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Autor: | Ruth Baumann-Hölzle | |
Keywords: | Frauenheilkunde, evidence based medizine, klinische Forschung, Medizinkritik, Patienteninformation, Evaluation, Geburtshilfe, Hebamme, | |
Abstract: | ||
Copyright: | Texte: Stiftung PARACELSUS HEUTE
HTML-Gestaltung: Bernhard Harrer Wissenstransfer |
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Autoren
Begrüßungen
Die
alternde Frau
Die
schwarze Madonna/Theater
Die
schwangere Frau
Ottilia Grubenmann,
Hebammen im Wandel der Zeiten - 58 Jahre Hebamme
Dr. Marina Marcovich,
Medizin und Mutternähe in der Betreuung von Neugeborenen - Wieso glauben wir an die Überlegenheit der medizinischen Technik?
Dr. Ruth Baumann-Hölzle
Was ist lebenswert? - Schicksals-Ergebenheit und Macher-Sein im lebendigen Austausch
Norma M. Swenson, M.P.H.
Hebammen, die moderne Medizin und die Reform der Geburtshilfe - Die Rolle der Frauenbefreiung
Dr. Johannes G. Schmidt,
Was ist "normal" in der Schwangerschaft? - Der Routine-Ultraschall als Spielzeug für Surrogat-Diagnosen und falsch positive Befunde
Prof. Murray W. Enkin,
Wirksame Massnahmen in Schwangerschaft und Geburt - Hält sich die Praxis an dieses Wissen?
Dr. Marsden Wagner,
Wieviel Technik ist gut für die Schwangerschafts-Vorsorge? - Die Rolle sozialer Faktoren
Dagmar Ehling,
Schwangerschaft und Geburt im Lichte der traditionellen chinesischen Medizin - Woraus könnte Schwangerschafts-Vorsorge bestehen?
Was ist lebenswert? - Schicksals-Ergebenheit und Macher-Sein im lebendigen Austausch
Was ist lebenswert? - Schicksals-Ergebenheit und Macher-Sein im lebendigen Austausch (oder: Menschliches Leben - Ethischer Referenzpunkt oder zu gestaltende Materie in der modernen Medizin?)
Dr. Ruth Baumann-Hölzle
Institut für Sozialethik, Universität Zürich/Schweiz
In der Volksabstimmung vom 17. Mai 1992 wurde Artikel 24novies der Bundesverfassung über den Schutz des Menschen und seiner Umwelt gegen Missbräuche der Fortpflanzungs- und Gentechnologie angenommen. Die erste Etappe der den Humanbereich betreffenden Ausführungsgesetzgebung ist bis Ende Oktober 1995 in der Vemehmlassung. Das Schweizervolk hat sich mit diesem Bundesverfassungsartikel 24novies klar dafür entschieden, das menschliche Leben weiterhin als ethischen Referenzpunkt für das Handeln in der Humanmedizin gelten zu lassen. Dieser Position gegenüber steht ein Handlungsverständnis, welches von einem absolutem Selbstbestimmungsrecht der Menschen über ihr Leben ausgeht und sich an einer Leidensminimierung und Glücksmaximierung orientiert. Der folgende Artikel zeigt die Entwicklung der beiden Positionen auf und analysiert das jeweilige Autonomieverständnis.
Referenzpunkt des Handelns in der Medizin des Abendlandes war bis zur Moderne das menschliche Leben per se. Grundsätzlich bestand eine Scheu, über das Leben eines anderen Menschen verfügen zu wollen. So wurde in der Antike die Chirurgie lange Zeit abgelehnt. Die Lebenserhaltung war oberstes Handlungsprinzip in der Medizin, und wenn dies nicht mehr möglich war, hatte sich das medizinische Handeln auf die Leidenslinderung zu bescheiden. Das menschliche Leben war wertsetzend, da die Pflicht zu seiner Erhaltung und Würdigung das Formulieren einer Wertepyramide ermöglichte. Die Möglichkeit der Tötung wurde abgelehnt. Eine Sonderstellung dabei hatten ausserhalb der offiziellen Medizinethik die Selbsttötung und der Schwangerschaftsabbruch inne, welche über Jahrhunderte hinweg kontrovers diskutiert wurden. Der Arzt war seinen Patienten und Patientinnen gegenüber direkt verantwortlich.
