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Autor: | Norma M. Swenson | |
Keywords: | Frauenheilkunde, evidence based medizine, klinische Forschung, Medizinkritik, Patienteninformation, Evaluation, Geburtshilfe, Hebamme, | |
Abstract: | ||
Copyright: | Texte: Stiftung PARACELSUS HEUTE
HTML-Gestaltung: Bernhard Harrer Wissenstransfer |
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Autoren
Begrüßungen
Die
alternde Frau
Die
schwarze Madonna/Theater
Die
schwangere Frau
Ottilia Grubenmann,
Hebammen im Wandel der Zeiten - 58 Jahre Hebamme
Dr. Marina Marcovich,
Medizin und Mutternähe in der Betreuung von Neugeborenen - Wieso glauben wir an die Überlegenheit der medizinischen Technik?
Dr. Ruth Baumann-Hölzle
Was ist lebenswert? - Schicksals-Ergebenheit und Macher-Sein im lebendigen Austausch
Norma M. Swenson, M.P.H.
Hebammen, die moderne Medizin und die Reform der Geburtshilfe - Die Rolle der Frauenbefreiung
Dr. Johannes G. Schmidt,
Was ist "normal" in der Schwangerschaft? - Der Routine-Ultraschall als Spielzeug für Surrogat-Diagnosen und falsch positive Befunde
Prof. Murray W. Enkin,
Wirksame Massnahmen in Schwangerschaft und Geburt - Hält sich die Praxis an dieses Wissen?
Dr. Marsden Wagner,
Wieviel Technik ist gut für die Schwangerschafts-Vorsorge? - Die Rolle sozialer Faktoren
Dagmar Ehling,
Schwangerschaft und Geburt im Lichte der traditionellen chinesischen Medizin - Woraus könnte Schwangerschafts-Vorsorge bestehen?
Hebammen, die moderne Medizin und die Reform der Geburtshilfe
Hebammen, die moderne Medizin und die Reform der Geburtshilfe - Die
Rolle der Frauenbefreiung
(Original-Titel des englischen Vortrags: Midwives, modern medicine,
and the childbirth reform - The role of women's liberation movements)
Norma M. Swenson, M.P.H.
Boston Women's Health Book Collective, Somerville/USA
Wir sind Häretiker in dem, was wir leisten. Und ich glaube, diese religiöse Metapher ist vielleicht gar nicht so schlecht. Denn Zorn, die Angst, das Unwohlsein, die derartige Vorträge hervorrufen, das ist wunderbar. Ich habe der Hebamme heute Morgen gerne zugehört. Aber sie ist (wenigstens) eine Hebamme. Können Sie sich jedoch vorstellen, was passieren würde, wenn hier einfach nur irgend jemand, irgend eine Frau kommen und einen Vortrag halten würde und die Medizin attackieren würde?! Als ich hier ankam, war ich mit Herrn Dr. Schmidt an einer Pressekonferenz und versuchte, einiges zu den Anfängen dieser Bewegung zu sagen. Wir wurden damals von Psychiatern und Psychologen untersucht und man hat uns als abnormal abgestempelt. Wir waren psychotisch, neurotisch, hatten Persönlichkeitsstörungen usw. usf. Aber die Tatsache, dass wir so zahlreich waren - leider sind es noch immer nicht alle - hat doch seine Wirkung gezeitigt. Und was ich Ihnen heute Morgen zu sagen habe, bezieht sich nicht nur auf unsere Versuche, die Geburtshilfe zu reformieren, sondern in erster Linie auch auf den Feminismus, der sich aus der Frauen- und Gesundheitsbewegung, in den USA und in anderen Ländern, entwickelt hat und heute noch weiterentwickelt.
Für einige von uns, die schon lange in der Bewegung stecken, ist es eine Art Wiedersehen, besonders mit Eleonore Enkin. Wir sind wohl die ältesten Überlebenden dieser Bewegung, die die Welt bereisen, die Systeme ansehen und fragen, warum man diese Systeme nicht ändern kann. Marsden Wagner und ich haben jahrelang am Thema Geburt zusammengearbeitet. Die Ergebnisse können sie auch in seinem Buch nachlesen.
In den frühen siebziger Jahren wurde es plötzlich möglich, die Medizin zu kritisieren. Ich werde Ihnen einige Namen nennen und einige Ideen, die damals aufkamen. Ich wurde durch diese Ideen geprägt. Ich schäme mich gar nicht zu sagen, dass ich sehr viele männliche Rollenmodelle hatte. Sowohl Männer als auch Frauen. Und ohne diese Rollenmodelle wäre ich heute gar nichts. Ich bin Rina Nissim aus Genf, die heute unter uns weilt, sehr dankbar, dass sie mir erklärt hat, dass ich nicht eine Historikerin, sondern eine «historische Feministin» bin. Weil ich solche Erfahrungen nämlich schon so lange erlebe. Ich kann Ihnen sagen, was ich erlebe und auch, was ich erlebt habe. Aber Sie müssen wissen, dass ich die Medizin nie praktisch ausgeübt habe. Ich bin weder Krankenschwester, noch Ärztin, noch sonst etwas. Ich habe mir damals eigentlich nur Sorgen gemacht. Und das gilt auch für viele andere Feministinnen.
Meine erste Erfahrung - ich war schwanger, und ich fragte mich, warum
ich nicht mehr mitzureden hatte. Es waren sehr einfache Fragen. Warum musste
ich hier anästhesiert werden? Warum musste ich einen Dammschnitt über
mich ergehen lassen? Warum musste ich auf dem Rücken liegen während
der Geburt? Warum
durfte mein Mann nicht dabei sein? Warum durfte die Familie nicht dabei
sein? All das waren Fragen, die ich mir stellte. Ganz grundlegende Fragen
also. Aber diese Fragen stelle ich auch heute noch. Warum ist das Mitspracherecht
der Frauen so gering?
Mut zu hinterfragen
Somit wurde ich also zu einer Art Ombudsfrau. Ich wurde also zur Vorreiterin, zur Streiterin. Nein, das ist nicht ein Rechtsanwalt. Wir verwenden das bei uns etwas anders. Es ist jemand, der bei Ihnen ist, der Sie dabei unterstützt, die richtigen Fragen zu stellen, die richtigen Forderungen zu stellen. Ich habe in diesem Bereich sehr viel gearbeitet, habe darüber aber nicht sehr viel geschrieben. Aber ich werde dem bald Abhilfe verschaffen. Ich habe nämlich schon sehr viele medizinische Situationen miterlebt mit Patienten oder zumindest mit Leuten, die man als Patienten bezeichnet, um sicherzustellen, dass sie genügend mitzureden haben und dass sie bekommen, was sie brauchen. Ich habe Hunderten von Menschen zugehört, die mir gesagt hatten, dass sie nicht das erhalten haben, was sie brauchten. Weder die richtig Information, noch die Zuversicht, noch die Zusicherung, die sie erwartet haben. Als Drittperson mit dabei zu sein, bedeutet natürlich auch, dass man manchmal eingreifen muss. Aber ich bin sehr zufrieden, dass sich manchmal doch gewisse Verbesserungen eingestellt haben. Ich bin auch jemand, der sehr aktiv in der Gemeinschaft tätig ist. Ich habe in meinem Land und in anderen Ländern mit verschiedenen Gemeinschaften zusammengearbeitet, besonders in solchen Fällen, wo medizinische Situationen ausgeufert sind. Um diesen Gruppen dabei zu helfen zu protestieren, die Gesetze zu ändern, neue Gesetze zu entwerfen, vielleicht Zusammenkünfte mit Ärzten und dem medizinischen Establishment zu ermöglichen. Aber ich bin auch jemand, der Information weiterleitet. Ich weiss, dass Beratung oftmals notwendig ist und dass viele davon profitieren. Ich bin davon überzeugt, dass einfache Information zur rechten Zeit für jemanden ausserordentlich nutzbringend sein kann. Diese Information zu sammeln, sie sicherzustellen, damit sie zur Verfügung steht, ist auch Teil meiner Aufgabe. Wenn ich sage: ich, dann müssen Sie mir gut zuhören, weil ich jetzt gleich mal zum wir übergehe. Es ist schwierig, hier oft zu wissen, ob ich von wir spreche, vom Boston Women's Health Collective oder wenn ich wir sage und damit die Frauenbewegung meine. Wenn es nicht klar ist, können Sie mich immer noch fragen.
