofern, als in absehbarer Zeit die Pflicht-Mitgliedschaft der Versicherten in vorgegebenen Krankenkassen aufgehoben werden soll. In der sich jetzt entwickelnden Konkurrenz benötigen die Versicherer gut fundierte Beratung, welche Naturheilverfahren sie in ihren Leistungskatalogen übernehmen sollen und von welchen Methoden der Außenseitermedizin Abstand genommen werden soll. Mitarbeiter der Abteilung waren in den letzten Jahren Gast verschiedener öffentlicher Veranstaltungen zu diesem Thema und persönlicher Besprechungstermine mit einzelnen Gesundheitspolitikern und Kassenvertretern.

Ähnlich interessiert sich jetzt auch Krankenhauspolitik an verschiedenen Stellen für naturheilkundliche Einrichtungen innerhalb großer Kliniken. Immer wieder bekommen wir Besuch von verschiedenen Gruppen, welche sich über das Berliner Modell informieren und Anregungen gewinnen möchten.

Häufig konnten auch Initiativen in den neuen Bundesländern beraten bzw. gefördert werden. Hier besteht noch verhältnismäßig wenig Erfahrung mit Naturheilverfahren und naturgemäßer Therapie, es wird aber ein großer Handlungsbedarf empfunden. Teilweise geht es auch um den Versuch, seit 1945 stillgelegte klinische Einrichtungen mit vormals naturheilkundlicher Tradition wieder zu eröffnen.

Eine persönliche Freude empfindet der Abteilungsleiter über den gelungenen Versuch, das Stadtparlament des Bezirks Charlottenburg für eine lokale balneologische Einrichtung zu gewinnen: Es soll versucht werden, in geologischen Formationen unterhalb Berlins reichlich vorhandene Thermalsole anzubohren und in einem entsprechenden Kurbad auch medizinisch zu nutzen!
 

4. Ausblick
Es ist deutlich geworden, daß Naturheilverfahren und sich hiermit ergebende klinische sowie wissenschaftliche Fragestellungen (Naturheilkunde) in der Öffentlichkeit und in der Gesundheitspolitik eine große Bedeutung gewonnen haben. Naturheilkunde wurde zu einem verbindlichen Inhalt der akademischen Lehre, im Bundesforschungsministerium Bonn wurde ein eigener Förderbereich "Unkonventionelle medizinische Richtungen" eröffnet. Das große Interesse moderner Gesundheitspolitik und der Versicherungsträger haben wir noch einmal dargestellt.

Diesen praktischen und wissenschaftlichen Bedürfnissen und Ansprüchen aus der Bevölkerung stehen entschieden zu wenig klinische Einrichtungen mit funktionierender wissenschaftlicher Evaluation und kritischer Begleitung gegenüber. Nur hier können (für den klinisch-stationären Bereich) sichere Erfahrungen gewonnen und therapeutische Strategien entwickelt werden. Überwiegend hier ist ein kompetenter Austausch und Konsens mit weiteren naturheilkundlich arbeitenden Kollegen möglich. Dabei besteht ein besonderer Bedarf, seriöse Naturheilverfahren als solche zu würdigen und fragliche Methoden als solche zu erkennen bzw. abzulehnen.

Die klinische Abteilung im Krankenhaus Moabit/Universitätsklinikum Benjamin Franklin hat in den ersten fünf Jahren ihres Bestehens hierzu sinnvolle Beiträge leisten können. Sie hat die ihr anvertrauten Patienten sorgfältig und gewissenhaft versorgt, sie hat Möglichkeiten und Modelle stationärer naturheilkundlich orientierter Behandlungen weiter entwickelt, sie ist ihrem Auftrag akademischer Lehre für Studenten und Fort- und Weiterbildung für approbierte Ärzte nachgekommen, und sie hat ihre Kenntnisse und Erfahrungen in der breiten Öffentlichkeit sowie zahlreichen öffentlichen Einrichtungen und Institutionen zur Verfügung gestellt.

Abteilungsleiter und ärztliche Mitarbeiter sehen aber mit Sorge, daß im Rahmen der Bettenreduzierung in ganz Berlin auch der eigene Arbeitsbereich stark eingeschränkt werden soll. Damit würde eine wichtige innovative, gerade erst begonnene Arbeit wesentlich behindert.

Die bisherige Ausstattung der Abteilung im Krankenhaus Moabit ist noch nicht befriedigend. Ursprünglich zugesagte Erweiterungen der Physikalischen Therapie (Saunabereich, Hydrotherapie) konnten aus finanziellen Gründen nicht eingehalten werden. Die diätetische Versorgung aus der zentralen Küche (Ernährungstherapie!) ist verbesserungsbedüftig, sie steht im Gegensatz zu fast sämtlichen vergleichbaren Einrichtungen in Krankenhäusern der Akutversorgung.

Ursprünglich zugesagtes zusätzliches Personal, um wenigstens einige Mängel diätetischer Versorgung in den jeweiligen Stationsküchen aufzufangen, wurde - ebenfalls aus finanziellen Gründen - nicht zur Verfügung gestellt. Die ärztlich verordnete Physiotherapie kann aus Personalmangel in der Abteilung "Physikalische Therapie" häufig nicht komplett durchgeführt werden, leider sind auch keine Personalstellen für künstlerische Therapie im Stellenplan vorgesehen.

Trotzdem sehen wir mit Dankbarkeit und Befriedigung auf die vergangenen Jahre zurück. Wir hoffen stark, daß uns die verantwortlichen politischen Stellen weiterhin fördern und uns ausreichende Arbeitsbedingungen sowie -möglichkeiten erhalten bleiben.

Herbst, 1994

(aktualisiert: Herbst, 1996)
 
Prof. Dr. med. M. Bühring, 
Ärztlicher Leiter der Abteilung und Lehrstuhl für Naturheilkunde im 
Universitätsklinikum Benjamin Franklin 
Dr. med. G. Kühn, 
Oberärztin der Abteilung 
Dr. med. R. Stange, 
Oberarzt der Abteilung

Die Abteilung ist im Oktober 2001 vom Krankenhaus Moabit in das Immanuel-Krankenhaus umgezogen.
Die neue Anschrift lautet:
Abteilung für Naturheilkunde
Immanuel-Krankenhaus
Rheumaklinik Berlin-Wannsee
Königstraße 63
D-14109 Berlin
Tel: +49 - (0)30 - 80505 - 691
Fax: +49 - (0)30 - 80505 - 692
naturheilkunde@immanuel.de

URL: http://www.datadiwan.de/buehring

Layout: Datadiwan eMail: webmeister@datadiwan.de