Diesem traditionellen Handlungsmodell tritt ein Autonomiemodell gegenüber, das nicht mehr das menschliche Leben als wertsetzend akzeptiert, sondernd neu das Selbstbestimmungsrecht des Menschen über sein Leben zum Ausgangspunkt ethischer Urteilsbildung macht. Interessant dabei ist, dass der von I. Kant (1724 - 1804) herausgearbeitet Autonomiebegriff, welcher gegen die instrumentelle Vereinnahmung der Menschen postuliert wurde, zugleich die Entwicklung zur autonomen Selbstsetzung der Menschen einleitete.
Autonomie und Menschenrechte
Kant arbeitete die Autonomie des Menschen auf dem Hintergrund der preislosen
Würde des menschlichen Lebens heraus. Weil der Mensch nach Kant Zweck
an sich selbst ist und nicht für fremde Zwecke instrumentalisiert
werden darf, ist er autonom. Damit begründet nach Kant die Würde
die menschliche Autonomie. Niemand hat das Recht, Übergriffe auf menschliches
Leben vorzunehmen: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit und Schwesterlichkeit
gelten allen Menschen, unabhängig
von ihrer Rasse oder sonstigen Eigenart. In der Formulierung der Menschenrechte
wurde das Verständnis des menschlichen Lebens als ethischem Bezugspunkt
endgültig festgeschrieben. Wohl wurden Güterabwägungen mit
menschlichem Leben vorgenommen, wurde gekämpft für den Frieden
und die Freiheit. Dahinter stand immer die Absicht, das Leben und die Autonomie
von allen Menschen zu schützen.
Säkularisierung
Neben dieser Entwicklung auf die Menschenrechte hin begann sich eine
andere Entwicklung abzuzeichnen, welche ebenfalls erst durch das autonome
Selbstverständnis der Menschen bei Kant möglich geworden war.
Kants Ideal des freien, zeitlosen Subjektes, das kraft seiner Rationalität
zur Erkenntnis der transzendentalen Welt fähig ist, wurde von J. G.
Fichte (1762 - 1814) weiterentwickelt und gipfelte in der Vorstellung,
dass das Ich als alle Dinge bestimmend zu denken sei. Diese Entwicklung
lässt sich am Beispiel des Würdebegriffes bei Fichte nachzeichnen.
Würdig ist der Mensch nach Fichte dann, wenn er der Natur sein Gepräge
geben kann. Neu begründet nicht mehr die Würde die Autonomie,
sondern umgekehrt basiert die Würde auf der Fähigkeit des Menschen,
die Welt autonom gestalten zu können. Lag es zuerst noch ausserhalb
des menschlichen Vorstellungsvermögens, das menschliche Leben der
Gestaltungsfähigkeit des Menschen unterzuordnen, so machte die beginnende
Säkularisierung am Ende des 19. Jahrunderts genau dies möglich.
Danach bestimmt nicht mehr das Schicksal oder der Wille Gottes das menschliche
Leben, sondern die Menschen haben die Verantwortung zur absoluten Selbstbestimmung
zu übernehmen. Es war F. Nietzsche (1844 - 1900), der den Gedanken
dieser absoluten menschlichen Autonomie zu Ende zu denken wagte und die
Umwertung der Werte erkannte, welche damit einhergehen würde.