Ich habe in meiner eigenen Gemeinde die Eltern organisiert und sie dazu
gebracht, das zu fordern, was sie wollten. Ich habe da auch mit einigen
Experten zusammengearbeitet, um sicherzustellen, dass die Geburtsvorbereitung
realistisch ist und dass die Eltern im Krankenhaus die grösstmöglichste
Kontrolle über ihre
Situation bewahren können. Das heisst aber auch, dass ich mich
weiterbilden musste. Ich musste die gesamte Terminologie, die Medikamente
usw. kennenlernen. Mit Hilfe von Mentoren, Ärzten und Krankenschwestern
habe ich mich weitergebildet. Sie haben mir sehr geholfen. Diese Anfänge
liegen schon 30 Jahre zurück. Ich habe auch versucht herauszufinden,
wie die Ärzte ausgebildet werden: Wie werden sie ausgesucht. Was geschieht
während ihrer Ausbildung. Was geschieht, wenn sie ihr Klinikum absolvieren.
Wie lehrt man sie, mit ihren Gefühlen umzugehen. Wie wird die Arzt-Patient-Beziehung
strukturiert. Warum sind sie so auf das Geld aus. Wie sieht dieses System
aus, in dem Ärzte während der langen Periode der Ausbildung praktisch
ohne Einkommen sind und dann plötzlich so auf das Geld aus sind?
Ich habe auch verschiedene andere medizinische Studien durchgeführt, einige an der Medizinischen Fakultät in Boston. Ich musste mich auch im Bereich der Sexualität weiterbilden. Und ich habe mit den Medizinstudenten zusammengearbeitet. Und dann habe ich natürlich den Frauen zugehört. Was hatten sie mir zu sagen, was die Ärzte ihnen angetan hatten? Und das war natürlich sehr, sehr wichtig. Frauen sprechen nämlich oft nicht mit dem Arzt darüber, was sie fühlen und was sie wollen, sondern mit jemand anderem. Wenn sie das Gefühl haben, jemandem vertrauen zu können, jemand finden, der ihnen zuhören kann, dann werden sie Ihnen einiges erzählen, das Sie sonst nie erfahren würden. Ich höre derartige Berichte überall, in Brasilien, Griechenland, Afrika, überall auf der ganzen Welt! Ich lerne also, wie Ärzte von ihren Patientinnen gesehen werden. Ich bin deshalb aber keine Hebamme oder eine Dula. Gestern, als ich den Berg herunter kam, hat man mir gesagt, dass das Wort Hebamme als Dula übersetzt wird und umgekehrt. Ich möchte hier aber doch eine Unterscheidung vornehmen. Jemand, der bei Ihnen ist, aber nichts mit der Geburt des Babys zu tun hat, jemand, der Sie begleitet, der einfach bei Ihnen ist während der gesamten Geburt, das ist eine Dula. Und das ist auch jemand, der hier unter Umständen auch eine Art Advokat ist, der auch aktiv eingreifen kann. Ich habe mit Patientinnen gesprochen, die ihre Fragen vor dem Arztbesuch aufgeschrieben haben. Und ich habe sie danach gefragt, ob sie auch all diese Fragen gestellt haben und was sie von den Antworten halten. Ich kenne das aus eigener Erfahrung. Auch ich schreibe mir die Fragen auf, und nach dem Arztbesuch komme ich 'raus und frage mich, was der Arzt oder die Ärztin mir nun genau gesagt hat. Das ist manchmal sehr schwierig. Ab und zu habe ich dann auch ein Tonbandgerät mitgenommen. Aber Sie können sich sicher vorstellen, dass das nicht besonders gerne gesehen war.
Ich möchte Ihnen etwas über die Arbeitssituation der Frauen
erzählen. Es gibt ja nicht nur die anatomischen Unterschiede zwischen
Mann und Frau, die Differenzierung geht ja am Arbeitsplatz weiter. Manche
Arbeit wird von Frauen ausgeführt, manche nicht. Manche von Ihnen
kennen den Cartoon: Zwei kleine Kinder sehen sich ihre Geschlechtsteile
an, und die beiden Kleinen sagen dann: «Aha, deshalb sind also unsere
Gehälter verschieden!». Vor einigen Monaten habe ich gelesen,
dass die Gehälter der Frauen auf der ganzen Welt weit hinter jenen
der Männer liegen. Und zwar liegen sie bei 40% der Löhne gleichaltriger
Männer mit derselben Schulbildung. Das sind ja keine Neuigkeiten,
oder? Wichtig dabei ist jedoch, dass die Ungerechtigkeit gegenüber
den Frauen am Arbeitsplatz immer noch existiert, dass wir uns immer noch
damit befassen müssen. Die gegenwärtigen Methoden scheinen also
nicht zu
greifen. Wir brauchen die Frauenbewegung immer noch.
Und wenn wir noch weiter zurückgehen - der Gedanke allein, dass Frauen arbeiten. Wir wissen, dass in vielen Kulturen die Männer gewisse Arbeiten ablehnen, weil sie sagen, dass das Frauenarbeit ist. Sie würden z.B. nie nähen. Manche würden nicht einmal die Küche betreten, weil man vielleicht annehmen könnte, dass er das Abendessen kocht. Aber ich kann Ihnen hier anvertrauen, dass historisch und interkulturell gesehen «körperliche» Arbeit immer Frauenarbeit war. Was meine ich mit körperlicher Arbeit? Ich meine damit, für den Körper zu sorgen. D.h. Das Dasein oder Zuständigsein für den Körper. Zu gebären, zu reinigen, zu bekleiden, das Anbauen der Nahrung, die Ernährung, das Aufräumen der Schlafstätten. Das heisst nicht, dass die Männer das nicht können, dass man ihnen das nicht beibringen würde, nein. In verschiedenen Kulturen wird ihnen das auch beigebracht, und sie tun es auch zum Teil. Aber wir nehmen nun grundsätzlich an, weil Frauen eben gebären, dass die körperliche Arbeit eben Frauenarbeit ist.
Somit stehen wir heute, Ende des 20. Jahrhunderts, immer noch an einem
Punkt, an dem nach wie vor die Frauen Hilfe leisten. Ob das nun heisst,
jemandem zu sagen: «Tu doch was auf den Kopf!» oder «Du
hast zuviel Zucker gegessen, jetzt brauchst Du mal was anderes!»
oder ob es bedeutet, dass man das Abendessen kocht. Das ist eine Annahme,
die wir eben haben, dass Frauen dies tun. Gut, darüber kann man nun
verhandeln, man könnte sich z.B. Haushalthilfen anschaffen. Weltweit
gesehen werden von den Frauen aber doppelt so viele Stunden - bezahlt oder
unbezahlt - für «körperliche» Arbeiten aufgewendet,
als von Männern. Ich will jetzt nicht sagen, dass die Männer
nicht hart arbeiten. Aber wenn die acht oder zehn Stunden vorbei sind,
dann ruhen sie sich aus und entspannen sie sich. Dann gehen sie vielleicht
auf den Fussballplatz, in die Bar oder was auch immer. Aber bei den Frauen
sieht das ganz anders aus. Die haben nur wahnsinnig wenig Zeit für
die Freizeit. Es gibt keinen Freiraum dafür. Vielleicht gibt es ein
grosses Fest, wenn sie mit dem Kochen und dem Nähen und all dem anderen
fertig sind, dann können sie dort mal tanzen gehen.
Die Art und Weise, wie Frauen eben an dieser ganzen körperlichen
«Frauenstatistiken»
Es ist so enorm wichtig, dass ich heute von der sog. epidemiologischen
Gerechtigkeit sprechen möchte. Als wir uns in der Gesundheits- und
Geburtsreformbewegung zu engagieren begannen, wussten wir nichts von diesen
Verhältnissen. Wenn eine Mutter oder ein Vater mit einem männlichen
Baby zum Kinderarzt geht, wird das als männlicher Besuch bezeichnet.
Die Benützerinnen des Systems sind also zu 75-85% Frauen. Einige Daten
weisen darauf hin, dass ungefähr 75% der Entscheidungen im Gesundheitswesen
von Frauen getroffen werden. Die Entscheidung also, ob man überhaupt
zum Arzt geht, ist eine grundlegende Entscheidung. In allen Systemen müssen
Sie ja dorthin gehen, wo es Hilfe gibt, weil diese Hilfe ja nicht nach
Hause kommt, selbst wenn es sie in der Nachbarschaft gibt. Es sind also
die Frauen, die zum Grossteil die Entscheidungen treffen. Die Frauen sind
also die Konsumentinnen. Sie entscheiden, ob und wie das Geld ausgegeben
wird oder nicht und ob sie dann das Geld haben, um die entsprechenden Medikamente
zu kaufen. Ob sie es sich leisten können, eine Krankenschwester zu
Hause zu haben. Sie
wählen die Institution aus, in die jemand gebracht wird. All das
sind Entscheidungen, die Frauen treffen. Interessanter wird es, wenn man
sich die Familienstrukturen ansieht. Wenn es eine Schwiegertochter gibt,
die die einzige ist, die Entscheidungen treffen kann, dann wird sie ein
Altersheim aussuchen. Das ist Teil ihrer Verantwortung. Die Verhandlungen
mit den verschiedenen Altersheimen werden von den Frauen geführt.
Eine andere Studie zeigt dass, je näher man an die Öffnungen
des Körpers kommt, diese Pflege umsomehr von Frauen geleistet wird.
Sei das nun in Krankenhäusern oder anderen Institutionen oder im privaten
Bereich, also zu Hause.
Wenn wir nun weiter sehen, stellen wir fest, dass 75-85% der ArbeitnehmerInnen im Gesundheitssystem Frauen sind. Die 85%-Zahl bezieht sich auf die Spitäler, und die 75% sind alle übrigen Dienstleistungen. 75% sind also alle im administrativen Bereich tätig und in Berufen wie Krankenschwester etc. Jene, die z.B. in Krankenhäusern Entscheidungen treffen, also jene, die das alles managen und zusehn, dass alles läuft, sind ebenfalls grösstenteils Frauen, wie beispielsweise Sozialarbeiterinnen usw. In Anbetracht dieser Zahlen und der Bereitwilligkeit der Frauen, diese Arbeit zu leisten, sollte es doch mehr Gerechtigkeit geben und sollten Frauen mehr Entscheidungs- und Mitspracherecht haben, was in diesen Institutionen geschieht und mit welchen Mitteln sie arbeiten können. Ich möchte Ihnen in Anbetracht dieser Zahlen nahebringen, dass es mehr als gerecht ist, dass wir ein grösseres Mitspracherecht haben. Ich habe auch gehört, dass bei einem Neubau in einem Krankenhaus die Krankenschwestern selber fast nie oder nur in letzter Instanz befragt werden.
Schauen wir uns nun mal an, wie zufrieden die Frauen sind. Aufgrund
der Frauenbewegung nehmen wir an, dass die Frauen nicht zufrieden sind.
Aber der medizinische Berufsstand ist eigentlich davon überzeugt,
dass die Frauen ganz zufrieden sind. Diese Daten hat mir einer meiner Kollegen
an der School of Public Health zugespielt: Wir können daraus für
eine ganze Reihe von Industrieländern ablesen, wie zufrieden man mit
dem Gesundheitssystem ist. Kanada: Mehr als 50% sind zufrieden. Und in
den Vereinigten Staaten sind wir ganz unten: Nur 10% sind zufrieden mit
dem bestehenden Gesundheitssystem. Wir sind also relativ unzufrieden. Wenn
Sie diese Zahlen dann vergleichen mit der Anzahl der Frauen, die in diesem
Gesundheitssystem arbeiten und sehen, dass sie eigentlich nicht zufrieden
sind, dann kann man sagen, dass die meisten Frauen unzufrieden sind. Das
Office of Technology Assessment, eine Behörde, die eigentlich nie
genügend Haushaltsgelder bekommt und immer wieder angegriffen wird,
hat sich sehr aktiv für spezifische Therapien für Frauen eingesetzt.
Sie haben auch sehr viel im Bereich der Hormonersatztherapie und Menopause
getan. Ein Teil dieser Studie beschäftigte sich auch damit, wie gross
die Zufriedenheit der Frauen ist, und wer die Entscheidungen trifft. Die
Informationen waren völlig widersprüchlich. Die Medien bringen
Informationen, die Ärzte geben wieder andere Informationen, und die
Lehrbücher, wie wir sie herausgeben, bieten nochmals andere Informationen
an. Somit wissen die Frauen überhaupt nicht mehr, woran sie sind.
Sie haben Angst vor Krebs, vor Herzkrankheit, vor Knochenbrüchen,
vor Verlust der Sexualität und wissen wirklich nicht, was sie tun
sollen. Wenn wir uns nun mal die Geburtshilfe oder andere Bereiche ansehen,
dann sieht es ähnlich aus. Die Art, der Inhalt und das Ausmass der
Information ist unzureichend für jene, die Entscheidungen für
sich und andere treffen müssen. Oft ist die Information aufge-
bauscht und irreführend, besonders die Pharmaindustrie handelt
mit Daten, die nicht korrekt sind. Wenn ich aber mit Ärzten am Radio
eine Diskussion führe, dann geben sie mir die Information, sie sitzen
ja neben mir. Das heisst, wir müssen also schauen, dass wir die richtigen
Informationen ausgeben.
Was interessiert mich nun an diesem ganzen Problem? Es ist der politische Aspekt. Herr Dr. Steele (s. Transkript in Teil III) hat darüber ja ein bisschen gesprochen. Ich glaube, dass die Gesundheit der Frauen nicht nur ein Problem an sich ist, sondern dass es dabei auch um das Verhältnis der Frauen im Machtgefüge geht, wie sie behandelt werden, wie sie in diesem System eingesperrt werden, welche Erwartungen die Frauen haben und welche Erwartungen man an sie stellt. Es geht um die Beziehung zwischen Arzt und Patientin und um soziale Gerechtigkeit. Wo ist die Kontrolle? Wer hat das Sagen, wo und wie das Geld ausgegeben wird? Inwieweit können wir mitentscheiden, wie die Gelder ausgegeben werden? Wir bezahlen schliesslich Steuern, und mit diesen Steuergeldern wird das System ja auch betrieben. Deshalb sollten wir mehr Mitspracherecht haben.