Menschliches Leben als Material
Wird das menschliche Leben als vorgegebener Bezugspunkt für das Handeln aufgegeben, wird es zum Material, das gestaltet werden kann. Ziel und Zweck dieser Umgestaltung ist die Weiterentwicklung der Gattung Mensch und die Befreiung des Menschen vom Leiden, welches sich in Krankheit, Behinderung, Sterben und Tod äussert. Die Menschen werden neu verantwortlich für Alter, Krankheit, Behinderung, Sterben und Tod. Dort, wo es den Menschen nicht gelingt, diese Lebenswiderstände zu überwinden, werden sie schuldig. Menschliches Leiden wird in den persönlichen Verantwortungsbereich verwiesen. Dort, wo die Widerständigkeit zu gross wird, d.h. bei schweren Krankheiten und Behinderung, kann der einzelne Mensch seine Verantwortung nur noch wahrnehmen, wenn er sich tötet oder zur Tötung freigibt.
Utilitarismus
Dieses Denken fand in der philosophischen Position des Utilitarismus
seine Ausformulierung, welcher vom Prinzip der Nützlichkeit ausgeht.
Der alles bestimmende Wert ist die Erfüllung der menschlichen Bedürfnisse
und Interessen, wobei es den einzelnen überlassen bleibt, worin sie
ihr Glück erwarten. Im Zentrum steht das allgemeine Wohlergehen. Das
Handeln des einzelnen ist an den Konsequenzen für das Wohlergehen
der Gesellschaft zu messen. Der Utilitarismus vermag dem einzelnen in der
Gesellschaft keine gerechte Behandlung zu garantieren. Minimalkonsens der
Handelnden untereinander ist der, dass von niemandem die Autonomie verletzt
werden darf, der fähig ist, in der Gesellschaft seine Interessen zu
vertreten. Der andere Mensch kann so nur als zu überwindender Widerstand
und Konkurrent wahrgenommen werden. Es kommt zum Konkurrenzkampf innerhalb
von Geschichte und Zeit, und es entsteht so der Sog des Immer-schneller-
immer effizienter.
Zeitnot
Symptomatisch hierfür ist der tägliche Zeitstress, unter dem
die meisten Menschen leiden. Je mehr Möglichkeiten sich die Menschen
schaffen, Abläufe effizienter und schneller zu gestalten, desto weniger
Zeit haben sie. Diese Zeitnot scheint mit der erschaffenen Effizienz linear
zuzunehmen. Wer nicht mithalten kann, wird mit dem Stigma «behindert»
zurückgelassen. Schon heute gilt: Wer etwas ist und etwas sein will,
kann es sich nicht leisten, Zeit zu haben. Gesundheit und Krankheit lassen
sich geradezu mit den Kategorien der Zeit definieren: Wer gesund ist, hat
keine Zeit und wer Zeit hat, ist irgendwie nicht gesund. Der Zwang zur
Effizienz fegt einem Wirbelsturm vergleichbar über das Leben der Menschen
hinweg und läuft letztlich ins Leere, weil kaum mehr ein Mensch diese
Zeitansprüche zu erfüllen vermag.
Lebenswert
Der Wert eines Lebens bemisst sich im Rahmen solchen Denkens am Mass
seiner Effizienz, gemessen in Form seiner wirtschaftlichen Produktivität.
Nicht produktives Leben ist wertlos. So überrascht es nicht, dass
ein Strategiepapier der WHO, welches die gemeindenahe, genetische Beratung
anpreist, als Ziel solcher Beratung die Selektion von menschlichem Leben
nach dem Kriterium der wirtschaftlichen Produktivität nennt mit der
Begründung, dass sich solche Selektion auch kostensparend auswirke.
Zwei Illusionen
Der Anspruch auf absolute Selbstbestimmung des Menschen über sein Leben führt zu zweierlei Illusionen. Die eine Illusion besteht im Glauben daran, dass die Menschen eines Tages fähig sein werden, sich ihrer Zeitlichkeit und Geschichtlichkeit zu entledigen. Hier wird die Überwindung der Zeitlichkeit und der Geschichtlichkeit des menschlichen Lebens auf ein absolutes, zeitloses, autonomes Subjekt hin angestrebt. Das Programm hierzu ist die Befreiung des Menschen von sich selbst für sich selbst. Mit diesem Paradoxum hat sich der Mensch das Programm seiner eigenen Selbstaufhebung formuliert.
Die andere Illusion besteht in einem Evolutionsmaterialismus, wonach sich die Menschen ihre Materie «Mensch» so weiterentwickeln können, dass sie diese Materie eines Tages von jeglichem Leiden befreien und dann absolut glücklich sein werden. Diesem illusionären Denken liegt ein Zweckoptimismus zugrunde, wonach sich der menschliche Handlungsspielraum ständig erweitern kann.
Die beeindruckenden Möglichkeiten der modernen Medizin nähren
die Hoffnung, dass die Medizin den Menschen die letzte Befreiung von ihren
Leiden bringen wird. Auf dem Hintergrund dieser Illusionen wird die Freigabe
menschlichen Lebens zu Versuchszwecken gefordert, wie z.B. die Embryonenforschung,
die Präimplantationsdiagnostik oder die Transplantation von embryonalen
Zellen ins Gehirn von anderen Menschen. Geleitet vom genannten Zweckoptimismus
werden die Kontrasterfahrungen, welche das moderne Leben begleiten, völlig
ausgeblendet.
Kontrasterfahrungen
Angesichts der derzeitigen, zum Teil sehr negativen Konsequenzen der
modernen Technologien ist es sehr optimistisch anzunehmen, dass die Menschen
mit ihren Entscheidungen evolutiv neue Freiräume erschliessen. Meiner
Ansicht nach steht die Menschheit im Hinblick auf ihre Entwicklung eher
an einer Schwelle, an der die menschliche Handlungsfreiheit aufgrund der
negativen Auswüchse und Folgen ihrer Erfindungen zunehmend eingeschränkt
wird. Die Menschheit steht gleichsam in einer positiven Evolution des Wissens
und in einer negativen Evolution der Folgen dieses Wissens. Allein die
Kontrasterfahrungen, dass mit dem menschlichen Handeln viele indirekte,
nicht beabsichtigte und irreversible Konsequenzen einhergehen, sollte im
Menschen die Achtung vor dem Vorgegebenen, zu dem auch das menschliche
Leben gehört, wecken, welches sich der endgültigen technologischen
Vereinnahmung entzieht. Nicht Illusionen, sondern der Bezug zum realen
Menschen sollte das Handeln in der Medizin bestimmen.
Gebundenheit und Freiheit
Dem soeben ausgeführten absoluten Autnomieverständnis, welches das menschliche Leben als manipulierbares Material ansieht, steht ein Autonomieverständnis gegenüber, das in Anlehnung an die traditionelle Auffassung der medizinischen Ethik an der Vorgegebenheit des Lebens als ethischem Referenzpunkt anknüpft und das die Autonomie nach Kant in der preislosen Würde menschlichen Lebens begründet sieht. Menschliches Leben ist so ontologisch gesehen ein Subjekt, welche sich jeglicher instrumenteller Vereinnahmung entzieht. Dadurch entsteht die Herausforderung an die Menschen, dieser Subjekthaftigkeit mit ihrem Handeln zu entsprechen.
Die Subjekthaftigkeit menschlichen Lebens kommt bei Menschen, welche
sich zu freien Persönlichkeiten entwickeln konnten, am stärksten
zum Ausdruck. Ausgehend von der Erfahrung, dass der Mensch erst in der
Begegnung mit einem Du zu einer freien Persönlichkeit werden kann,
entsteht auf der Handlungsebene die Verpflichtung der Menschen untereinander,
sich zu dieser Entwicklung auf eine freie Persönlichkeit hin zu verhelfen.
Eine solche Entwicklung ist nur möglich, wo Menschen untereinander
gebunden sind. Menschliches
Leben zeichnet sich durch die Spannung zwischen Freiheit und Gebundenheit
aus. Erst Gebundenheit ermöglicht Oberhaupt Freiheit. Nur Kinder,
welche während ihrer Jugend Bindungen an ihre Bezugspersonen erfahren,
können sich zu freien Menschen entwickeln. Jede gelungene Beziehung
eröffnet neue Freiheiten für die in Beziehung stehenden Menschen.