Ich bin froh, dass heute so viele im Publikum sitzen, die kritisch denken. Vor zehn Jahren sagte man, dass in der amerikanischen Schulbildung das kritische Denken nicht mehr gelehrt wird. Ich habe mich in der kritischen medizinischen Soziologie ausgebildet und möchte hier einen meiner Mentoren erwähnen: Erwin Solaz(?). Er leistete zwei bis drei grosse Beiträge. Dazu gehörte auch eine der ersten Studien zur Ethnizität in den Vereinigten Staaten und wie die Ethnizität, zusammen mit der sozialen Klasse, bereits im voraus bestimmte, welche Art von medizinischer Hilfe man erwarten konnte. Leider starb er letzten Dezember. Er selbst war behindert und hat sich erst während seiner Lebensmitte auf seine Behinderung einstellen können. Er hat über seine Behinderung geschrieben und wurde dann zu einem Führer der Behindertenbewegung. Er und seine Ideen haben einen grossen Einfluss darauf gehabt, wie ich mich mit dem System auseinandersetze. Ich möchte vielleicht noch einen anderen, sehr wichtigen Artikel erwähnen, der 1972 veröffentlicht wurde. Der Titel lautete: Medicine is an Institution of Social Control. Er ist der Auffassung, dass Grösse und Macht der Medizin überhand genommen und den Status einer Institution erreicht hat und somit soziale Kontrolle ausübt. Vielleicht so, wie die Kirche das früher tat oder etwa das Bildungswesen es heute tut. Er meint aber, dass wir diesen neuen Status erkennen und uns damit beschäftigen müssen. Er hat nicht nur sehr eng mit mir, sondern auch mit anderen Mitgliedern des Boston Women's Health Collective zusammengearbeitet und hat sogar eine unserer Mitarbeiterinnen geheiratet. Er hat versucht, eine feministische Ethik der medizinischen Ethik zu entwickeln. Ich glaube, dass es hier um eine weitere Schicht der medizinischen Ethik geht. Man muss sich ansehen, wie Frauen behandelt werden. Herr Dr. Schmidt hat im Einführungstext zum Symposium darauf auch Bezug genommen. Als Laie habe ich festgestellt, dass mir niemand zuhörte. Ein bisschen politischen Einfluss hatte ich, wenn ich sagte, dass ich Präsidentin einer nationalen Vereinigung bin, in der Tausende und Abertausende von Eltern vertreten sind. Dann hat sich die Situation vielleicht ein wenig geändert.
Ich habe dann aber trotzdem beschlossen, die School of Public Health in Harvard zu besuchen und wurde von dieser Erfahrung völlig radikalisiert. Ich stellte fest, dass auf die Geschlechter überhaupt kein Bezug genommen und eine auf Frauen ausgerichtete Entwicklung überhaupt nicht besprochen wurde. Bis zum Jahre 1973 hatte man den Geschlechterunterschied überhaupt noch nicht diskutiert. Die Menschenrechte waren noch nicht einmal am Horizont aufgetaucht und Ethnizität (Rassen, Geschlechter), Sexualität und sexuelle Orientierung hatten noch nicht einmal Einzug in die Lehrpläne gehalten. Ich habe mich dann gefragt, was kann ich denn hier noch tun? Das einzige, was mir übrig bleibt, ist eine Kritikerin, und zwar eine gute Kritikerin in der Medizin zu werden. Und so wurde ich in die medizinische Soziologie involviert.
Ich möchte Ihnen noch einige Arbeiten vorstellen, die heute veröffentlicht
werden, in denen es um derartige Fragen geht. Die allerersten feministischen
Kritiken in der Medizin konzentrierten sich auf den sexualen Aspekt. Ich
weiss nicht, wie wir Sexismus hier übersetzen sollten, aber wir können
es global so definieren, dass gemäss einer unausgesprochenen und manchmal
auch direkt ausgesprochenen Annahme die Frauen sich eben nicht in die Arbeitswelt
der Männer einmischen sollten. Dass sie in einer untergeordneten Rolle
arbeiten sollen. Es gibt darüber eine ganze Reihe von kritischen Artikeln,
sowohl im medizinischen Establishment als auch ausserhalb. Im Boston Women's
Health Collective haben wir zu unserem grossen Erstaunen festgestellt,
dass der Durchschnittsmediziner keine Ahnung hat, was es zu diesem Problem
in der medizinischen Literatur gibt. Vielleicht ist das ein typisch amerikanisches
Problem der Mediziner und Geburtshelfer. Als wir das festgestellt hatten,
beschlossen wir, dass wir die Frauen erst einmal darüber aufklären
müssen, welche Studien und Daten es gibt, beispielsweise für
oder gegen eine Hysterektomie. Wir befanden uns nämlich damals in
Amerika inmitten einer der vielen Hysterektomie-Epidemien. Und wir wollten
auch Alternativen aufzeigen. Ich spreche hier nicht von Alternativmedizin,
sondern von ganz einfachen Selbsthilfe-Massnahmen, wie Änderungen
in der Ernährung oder Yoghurt-Duschen. Ich weiss, das klingt heute
vielleicht ganz radikal. Eine Frau in Kalifornien wurde sogar eingesperrt,
weil sie Yoghurt in die Vagina einer anderen Frau eingeführt hatte.
Aber Yoghurt mit Acidophilus-Kulturen ist doch eine sehr nützliche
Sache. Wenn ich von Alternativen spreche, spreche ich im amerikanischen
Kontext z.B. vom Thema des informed consent, d.h. von der Einwilligung
auf der Basis genügender Informationen. Informed consent bedeutet
auch, dass man die richtigen Informationen über Alternativen erhält,
einschliesslich des Überhaupt-nichts-tuns. Das heisst, man muss Informationen
geben über Studien, die sowohl im medizinischen Establishment als
auch ausserhalb durchgeführt wurden. Man muss also Informationen über
Massnahmen, die nützlich sein könnten, auch weitergeben.
Sexismus
Der Sexismus - das ist eine Krankheit, und wir sollten seine Epidemiologie
untersuchen. Die Frauen leiden nämlich darunter. Sie sterben sogar
daran. Sowohl körperlich als auch seelisch. Ebenso wie wir gegen den
Rassismus vorgegangen sind, müssen wir das auch beim Sexismus tun.
In der Medizin und auch ausserhalb. Ganz besonders aber innerhalb des medizinischen
Establishments.
Die erste Welle in der Frauenbewegung hat sich eigentlich nicht so sehr
mit der Medizin beschäftigt, sondern
nur darauf bestanden, dass Frauen auch Ärztinnen werden können.
Ich kann Ihnen da nicht die gesamte Geschichte erzählen. Aber es herrschten
enorme Vorurteile gegenüber Frauen als Heilerinnen. Vorurteile, die
bereits 500 Jahre alt waren. Aber ich fürchte, dass es unweit von
hier geschah, dass sehr viele Hexen verbrannt wurden. Warum wohl? Na ja,
sie versuchten zu heilen. Das war nämlich die einzige Möglichkeit
der Armen hier, Hilfe zu finden, weil es keine anderen Möglichkeiten
gab. Unsere moderne Vorstellung, dass jeder Bürger Zugang zu einem
ausgebildeten Arzt hat, ist eine sehr sehr neue Vorstellung und vielleicht
auch fragwürdig. Aber in der Vergangenheit gab es Heiler. Es tut mir
leid, dass wir hier jetzt nicht ins Detail gehen können. Es gibt einen
hervorragenden Film: La sorcière. Dieser Film beruht auf einer wahren
Begebenheit, als man im 14. Jahrhundert in Südfrankfreich eine lokale
Heilerin verfolgt hatte. Es ist eine wunderschöne Geschichte, die
zeigt, welche Art von Frauen diese Arbeiten durchführten. Wir können
auch von Hildegard von Bingen sprechen, eine sehr gebildete Frau, eine
Adlige, die sich als Heilerin betätigte. Aber wir sprachen oder sprechen
eigentlich sehr selten davon, welche Art von Dienstleistungen den armen
Leuten zur Verfügung stehen. Ich denke, das sollte am meisten und
in erster Linie interessieren. Wenn ich in andere Länder reise, höre
ich das eher. Ich höre auch sehr viel von den Verbindungen der Frauen
untereinander in den unteren Schichten. Sie ähneln sich nämlich
sehr. Sie haben nicht die Möglichkeiten, die anderen Frauen zur Verfügung
stehen. Sie müssen selbst Lösungen finden. Und sie finden die
Lösungen, wo sie können, z.B. bei den Pflanzen. Es gibt ein hervorragendes
Buch, das Ende des Jahres in Indien veröffentlicht wird, über
die Arbeit der Frauen in diesem Bereich. Und dort wird bewiesen, dass diese
Pflanzen wirklich Wirkung zeitigen. Ich weiss aber auch, dass derartige
Studien auch in andern Ländern durchgeführt werden. Es ist interessant
zu sehen, was in den unteren Gesellschaftsschichten geschieht, wenn wir
Haushaltgelder streichen. Wir müssen uns also ganz besonders auf diese
unteren Klassen konzentrieren, auf die ökonomischen Strukturen, die
sich nicht zu ändern scheinen und noch schlimmer werden.
Während dieser ersten Welle des Feminismus versuchte man also hauptsächlich, Frauen zu ermöglichen, auch Ärztinnen zu werden. Und viele Frauen, die die nötigen finanziellen Mittel hatten, unterstützten auch die medizinischen Fakultäten. Auch den Schwarzen hatte man den Zutritt zu den medizinischen Fakultäten verwehrt. Dasselbe gilt auch für das Wahlrecht, Bildung, den Zugang zum Arbeitsplatz, die Institution der Mutterschaft. Man fürchtete nämlich, dass die Institution der Mutterschaft in Gefahr gebracht würde. Aber die Feministinnen haben gesagt: Unsere Selbstbestimmung als Person und als sexuelle Wesen, unsere sexuelle Identität, die Autonomie und Integrität unseres Körpers, unsere Reproduktionsrechte sind so wichtig. Sie können sie uns nicht wegnehmen. Und das hat zur ersten Welle der Kritik an der etablierten Medizin geführt. (Ich spreche jetzt natürlich von der wissenschaftlich bestimmten Medizin, die in Europa Ende des 19. Jahrhunderts begann und dann 1910 mit dem Flexner-Report wirklich etabliert war.)
Wenn ich von der Gesundheit der Frauen spreche, dann möchte ich
sicher sein, dass Sie wissen, was ich darunter verstehe. Es ist nicht nur
die Gesundheit oder die Krankheit der Frauen, das biomedizinische Modell,
das bei der Haut aufhört. Ich spreche hier auch von der Beziehung
der Frauen zur Gesundheit und vom Bezie-
hungsgefüge zwischen Frau, Gesundheit und Gesellschaft. Das sind
Variablen, die die Gesundheit der Frauen bestimmen. Ich spreche aber auch
von der Sexualität der Frauen. Wir können uns doch gar nicht
mehr vorstellen, von der Gesundheit der Frauen zu sprechen, ohne nicht
auch die Sexualität zu erwähnen. Das ist es ja, was uns dem Risiko
aussetzt. Und wenn wir nicht darüber sprechen, es unter den Teppich
kehren, nicht über das Recht der Frauen sprechen, Sex zu haben und
auch Sex zu verwehren, über sie als sexuelle Wesen zu sprechen, dann
können wir einpacken.
Medizinische Illusionen und ihr Schaden
Ich möchte hier nur noch einige Themen herausgreifen. Wir können nicht über die Kritik der Medizin sprechen, ohne über Illich zu sprechen. Jeder, glaube ich, hat eine Illich-Geschichte. Er war ein kontroverser Mensch. Manche sagen, dass er eine andere Arbeit kopiert und 1973/74 veröffentlicht hat. Diese Bücher wurden in sehr viele Sprachen übersetzt. Der Einfluss seines ersten Buches war schon sehr gross gewesen. Und ich finde, dass das Buch auch heute noch sehr nützlich ist. Hier wird über die strukturellen Auswirkungen auf die Gesellschaft gesprochen. Die strukturellen Auswirkungen auf die Gesellschaft, die durch die Iatrogenese (medizinisch bewirkter Schaden) bedingt sind. Er verwendet ganz bewusst die religiöse Metapher. Und er sagt, dass wir moderne Menschen aus der Medizin eine Religion gemacht haben. Ich glaube, dass das stimmt. Wir sind der Medizin völlig ausgeliefert. Man kann heute ohne diesen regelmässigen Kontakt mit der modernen Medizin gar nicht mehr leben.
Ein weiterer Ausdruck ist die Medikalisierung. Er wurde während
dieses Symposiums häufig verwendet. Bei der Medikalisierung geht es
hauptsächlich um die Identifizierung normaler täglicher Vorgänge
und Erfahrungen als medizinische Probleme, die dann pathologisiert werden
bzw. nach medizinischem Management, medizinischer Kontrolle und medizinischer
Intervention rufen. Ob das jetzt eine Geburt, Kopfschmerzen oder ein Wutausbruch
ist. Sowohl Erwin Soda als auch Ivan Illich bezeichneten die Medikalisierung
als Schlüsselthemen. Soda hat in seinem anderen Artikel die Medizin
auch als soziales Kontrollinstrument bezeichnet. Nun, was immer diese beiden
zu sagen haben, stimmt. Ich habe jetzt gerade wieder ein Sprichwort verwendet,
das sehr schwer zu übersetzen ist: Wenn etwas für Männer
gilt, dann gilt es doppelt für die Frauen. Das ist das beste Beispiel,
nämlich, was passiert den Männern in diesem System? Wir dürfen
uns daher nicht nur auf Krankheiten konzentrieren, sondern auch auf die
ganz normalen Prozesse, die wir durchlaufen. Wir haben heute Morgen gehört,
dass die Regulierung der Menses bei jungen Mädchen oder die Iatrogenese
ein Beispiel von Medikalisierung ist. Dass die Geburt ein ganz normaler
Prozess ist, wissen wir. Ich glaube, dem haben wir ja vor ein paar Tagen
alle zugestimmt. Aber ich sehe hier noch keinen umwerfenden Wandel, und
ich stelle fest, dass moderne Frauen eigentlich vermehrt auf Technologie
aus sind, weil sie dieser mehr vertrauen. Ich habe die religiöse Metapher
besonders hervorgehoben, aber ich könnte noch weitere Beispiele anführen.
Information und Unabhängigkeit
Lassen Sie mich noch etwas über Information sagen.