In gelungenen Beziehungen begegnen sich die Menschen als Lebenspartner
und nicht als Konkurrenten im Wettlauf mir der Zeit. Eine Beziehung kann
nur gelingen, wenn Menschen sich Zeit füreinander nehmen.
Aber Beziehungen gelingen nicht immer. Sie können auch scheitern und die Menschen, anstatt sie zu befreien, versklaven. Eine absolute Entsprechung einer Persönlichkeit mit ihrem Subjektsein auf der ontologischen Ebene wird es nie geben. Es gelingt dem Menschen immer nur bruchstückhaft, frei und autonom zu sein.
Die existentielle Gebundenheit menschlichen Lebens ist durch die Inkarnation
des Ichs in einen zeitlichen, sterblichen Leib gegeben. Menschliche Freiheit
ist ohne Leiblichkeit und damit ohne Geschichtlichkeit, Zeitlichkeit und
Widerständigkeit nicht zu haben. Menschliches Leben ist deshalb immer
beschränktes Leben. Leiden, Sterben, Tod, Krankheiten und Behinderungen
gehören zur existentiellen Grundverfassung der Menschen. Unbeschränkte
Freiheit und menschliches Leben ohne Leiden gibt es nicht. Damit ist nichts
über den Sinn des Leidens ausgesagt, es ist nur die Feststellung,
dass zum freien Menschen die Fähigkeit, zu leiden gehört. Es
gibt keinen objektiven Sinn für das Leiden, und es ist blanker Zynismus,
wenn einem Menschen von aussen irgendeinen Sinn seiner Krankheit einzureden
versucht wird. Es gibt nur eine subjektive Sinnerfahrung von leidenden
Menschen, welche für sich in einer bestimmten Leidenssituation einen
Sinn gefunden haben.
Medizinischer Handlungsauftrag
Medizinisches Handeln hat den Auftrag, den Leib so zu erhalten und zu
pflegen, damit ein Mensch die Möglichkeit hat, mit anderen Menschen
ungehindert und frei in Beziehung zu treten. Therapeutisches Handeln erreicht
dort seine Grenze, wo die Möglichkeit, mit einem Menschen Beziehungen
verbal oder averbal aufnehmen zu können, irreversibel erloschen ist,
sei es weil er oder sie irreversibel im Koma liegt oder sei es weil das
Leiden eines Menschen irreversibel so gross ist, dass auch hier eine Beziehungsaufnahme
unmöglich geworden ist. In Situationen, in denen eine Subjekt-Subjekt-Begegnung
mit einem Patienten irreversibel nicht mehr möglich ist, besteht die
Pflicht, therapeutische und lebensverlängernde Massnahmen zu unterlassen.
Ausschlaggebend bei diesen Entscheiden ist nicht die schlechte Lebensqualität
der Patienten, sondern die faktische Unmöglichkeit, die Patientin
als Subjekt zu behandeln. Der Anspruch auf Seiten des Patienten, als Subjekt
behandelt zu werden, wird nicht aufgegeben, sondern gerade gegenüber
einer sich sonst verselbständigenden Technik betont. Das medizinische
Handeln hat sich in diesen Situationen auf die Leidenslinderung zu beschränken.
Güterabwägungen über das Unterlassen von medizinischen Handlungen
genauso wie der Wechsel von therapeutischen zu palliativen Massnahmen sind
angezeigt. Technische Massnahmen haben grundsätzlich im Dienst eines
Menschen zu stehen, sein Leiden zu überwinden und nicht es zu verlängern
oder sogar neues Leiden zu erzeugen.
Die Option der Tötung wird zur Leidensüberwindung immer wieder
erwogen. Dem ist entgegenzuhalten, dass in der Tötungshandlung menschliches
Leben zum verfügbaren Objekt instrumentalisiert wird. Damit widerspricht
der Akt der Tötung dem Anspruch des Menschen, ein Subjekt zu sein.
Nur Notwehr bei Subjekt-Subjekt-Konflikten kann eine Tötung legitimieren.
Entscheidungsfindung
Die Entscheidung darüber, ob bestimmte medizinische Massnahmen
bei einem Menschen sinnvoll sind oder nicht, ist zusammen mit dem Patienten
zu fällen, wobei dem Patienten der Stichentscheid zukommt. Die Schwierigkeiten,
welche sich hier stellen, liegen vor allem darin, dass Patienten/-innen
gerade in den Situationen, in denen sie am wenigsten zu autonomen Entscheidungen
fähig sind, gefordert sind, Entscheide mit grosser Tragweite für
ihr Leben zu fällen. Medizinisches Handeln sollte daher auf eine Erhöhung
der Entscheidungskompetenz der Patienten/-innen angelegt sein, indem sie
umfassend und verständlich aufgeklärt werden. Es ist der Anspruch
auf Subjekthaftigkeit jedem Menschen anzuerkennen und seine Teilautonomien
sind zu stützen. Dort, wo ein Mensch fähig ist, über sich
selber zu bestimmen, soll er dies auch tun können. Andererseits sind
die Autonomieeinschränkungen eines Patienten zu berücksichtigen.
Die Bruchstückhaftigkeit der menschlichen Autonomie lässt jede
Entscheidung zum Prozess werden, in dem es die Lebensgeschichte und den
Lebenskontextes eines Menschen in die Erwägungen einzubeziehen gilt.
Eine Entscheidung als Prozess geschieht in der Begegnung zwischen Menschen.
Dort, wo sich Menschen begegnen, entsteht etwas Drittes, welches über
die sich begegnenden Menschen hinausgeht. Dieses Geschehen zwischen Menschen
ist nur beschränkt planbar. Damit eine solche Begegnung möglich
ist, sind bestimmte Rahmenbedingungen notwendig. Es braucht auf beiden
Seiten die Bereitschaft, sich Oberhaupt auf eine solche Begegnung einzulassen,
und es setzt voraus, dass sich die Menschen gegenseitig als Subjekt würdigen.
Wo eine solche Würdigung nicht da ist, werden solche Entscheidungsprozesse
verunmöglicht. Dann bestimmt entweder die Ärztin oder der Patient.
In einer echten Begegnung kann diese Polarität und der damit einhergehende
Machtkampf überwunden werden. Es werden Entscheidungen möglich,
die dem Leben eines Menschen angemessen sind.
Schlussbemerkungen
Jeder Mensch findet sein Leben vor. Diese allen Menschen gemeinsame Erfahrungstatsache macht das menschliche Leben zum allgemeinverbindlichen Referenzpunkt für das Handeln. Die menschliche Freiheit ist deshalb in das Leben eingebunden und begrenzt. Der Handlungsentwurf, welcher dem Menschen absolutes Verfügungsrecht über das Leben zuspricht, blendet diese Realität menschlichen Lebens aus. Damit werden die humanitären Bindungen der gegenseitigem Verpflichtung und Solidarität der Menschen untereinander aufgelöst. Freiheit ohne Bezugspunkt wird schrankenlos und pervertiert zur Willkür. Soll menschliches Leben der Willkür preisgegeben werden oder nicht?
In den schwierigen Entscheidungen, zu denen die Möglichkeiten der
modernen Medizin herausfordern, stellen sich nicht allein technische oder
medizinische Fragen. Die Frage nach dem Menschsein selbst ist gestellt.
Seit jeher haben die Menschen versucht, diese Frage nach
der eigenen Existenz zu beantworten. Es könnte ihnen vielleicht
eines Tages mittels medizinischen Eingriffen gelingen, diese Frage zum
Schweigen zu bringen.
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