Information scheint so einfach zu sein. Aber welche Art von Information
und wessen Information, und wer soll sie denn vermitteln? Heute sind wir
ja der Ansicht, dass der Arzt, also der Experte, die Information zur entsprechenden
Behandlung geben soll. Dem könnte ich zustimmen, aber meine Erfahrungen
sind da anders. Vielleicht sollte ich noch einen Schritt weiter gehen.
Es gibt eine ganze Reihe von Untersuchungen, in denen gezeigt wird, dass
heute bei den jungen Medizinern im Verlaufe der medizinischen Ausbildung
die Fähigkeit zu kommunizieren, abnimmt. Während der Ausbildung
wird so viel Wert auf den medizinischen Jargon gelegt, dass man überhaupt
nicht mehr von Bildung und Ausbildung sprechen kann, das ist irgend etwas
anderes. Die Kommunikationsfähigkeiten der Medizinstudenten werden
geschmälert. Der Arzt hat nicht mehr die Zeit, die entsprechende Information
zu geben, und er wird oft von Informationen beeinflusst, die er von der
Pharmaindustrie bekommt. Die Pharmaindustrie hat ja einen grossen Einfluss
und die Kontrolle darüber, welche Informationen der Arzt bekommt.
Wenn die Budgets gekürzt werden, wenn die Zeit fehlt und viele armen
Leute bedient werden müssen, dann lässt der Arzt zuerst die Information
weg.
Ich werde noch ein paar radikale, provokative Dinge sagen: Ich glaube, dass die Information ebenso wichtig ist wie die Dienstleistung, die medizinische Hilfe selbst. Und in gewissen Situation ist Information manchmal vielleicht sogar noch wichtiger als medizinische Hilfe. Das stimmt vermutlich nicht immer und auch nicht in einem Notfall. Im Notfall müssen Sie behandelt werden, und die Fragen werden Sie wohl danach stellen. Aber wir müssen darüber nachdenken und uns überlegen, wie denn die Information ausserhalb des medizinischen Systems verfügbar gemacht werden könnte. Und ob die Menschen, die diese Information haben, das medizinische System nicht besser nutzen würden.
Ich möchte jetzt ganz kurz noch Herrn Dr. Schmidt zitieren. Als ich Ihr Vorwort zum Symposium über Frauen als willige Opfer der Medizin las, überraschte mich ein Satz, weil er so anders ist. Ich möchte den Satz zitieren. Das ist wie eine Art déjà-vue für mich. Als wir die Medizin zum ersten Mal kritisierten, sagten wir immer, ja das stimmt, aber für Frauen ist das noch mehr gültig. Der Unterschied ist, dass wir damals von innen her begonnen haben. Ich glaube hier sagt Herr Dr. Schmidt: «Das erfolgreiche Bestehen von Ungewissheit hingegen erfordert andere 'Techniken' als die Maschinentechnik, es erfordert Unabhängigkeit und Mut, im Grunde genommen 'weibliche' Eigenschaften.» Ich weiss nicht, ob das stimmt, aber Sie sagen das. Und dann fahren Sie weiter: «Es sind zugleich menschliche Eigenschaften, die zwar kulturell gefördert, aber von jeder und jedem einzelnen selbst erworben werden müssen. (Leider - oder glücklicherweise - kann die eigene Fähigkeit, Unsicherheit zu bestehen, nicht von einer Fremdperson oder einer gewissen sozialen Gruppe eingefordert werden.)» Ich selbst bin der Ansicht, dass es sehr schwierig ist, diese alleine zu entwickeln. Aber viele müssen da durch.
Aber ich fürchte, dass unser Individualismus uns hier nicht weiterhilft.
Wir in der Frauenbewegung haben gespürt, dass es keinen Ersatz gibt
für die Macht der Masse. Viele von Ihnen verstehen, wovon ich rede,
manche vielleicht nicht. Manche sind Teil einer Gruppe geworden und haben
nichts retour bekommen. Aber Teil einer Gruppe - insbesondere peer groups
- zu sein, in der es keine Hierarchie, in der es gleichwertige Personen,
wo es Menschen mit Wissen gibt, die aber ihr
Wissen den anderen nicht aufzwingen - solche Gruppen können eine
immense Macht haben. Das bedeutet, Kontrolle auszuüben, Kontrolle
über die Krankheit, die Fortschritte und dass man lernt, selbst Entscheidungen
zu treffen. In unserem System ist das nicht möglich. In den Anfängen
der Geburtsreformbewegung haben wir immer gesagt: Hören Sie doch nicht
den anderen Frauen zu, hören Sie nur mir zu! Und was habe ich dann
zu sagen gehabt? Ja, mach Dir keine Sorgen, alles wird in Ordnung sein!
Aber das ist nicht die Information, die die Frauen brauchen. Sie brauchen
mehr! Ich habe in vielen Ländern zu vielen Frauen gesprochen. Ich
glaube, dass es einen menschlichen Hunger nach Information gibt, darüber,
wie unser Körper und evt. auch warum er so funktioniert. Wir haben
den Wunsch, für den Körper verantwortlich zu sein, Kontrolle
und Macht über den Körper zu haben und auf unseren Körper
zu vertrauen. Wir bekommen diese Information aber leider nicht. Verschiedene
Institutionen haben uns diese Macht einfach weggenommen. Die Religion hat
das sicher getan. Wir erfahren nichts mehr über unseren Körper.
Und die Wissenschaft ist zu einer Religion geworden. Wir brauchen aber
diese Informationen. Wenn junge Leute diese Informationen hätten,
hätten viele die Probleme nicht, mit denen sie heute zu uns kommen.
Ich würde meinen, dass die Information wirklich das A und O ist.
Nun, womit soll ich denn schliessen? Noch einen Schritt zurück
zur Frage der normalen menschlichen Erfahrung, die medikalisiert wurde.
Ich möchte hier noch eine Analogie anbringen. Eine Analogie zwischen
Geburt und Menopause. Ich habe genügend Freud'sche Literatur gelesen
- die Ego-Psychologen sind mir ziemlich suspekt. Ich glaube, die Macht,
die wir haben und die wir aus der Transformation unserer Körper bekommen,
ist unersetzbar. Das gilt für die Geburt und ganz bestimmt auch und
umsomehr noch für die Wechseljahre. Das medizinische Establishment
hat uns diese Macht einfach entziehen wollen, hat verhindern wollen, dass
wir diese Macht realisieren. Deshalb mögen wir alte Frauen nicht.
Deshalb wollen wir nicht, dass Frauen während der Geburt grunzen und
brüllen. Wir wollen einfach nicht, dass Frauen ein Gefühl von
Selbstvertrauen, Selbstbeherrschung, Kontrolle und Macht entwickeln. Frauen,
die Angst vor der Geburt, Angst vor einer Hausgeburt haben, Frauen die
Angst davor haben, nicht ins Krankenhaus zu gehen, haben auch Angst davor,
die Wechseljahre ohne Medikamente durchzustehen. Ja, wir wurden alle richtig
sozialisiert, sozusagen sozial angepasst zu braven Mädchen. Aber es
wurde uns das Bewusstsein genommen. Und wir haben ein Recht auf das Bewusstsein.
Wir haben ein Recht darauf, dieses Bewusstsein zu entwickeln. Wir können
uns dann immer noch für das medizinische Modell entscheiden. Aber
die Wahl sollte ganz sicher bei uns bleiben.
Diskussion
Johannes G. Schmidt:
Ich möchte zuerst ein Missverständnis aufklären und
möchte Sie in einem Punkt herausfordern.
Das Missverständnis bezieht sich auf das, was Sie über Gruppen
und die Macht der Gruppe sagten. Mit dem deutschen Wort allein meine ich,
dass der Schritt zum Mutigsein, zum Aufwachen der ist, den wir am Schluss
selbst ganz allein tun müssen. Das heisst natürlich nicht, dass
wir isoliert sein müssen. Aber diesen Schritt muss jeder innerlich
selbst tun, auch wenn man diesen Schritt in der Gruppe leichter tun kann.
Ich wäre heute auch nicht hier, hätte ich nicht diesen Schritt
selbst tun können.
In der Epidemiologie sucht man ja immer nach möglichen Biases
(Störfaktoren) in scheinbaren Zusammenhängen. Wenn Sie also irgendwo
einen Zusammenhang sehen, dann müssen Sie sich immer fragen, ob es
vielleicht noch andere Confounder-Variablen gibt. Das gilt auch für
den Sexismus. Ich habe da ein Confounder-Modell: Dieser Teil ist Dein männlicher
Teil (zeigt auf Normas rechte Körperhälfte), das ist Dein weiblicher
Teil (zeigt auf die linke Körperhälfte). Und ich stehe hier als
Mann, hier ist mein männlicher Teil (zeigt auf rechte Häfte)
oder vielleicht umgekehrt, und das ist mein weiblicher Teil (links). Wir
sind so erzogen worden, dass wir als Männer unseren weiblichen Teil
unterdrücken müssen, und auch Frauen sind erzogen, ihren weiblichen
Teil zu unterdrücken. Frauen haben Angst ausserhalb des Krankenhauses
zu gebären, weil sie so erzogen wurden. Wir Männer müssen
die weibliche Seite unterdrücken, so wurden wir erzogen. Das biologische
Geschlecht ist möglicherweise ein Epiphänomen eines intra-individuellen
Sexismus. Tatsächlich reden viele Frauen der Technologie das Wort.
Ich als Arzt kann sie ja nicht von etwas anderem überzeugen, denn
die Frauen selbst haben den Mut nicht, ihr Anerzogenes und die scheinbar
damit verbundene Sicherheit des Massenverhaltens aufzugeben. Ich würde
also daraus schliessen, dass die Macht in der Gruppe Gleichgesinnter essentiell
sein kann, aber wir werden wirksamer, wenn wir erkennen, dass wir eigentlich
diesen Geschlechterkampf zwischen dem männlichen und dem verachteten
weiblichen Teil in uns selbst auflösen müssen - Männer und
Frauen.
Norma Swenson:
Ich würde aber auch sagen, dass wir aufgrund sozialer Normen nicht
mehr in der Lage sind, uns zu ändern. Es ist also nicht nur etwas,
das jeder für sich auszukämpfen hat, sondern etwas, was man in
der gesamten Gesellschaft zu ändern hat.
Johannes G. Schmidt:
Ja, beides; jedes zu seiner Zeit.
Norma Swenson:
Wo ist denn unsere Hebamme? Sie (Ottilia Grubenmann) war wundervoll.
Ist sie noch hier? Gibt es noch Fragen zu ihrem Vortrag?
Anonymus:
Sie haben gezeigt, dass die Kanadier mit ihrem Gesundheitssystem 6mal
zufriedener sind als die Amerikaner. Aber diese beiden Systeme sind doch
nicht so unterschiedlich? Können Sie einem europäischen Arzt
erklären, warum denn die Kanadier so viel zufriedener sind als die
US-Amerikaner?
Norma Swenson:
Ich fürchte, dass ich diese Frage nicht beantworten kann. Aber
es gibt zwei Kanadier hier, die ihr System sehr gut kennen. Vielleicht
können die versuchen, Ihnen eine Antwort zu geben. Ich würde
meinen, dass die Tatsache, dass unser Gesundheitssystem so teuer und so
frustrierend ist und Versicherungs-Schutz so schwer zu bekommen ist, sicher
einer der Gründe ist. Aber die Frage bezüglich der Zufriedenheit
können die Kanadier wohl besser beantworten.
Murray Enkin:
Danke dass Du mir den Ball zugeworfen hast. Ich kann
hier nur sagen, dass das US-Amerikanische medizinische Versorgungssystem
kein System ist. Und ich glaube, man ist sich heute darüber im klaren.
Ich werde darauf später noch eingehen. Ein grundlegender Aspekt der
Zufriedenheit ist, dass diese Gesundheitsdienste ja zur Verfügung
stehen sollten, und zwar überall. Kanada hat viele Fehler und Schwächen.
Aber es gibt keine privat niedergelassenen Ärzte. Alles wird vom Nationalen
Gesundheitssystem abgedeckt. Aber in den Vereinigten Staaten wird sehr
viel Geld für die Gesundheitspflege ausgegeben. Aber nur ein geringer
Teil der Bevölkerung hat Zugang dazu. Das ist eine Ungerechtigkeit,
die die Amerikaner jetzt einsehen. Und deshalb sind sie unzufrieden.
Anonymus:
Wie Dr. Schmidt vor einer Minute gesagt hat, versucht man immer - wenn
man Zusammenhänge interpretiert - befriedigende Variabeln zu finden,
die den Zusammenhang erklären. Auch ich tue das. Wenn ich sehe, dass
jemand 6mal so zufrieden ist mit einem System wie ein anderer, dann müssen
Sie mich wirklich von der Richtigkeit der Information überzeugen können.
Es ist sehr wahrscheinlich, dass solche Zahlen eher einen statistischen
Artefakt darstellen. Lassen Sie mich etwas zu den Rollenmodellen sagen.
Ich habe nur eine Frage, aber keine seriöse Antwort. Es ist eine sehr
sehr schwierige Frage. Einer der wichtigsten Gründe für unsere
Schwierigkeit, die Screening-Programme abzuschaffen abzuschaffen, die nichts
nützen, ist der Druck der Frauenbewegung. Aber leider in die falsche
Richtung. Nun, wie können wir uns da wehren?
Norma Swenson:
Ja, das ist eine ausgezeichnete Frage. Ich stimme Ihnen zu. Ich spreche
natürlich für die Gesundheitsbewegung innerhalb der Frauenbewegung,
wo derartige Technologien kritisch betrachtet werden. Viele von Ihnen kennen
das National Women's Health Network vielleicht nicht. Es handelt sich hier
um eine Interessengruppe, die ständig bei der Food and Drug Administration
vorspricht, Daten liefert, erklärt, warum die Vorteile vielleicht
nur Scheinvorteile sind. Es ist an sich die Frauenbewegung insgesamt, die
hier eher statisch ist. Wir versuchen, die richtigen Informationen an die
Frauenbewegung zu liefern. Wir haben auch gewisse Koalitionen gebildet,
die gegen die Einführung gewisser neuer Technologien sind. All das
haben wir unternommen. Wir haben das z.B. in Bezug auf die In-vitro-Befruchtung
getan, die als experimentelle Technologie klassifiziert werden sollte,
damit nicht alle Steuerzahler das bezahlen müssen. Das ist aber eine
sehr schwierige Arbeit und Aufgabe. Und dafür gibt es nur sehr wenig
Geld. Die Pharmaindustrie hat sich mit einer ganzen Reihe von Frauenorganisationen
zusammengetan, und deshalb ist es für uns sehr sehr schwierig, hier
der Wahrheit auf den Grund zu gehen. Aber ich muss wiederum sagen, dass
wenn die Frauen ausreichende Information hätten, die im öffentlichen
Interesse gegeben wird und die ohne Beeinflussung durch die Pharmaindustrie
und andere Industrien zusammengestellt wurde, dann können wir eine
Änderung bewirken.
Anonyma:
Nachdem ich selbst aktiv bin in der Frauenbewegung, schätze ich
die Arbeit des Boston Women's Health Collective sehr. Sie sprachen von
der Kontrolle der Körper der Frauen. Ich schätze es sehr, dass
Sie gekommen ist. Wir müssen uns mit diesen Fragen überall, in
jeder Beziehung auseinandersetzen. Ich glaube, wir haben jetzt mehr Unterstützung,
weil wir zahlreicher sind. Ich arbeite in Österreich, und es hilft
uns enorm, dass die WHO die Gesundheitsagenda der Frauen akzeptiert hat.
Ich glaube, wir sind stärker geworden. Weil nämlich manche der
Gesundheitsfragen der Frauen jetzt auch in anderen Institutionen bearbeitet
werden. Aber im Zuge der gesamten Gentechnologie ist es wichtig, dass wir
wieder hart arbeiten.
Norma Swenson:
Ja, es ist gut und wichtig, wenn wir hier positiv enden. Vielleicht
war ich etwas zu pessimistisch. Zumindest in Europa.
Marina Marcovich:
Ich weiss nicht, ob die Hebamme von heute früh noch da ist? Aha,
sie ist weg. Wer von Ihnen im deutschsprachigen Raum lebt, hat ja wahrscheinlich
diese Geschichte in Österreich mitbekommen, wo dieses krebskranke
Mädchen mit dem Herrn Hammer nach Spanien entführt wurde, den
Eltern das Sorgerecht entzogen wurde. Ich sehe da eine Parallele zu der
ganzen Situation in der Geburtshilfe. Und ich frage mich, ob wir nicht
zu spät kommen mit der Diskussion, ob man Frauen den Ultraschall aufoktroyiert
und ob man ihnen so und so viele Fruchtwasser-Untersuchungen aufzwingen
kann und ob sich Frauen dagegen wehren oder nicht. Ich sehe eine andere
Gefahr kommen. Der Staat argumentiert und hat im Falle dieses Kindes so
argumentiert: Das Kind ist eine eigene Rechtsperson und muss daher, wenn
es nicht für sich selbst sorgen kann, nicht für sein Wohl sorgen
kann, sein Wohl durch den Staat gewahrt sehen. An sich ein, wie soll ich
sagen, vernünftiger Gedanke. Nur, damit bestimmt der Staat, was das
Wohl des Kindes ist. Und ich frage mich, wie lange es noch dauern wird,
bis der Staat die Verantwortlichkeit für das ungeborene Kind übernimmt.
Noch kann eine Frau selbst entscheiden - wenn ihr nach der Fruchtwasserpunktion
mitgeteilt wird, dass sie z.B. ein mongoloides Kind in sich trägt
-, ob sie diese Schwangerschaft unterbrechen oder fortsetzen will. Ich
denke, dass es nicht mehr lange dauern wird, dass die Öffentlichkeit
diese Entscheidung übernehmen wird. Und ich sehe hierin die grösste
Gefahr in der geburtshelferischen Entwicklung überhaupt, nämlich
dass die Schulmedizin, um das jetzt mal mit diesem Schlagwort zu bezeichnen,
sich der Legislative bedient. Und immer mehr Rechtlichkeit hineinbringt
und hier leichtes Spiel hat, weil es über das Kind geht. Sie kann
das Kind sozusagen als Geisel nehmen und sagen: Hier handelt es sich um
eine andere Rechtsperson, für die wir die Verantwortung und die Sicherheit
übernehmen müssen. Und so wird es nicht mehr so sein, dass man
sich darauf verlassen kann, dass zumindest selbstbewusste und aufgeklärte
Frauen - und das ist der Punkt Information - schon den richtigen Weg gehen
werden und sich nicht vergewaltigen lassen werden. Man wird nicht mehr
fragen, vergewaltige ich die Frau? Sondern man wird sagen, wir müssen
das Kind schützen und daher muss die Frau das und das tun. Und dann
kann man ja sagen, irgendwann werden die Frauen vielleicht so stark, sich
hier zu widersetzen. Nur da sehe ich die zweite Schiene. Ich frage mich,
ob in einigen Jahrzehnten Frauen überhaupt noch schwanger sein werden.
Denn wenn man heute die In-vitro-Fertilisation machen kann, wenn man heute
Eier unbegrenzt lagern kann, wie es seit einem Jahr der Fall ist - bisher
war ja immer das Problem, dass die Eizelle in absehbarer Zeit abgestorben
ist; das ist weg. Sie können heute Eierstöcke entnehmen und in
200 Jahren Kinder daraus machen. Wenn heute die künstliche Placenta
zwar nur 2 Tage erst funktioniert - aber irgendwann wird sie länger
funktionieren -, und wenn dann die Intensivneonatologie einsetzt mit dem,
was ich Ihnen gezeigt habe, dann frage ich mich, wo brauchen wir dann noch
die Frauen zum Schwangersein und Austragen? Und welche Frau nimmts denn
dann noch auf sich, so einen dicken Bauch zu kriegen, körperliche
Umstellungen zu haben, Schmerzen bei der Geburt zu haben, wenn das alles
längst künstlich gemacht werden kann? Und vielleicht werden auch
diese Leute mit der künstlichen Placenta und der In-vitro-Fertilisation
sowieso von den gentechnischen Labors überholt. Und vielleicht wird's
einmal so sein, dass wir staatlich denken und sagen, wieviel Nachkommen
brauchen wir nächstes Jahr, um unsere Pensionen zu sichern? So und
so viele Eizellen werden dann befruchtet und bebrütet. Ich meine,
Sie können mich jetzt auslachen und sagen, das sind also Ihre Visionen.
Aber irgendwo sehe ich hier schon solche Entwicklungen auf uns zukommen.
Und manchmal frage ich mich daher, ob wir mit solchen feministischen Diskussionen
nicht bereits viel zu spät dran sind.
Johannes G. Schmidt:
Will jemand eine Antwort darauf geben?
Ich denke auch eher wie Sie, Frau Marcovich. Ich persönlich finde
die feministische Bewegung sehr wichtig, weil gewisse Dinge klar geworden
sind, auch bei mir.
Aber wenn wir die von Ihnen skizzierte Entwicklung stoppen wollen,
können wir lange warten, bis die Mediziner sich ändern. Wir können
lange warten, bis die Männer sich ändern. Wir müssen uns
selbst ändern und so unabhängig werden, diese Art Medizin nicht
mehr mitzumachen. Und da glaube ich, wäre mein Wunsch, dass die Energien
vermehrt dahin gelenkt werden. Wie können wir uns selbst Informationen
geben? Das ist auch ganz im Sinne, glaube ich wenigstens, wie Norma das
vorhin gesagt hat.
P.S.
Im Gespräch mit Johannes Schmidt am Abend nach Symposiums-Ende
äusserte Norma Swenson, es wäre vielleicht wichtig gewesen, über
ihre kürzlichen Erfahrungen mit ihrem betagten kranken Vater zu erzählen
und ihre Entscheidungen, die sie dabei getroffen hatte. Sie entschied,
ihn aus dem Spital nach Hause zu nehmen und auf übliche weitere medizinische
Massnahmen ohne Lebensqualitäts-Gewinn zu verzichten, und musste dafür
auf die Teilnahme an der Pekinger Frauenkonferenz verzichten.
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